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Friedrich Merz über Berlin-KreuzbergEin Code für Rassismus

Der Kandidat für die CDU-Spitze sucht sich sein Publikum. Er findet es im thüringischen Apolda und bedient dabei gefährliche Ressentiments.

Das Epizentrum des abendländischen Untergangs: Berlin-Kreuzberg Foto: Christoph Soeder/dpa

Berlin-Kreuzberg also. Die Hetzer sind nicht nur bei der AfD zu Hause, was vielen Bürgern hierzulande ja ganz recht wäre, sieht man ihre Neigung, das Problem des Rassismus auf den offiziellen parlamentarischen Arm des Rechtsextremismus auszulagern. Die Hetzer haben auch in der Partei Helmut Kohls und Angela Merkels ein Zuhause. Friedrich Merz, der gerade den mächtigsten Posten innerhalb dieser „Volkspartei“ anstrebt, qualifiziert sich gerade als deren Sprachrohr.

Wer er ist und was ihn für viele Konservative so reizvoll macht, die sich selbst nicht als Wutbürger, sondern traditionsbewusste Bürgerliche sehen, demonstriert Merz in den vergangenen Tagen am laufenden Band. Es sind keine Ausrutscher, es ist durchdachtes Kalkül, ein Machtspiel, das Menschen wie er im Zweifelsfall auch auf Kosten von Menschenleben spielen, siehe Hanau.

Nur wenige Tage nach dem rechtsextremen Anschlag von Hanau, bei dem Menschen an einem im Zusammenhang vermeintlicher oder echter Kriminalität lange geschürten, rechten Feindort Shishabar getötet wurden, twitterte Merz von rechtsfreien Räumen und Clanstrukturen, die es aufzubrechen gelte. Während der Pressekonferenz am Dienstag, bei der er seine Kandidatur erklärte, stellte ein Kollege eine präzise Frage: Ob Merz Rechtsextremismus mit der stärkeren Thematisierung von Clankriminalität und Grenzkontrollen bekämpfen wolle. „Die Antwort ist ja“, antwortete Merz mit kaltem Blick.

Zwei Tage später sprach er dann beim politischen Aschermittwoch in Apolda. Dort sagte er: „Das ist hier nicht Berlin-Kreuzberg, das ist mitten in Deutschland.“ Gerade in Thüringen sagte Merz das. Gerade nach Hanau.

Kein Versehen

Berlin-Kreuzberg. Ein bewusst verwendeter Code, den Merz nicht aus Versehen in Thüringen abruft. Der Code ist rassistisch: Berlin-Kreuzberg ist dieser türkisch geprägte Ort in Berlin, dessen Zentrum „Merkezi“ in leuchtenden grünen Lettern auf Türkisch ausgewiesen ist; der Ort, wo man an jeder Ecke türkische Sprachtfetzen aufschnappt.

Der Code ist außerdem antisemitisch: weil Kreuzberg ein Resultat von moderner Urbanität ist, von vielfachen Interaktionen, grenzenlosen Bewegungen, der Fluidität des Großstadtlebens – all das steht für Rechtsextreme, aber auch für Konservative wie Merz für verhängnisvolle Entwurzelung, Heimat- und Traditionslosigkeit, abstraktes Leben. Als Gegensatz dazu, und deshalb ist es entscheidend, dass Merz diesen Satz gerade in Thüringen getätigt hat, beanspruchen sie Traditonsbewusstsein, Verwurzelung, Heimat. Ein konstruierter Gegensatz, der antisemitisch ist, weil in der Ideologie des Antisemitismus, im Nationalsozialismus, das Jüdische als abstrakt, modern, kosmopolitisch fantasiert wird, das Landleben dagegen als konkret, greifbar, deutsch.

