Friedrich Merz und Markus Söder: Hier Merz, dort Schmerz
Die K-Frage der Union ist entschieden. Markus Söder hadert mit seiner Niederlage, reißt sich aber vorerst zusammen. Was kommt jetzt?
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Endlich unangefochten, nach all den Jahren: Zu Beginn der 2000er war Merz nicht an Angela Merkel vorbeigekommen. Nach seinem Comeback 2018 brauchte er drei Versuche, um den Parteivorsitz zu erlangen. Selbst als CDU-Chef galt er zunächst nicht als designierter Kanzlerkandidat. Jetzt darf er aber antreten – nach aktuellem Stand mit guten Wahlaussichten.
Und die Gewissheit hat er noch dazu früher als erwartet. Als wahrscheinlich galt, dass die Entscheidung fällt, wenn die drei Landtagswahlen dieses Jahres gelaufen sind. Dann aber verkündete am Montag Abend erst der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst, dass er selbst nicht kandidieren wolle und den Parteichef unterstützte. Am Dienstag Morgen lud die Union dann überraschend zur Pressekonferenz von Merz und Söder ein, in der Bayerischen Landesvertretung, die die CSU ungeniert als Berliner Zweigstelle nutzt. Da war die Sache klar.
Ein ungewöhnlicher Zeitpunkt: Die Wahl in Brandenburg am Sonntag wird die CDU wahrscheinlich verlieren, Merz’ Kandidatur wird also mit einem Makel starten. Aber immerhin: Es wird keine lange Diskussionen um die Personalie mehr geben, die Vorbereitung auf den Bundestagswahlkampf läuft ab sofort ungestört.
Der feine Herr Söder
Ganz anders also als beim letzten Mal. Vor der Bundestagswahl 2021 wähnte sich Söder bereits als Kandidat, bevor er von der CDU-Führung, allen voran Wolfgang Schäuble und Volker Bouffier, wie er es empfand, kalt abserviert wurde. Er fand sich in einer neuen Funktion wieder, die sein damaliger Generalsekretär Markus Blume flugs für ihn erfunden hatte: der des „Kanzlerkandidaten der Herzen“.
„Ich bin damit fein“, sagt Söder an diesem Dienstag, unmittelbar nach der Bekanntgabe, dass es zu mehr auch diesmal nicht recht. Er versucht, das ihm zur Verfügung stehende Maximum an Tiefenentspannung in diese Worte zu legen. Er und Merz seien sich „komplett einig“, die Entscheidung des CDU-Chefs, vom Erstzugriffsrecht der größeren Partei Gebrauch zu machen, habe er akzeptiert und zwar „nicht zähneknirschend“.
Fein! Dennoch erinnert man sich in der Union natürlich daran, was die Niederlage damals 2021 mit Söder gemacht hat. Monatelang hatte er daran zu knabbern, schien in ein Loch zu fallen, sich in seinem Ministerpräsidentenamt zunehmend zu langweilen. Armin Laschet? Dass ausgerechnet dieser Mann ihm vorgezogen wurde, konnte der CSU-Chef nicht wegstecken. Dazu kam, dass sich zu dem Zeitpunkt die Lage in der Pandemie entspannt hatte und Söder als Krisenmanager nicht mehr in dem Maße gefragt war wie zuvor.
Es war erst im Laufe des Jahres 2022, dass sich Söder wieder fing, erneut mit Elan in die bayerische Landespolitik stürzte und schließlich im Landtagswahlkampf wieder zur Söder’schen Höchstform auflief. Doch zunächst hatte er es sich 2021 nicht nehmen lassen, noch im Bundestagswahlkampf gegen den aus seiner Sicht schwachen Unionskandidaten zu sticheln. In der CDU warf ihm einige hinterher vor, den Wahlkampf damit regelrecht sabotiert zu haben, zum unfreiwilligen Wahlkämpfer der Ampel geworden zu sein.
Eigentlich der Bessere
Warum läuft es diesmal allem Anschein nach anders, warum ist die Union in der Kandidatenfrage schon ein Jahr vor der Wahl so geeint? Erstens hat Söder von Merz – inzwischen – eine wesentlich höhere Meinung, als er sie von Laschet je hatte. Die beiden sind politisch auf einer Linie, haben aber auch menschlich nach anfänglichem Fremdeln zueinander gefunden. Das betonen beide auch bei der Pressekonferenz am Dienstag, und wer die beiden über die vergangenen zwei Jahre hinweg beobachtet hat, weiß: Das sind keine Lippenbekenntnisse.
Zwar ist Söder auch weiterhin absolut überzeugt davon, dass keiner im Land so sehr das Zeug zum Kanzler hätte wie er. Selbst der geschätzte Friedrich Merz nicht. Dass dem Franken der Verzicht auch diesmal nicht leicht fiel, zeigt sich auch daran, wie penetrant er am Dienstag in Berlin die eigene Größe unterstreicht: Es gebe viele Ministerpräsidenten in der Union, aber nur zwei Parteichefs.
In einer Koalition finde die politische Macht im Koalitionsausschuss statt, also dort, wo er künftig auch sitzen würde. Und als Kanzlerkandidat wäre er selbst genauso gut geeignet gewesen wie Merz, der ihn übrigens um ganze vier Zentimeter überragt: „Wir haben beide eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung.“
Aber, und das ist ein zweiter Grund für Söders Verzicht: Innerhalb der Union ist sein Ansehen weit weniger schmeichelhaft, als noch vor vier Jahren. Um an Merz vorbeizukommen, hätte er Unterstützer*innen in der CDU gebraucht. Seinen Umgang mit Laschet haben ihn dort aber viele noch nicht verziehen.
Zerstörerisch und uneinsichtig
Beispielhaft war das zu beobachten, als am Montag Abend NRW-Ministerpräsident Wüst in Düsseldorf seinen Verzicht erklärte. „Grundvoraussetzung“ für einen Wahlsieg bei den Bundestagswahlen sei die „Geschlossenheit der CDU und der Union“, sagte er – und attackierte dabei kaum versteckt den Bayern: Bei seiner eigenen Entscheidung, die er „sehr ernsthaft“ abgewogen habe, sei auch die Erinnerung „an 2021“ präsent gewesen – und „so etwas“ dürfe sich „in der Union niemals wiederholen“.
Alles, nur nicht Söder – das ist die Devise der Christdemokraten in NRW. Denn der habe seine zerstörerische Rolle offenbar bis heute nicht aufgearbeitet, habe bis heute keine Gesprächsangebote geliefert, sich nicht entschuldigt, ist an Rhein und Ruhr zu hören.
Warum hat dann aber nicht Wüst selber nach der Kandidatur gegriffen, der in der CDU ein liberales Gegengewicht zu Merz bildet? In den letzten Wochen dürfte ihm klar geworden sein, dass ihm innerparteilich noch das Standing fehlt. Dazu sitzen mögliche Unterstützer wie die CDU-Landeschefs von Niedersachsen und Baden-Württemberg, Sebastian Lechner und Manuel Hagel, längst noch nicht fest genug im Sattel. Denn noch sind beide nur Oppsitionsführer: „Wären sie schon Ministerpräsidenten, sähe die Sache anders aus“, ist in NRW zu hören.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Der Sauerländer Merz ist derzeit einfach zu stark, um von seinem eigenen Heimatverband nicht als Kanzlerkandidat unterstützt zu werden.
Sorge vor Söders Unberechenbarkeit
Nicht umsonst lobte Wüst, der in Umfragen zur Frage des besten Bewerbers mal vor und mal hinter Söder und Merz liegt, den Parteichef am Montag in den höchsten Tönen: Erst Friedrich Merz habe die Bundestagsfraktion wieder „oppositionsfähig“ gemacht und damit auf Augenhöhe mit der Ampel gebracht – und den Christdemokraten ein neues Grundsatzprogramm verschafft, das „uns heute das programmatische Rüstzeug für eine Regierungsübernahme gibt“. Von Merz’ Rechtskurs kann man halten, was man will. Den Richtungsstreit in der Union hat er aber vorerst beendet und würde morgen gewählt, stünden CDU und CSU klar auf Platz 1.
Für Wüst bleibt immerhin noch die Rolle des Kronprinzen und möglichen künftigen Merz-Nachfolgers. „Ein Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen ist immer ein möglicher Kanzlerkandidat. Wer das große Land Nordrhein-Westfalen regiert, muss auch bereit sein, für unsere ganze Nation Verantwortung zu übernehmen“, betonte Wüst deshalb auch noch. „Man sollte niemals ‚nie, nie‘ sagen.“
Natürlich könne der 49 Jahre alte Wüst den heute 68-Jährigen als Kanzler beerben, glauben viele in der NRW-CDU. „Aktuell wird Friedrich Merz Kanzlerkandidat“, sagt etwa der Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels, Dennis Radtke, der als Vertrauter Wüsts gilt. „Aber Hendrik Wüst ist ja noch jung genug, um irgendwann einem Bundeskanzler Merz nachzufolgen.“
Für den 57-Jährigen Söder ist es dann möglicherweise zu spät. Kurzfristig dominiert bei Wahlkämpfern in der Union darum die Sorge: Was, wenn er es doch nicht lassen kann? Was, wenn er wieder provoziert, das Wahlvolk stets subtil wissen lässt, dass es hier eben doch nur die zweite Wahl vorgesetzt bekommen hat – wobei Subtilität im Zusammenhang mit Markus Söder stets ein sehr relativer Begriff ist.
Inhaltlich blass
Die Süddeutsche Zeitung hat es zuletzt besonders schön formuliert: „Volle Loyalität mit dem Kandidaten Merz, ein volles Jahr lang bis zur Wahl – dafür hat der Herrgott diesen Söder eigentlich nicht gebaut.“Im Mittelpunkt steht ab sofort Friedrich Merz – und die Frage, wie er sich im Wahlkampf schlagen wird. Mit seinem Ruck nach Rechts hat er zwar die Union auf einen intern einigermaßen unangefochtenen Kurs gebracht. Wie gedenkt er aber, mit denjenigen Wähler*innen umzugehen, die die CDU einst für Angela Merkel und deren mittigen Kurs gewählt hatten? Welche Machtoptionen bleiben ihm nach der Bundestagswahl neben Schwarz-Rot? Die Tür zu den Grünen hat er anders als Söder zwar nicht zugeschlagen, eine harmonische schwarz-grüne Regierung ist trotzdem auch unter ihm schwer vorstellbar.
Und, schließlich: Was hat er im Wahlkampf inhaltlich zu bieten? Auf der Pressekonferenz am Dienstag bleibt der designierte Kandidat neben Söder blass, kaum einer seiner Sätze bleibt hängen. Das Thema Migration, dass Merz selbst in den letzten Wochen so groß gemacht hat, bleibe wichtig. Aber: „Es wäre mein Wunsch, dass es nicht das Hauptthema im Bundestagswahlkampf 2025 wird.“ Ins Zentrum wolle er stattdessen die Wirtschaftspolitik stellen: „Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist prekär“, so Merz.
Und sonst? Wie will er beispielsweise der Klimakrise begegnen? Und hält er die CDU auch nach den Landtagswahlen im Osten in ihrer Solidarität mit der Ukraine zusammen? Es sind so einige Fragen, die sich an diesem Dienstag aufdrängen – beantworten will Merz sie aber vorerst nicht.
Wofür steht Merz?
Finanzen: Bremse lockern
Bei der Finanzpolitik muss man bei Friedrich Merz zwischen Schein und Sein unterscheiden. Im Wahlkampf wird er darauf dringen, dass die Schuldenbremse eingehalten wird. Doch falls er Kanzler werden sollte, wird er sie sofort reformieren. Schließlich braucht er Geld, um zu regieren. Unionsintern wäre diese Kehrtwende kein Problem: Längst sind die meisten Unions-Ministerpräsidenten dafür, die Schuldenbremse zu entschärfen – weil sie in ihre Infrastruktur investieren müssen.
Merz besteht jetzt nur auf der Schuldenbremse, um die Ampel handlungsunfähig zu machen und bei den Wählern zu diskreditieren. Als Kanzler wäre er sofort dafür, Investitionen durch Schulden zu finanzieren. Ansonsten träumt Merz davon, die Steuern für die Unternehmen drastisch zu senken. Das dürfte schwierig werden, weil Steuergesetze durch den Bundesrat müssen – wo Grüne und SPD eine Vetomacht haben. Ulrike Herrmann
Soziales: Völlig abgehoben
Selbsteinschätzung ist nicht gerade die Stärke des einstigen Blackrock-Lobbyisten. Nicht nur, dass sich der Millionär selbst zur „gehobenen Mittelschicht“ zählt, unvergessen sind auch die Fotos von ihm im Privatjet, mit dem er zur Hochzeit von Finanzminister Lindner nach Sylt düste. Im wahrsten Sinne des Wortes: Abgehoben! Wer von so weit oben auf die Gesellschaft schaut, dem können auch schon mal die Maßstäbe verrutschen.
Stichwort Bürgergeld, das er gern als bedingungsloses Grundeinkommen betitelt. „In jedem zweiten Betrieb sagen Mitarbeiter: Ich gehe jetzt ins Bürgergeld“, behauptete Merz jüngst ohne Belege. Aber es passt halt in die sozialpolitische Rückwärtsrolle der Union. Sparen bei den Ärmsten, lautet die Devise. Immerhin: Der Rente mit 70 hat er eine Absage erteilt. Vielleicht war es politisches Gespür. Vielleicht wollte Merz auch nur nicht, dass ihn jemand in zwei Jahren in Rente schickt. Jasmin Kalarickal
Migration: Der Merz schlägt rechts
Er wollte die Ergebnisse der AfD halbieren und Politiker aus der Partei ausschließen, wenn sie mit den extrem Rechten zusammenarbeiten. Heute ist die AfD stärker denn je und die Brandmauer bröckelt vor allem auf kommunaler Ebene weitgehend unbemerkt. Beim Höhenflug der Rechten half auch Merz mit. Zutaten: Einprügeln auf die Grünen, rassistische Ausfälle gegen vermeintliche „kleine Paschas“ und die Rede von Asylbewerbern, die Deutschen die Zahnarzttermine wegnehmen.
Merz sprach zuletzt von einer „nationalen Notlage“ in der Migrationspolitik und forderte einen Aufnahmestopp für Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan. Er will außerdem Geflüchtete an den Grenzen zurückweisen, wenn sie in anderen EU-Staaten registriert wurden. Zwischenzeitlich bezeichnete Merz die CDU gar als „AfD mit Substanz“, was ihm hinterher etwas peinlich war. Frederik Eikmanns, Gareth Joswig
Klima: Behäbig und widersprüchlich
Klimapolitik hält Friedrich Merz in der politischen Debatte für überbewertet. Das heißt aber nicht, dass er gar nichts gegen die Erderhitzung unternehmen will. Nur, dass die Zeit drängt, findet er nicht. In den kommenden zehn Jahren die Weichen für Klimaneutralität zu stellen, reiche aus, erklärte er kürzlich.
Aber: Der CDU-Chef ist durchaus für Überraschungen gut. Nachdem Merz monatelang gegen Wärmepumpen und das Heizungsgesetz der Ampel gewettert hatte, beschwerte er sich bei der Eröffnung eines Weiterbildungszentrums für Heizungsinstallateure darüber, dass zu wenige der klimafreundlichen Heizungen eingebaut worden seien.
Immer wieder hat Merz angekündigt, das Heizungsgesetz zurückzudrehen, wenn er regiert. Er sagt aber auch, die Union stehe hinter der begonnenen Wärmewende. Für viele Christdemokrat:innen ist Klimapolitik wichtig – als Bewahrung der Schöpfung. Auf die muss Merz Rücksicht nehmen. Das wiederum könnte eine Brücke zu den Grünen bauen. Anja Krüger
Frauen: Kandidat für alte Herren
„Ich habe nie gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe gestimmt, wie immer wieder gezielt und bösartig behauptet wird“, schreibt Friedrich Merz 2020 auf Facebook. Nun ja: 1997 stimmte er im Bundestag sehr wohl gegen einen eigenen Straftatbestand, begründet das heute aber mit einer Diskussion über eine Widerspruchsklausel. Die sah vor, dass das mutmaßliche Opfer eine Anzeige zurückziehen kann, weshalb letztlich über ein Gesetz ohne Klausel abgestimmt wurde.
Das hätte er nicht haben wollen, so Merz, und er schreibt: Aus heutiger Sicht würde er anders abstimmen. Fakt ist, dass Merz ohne Frauen „keine Wahl mehr“ gewinnt, wie er 2022 selbst sagte. Im selben Jahr stimmte er für die Einführung einer Quote in der Union. Doch er bleibt ein Altherrenkandidat, wie eine Umfrage vom März zeigt. In allen Altersgruppen ist er bei Frauen deutlich unbeliebter als bei den Männern. Von den Frauen zwischen 18 und 29 Jahren würden nur 9 Prozent für ihn stimmen. Patricia Hecht
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