Dieser antimoderne Gegensatz wird von neurechten Extremisten wie der sogenannten „Identitären Bewegung“ mobilisiert, die dann vom „großen Austausch“ in den Metropolen schwadronieren. Vieles weist darauf hin, dass der Täter von Hanau die Idee hatte, dass man diesen halluzinierten Vorgang nicht mehr rückgängig machen könne und deshalb zur Waffe greifen und töten müsse. Und Merz mobilisiert das Bild des großstädtischen Verfalls nun für seinen Wahlkampf. Das ist der diskursive rote Faden, der sich nach Hanau durch Konservatismus und Rechtsextremismus zieht. Denn Berlin-Kreuzberg steht für das, was in Hanau angegriffen wurde.

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14 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Diffenzierung würde Journalisten gut zu Gesicht stehen, ist aber auch in der taz immer weniger gefragt. Dieser Beitrag ist so haarsträubend zusammenassoziiert, dass sich die Donnerbalken des linken Gesinnungsjournalismus bis zur Bruch- (oder Brech- ?) grenze biegen.

    Was ist denn die Ursache für die Entstehung der AfD, einem Sammelbecken von Leuten, die früher als bürgerlich-konservativ noch akzeptiert wurden und später aus der sich wandelnden CDU verdrängt wurden? Es ist die Übernahme linker und grüner Narrative durch die politischen Mitte. Diese Verdrängten versucht die CDU zur Zeit wieder ins Boot zu holen, statt sie in der gefährlichen Allianz mit Rechtsextremisten zu lassen.

    Für die Demokratie, die das gesamte politische Spektrum abzubilden hat, ist es wenig hilfreich, den Merz, der nicht nur für ganz Linke eine Hassfigur ist, gleich mit in den großen Nazisack zu stecken. Abgesehen davon, dass es die Mitglieder der CDU sind, die den Parteivorsitzenden wählen: wenn die CDU mit ihm als Vorsitzenden der AfD Stimmen abnähme, wäre das doch nicht so schlecht, oder? Der demokratisch legitimierte Weg, die AfD loszuwerden, ist das Zurückholen der Wähler in die anderen Parteien. Erst wenn die tatsächlich Rechtsextremen dort unter sich bleiben, hat ein Verbot eine Chance.

    Linke, die sich über den Blackrock-Mann aufregen, sollten ihm stattdessen dankbar für die Wahlhilfe sein.

  • Armes Apolda . Den Durchschnittsverdiener Merz hat meine Nachbarstadt mit großer industrieller Tradition wahrlich nicht verdient.

  • Als im benannten Gebiet lebende Person kann ich Herrn Merz bescheinigen, vom Stadtteil keine Ahnung zu haben. Wenn seine Wirtschaftspolitik genau so wie seine Kenntnis der Gesellschaft ist, wird es ein lustiger Absturz.

  • Merz will die CDU der 80er wieder beleben. Dazu gehören solche Aussagen. Das ist CDU pur.

  • Kann ich prinzipiell unterschreiben. Merz steht für ein zynisches Konzept der CDU/CSU als AfD-Light, das schon längst gescheitert ist, wie Herr Seehofer u.a. überzeugend vorgeführt haben.

  • Die pauschale Assoziierung eines abstrakten Konzepts mit einer Volksgruppe ist nicht zulässig. Kosmopolitismus ist logisch nicht mit dem Judentum verbunden, genausowenig wie Kapitalismus. Daher sind auch Antikapitalismus oder Provinztümelei nicht automatisch antisemitisch. Die Grundsätze der Logik gelten auch noch in der Postmoderne.

    • @El-ahrairah:

      Ich kann in dem Artikel der Antisemitischen Argumentation nicht folgen und finde es konstruiert zu sagen , weil Kreuzberg den Cosmopolitan Identität hat ist eine Aussage gegen Kreuzberg antisemitisch . Insofern stimme ich glaube ich dem obigen kommentar zu und finde hier wird eine Zuschreibung vom Autor gemacht , die ein sehr abstraktes Thema einer Volksgruppe zuschreibt und daraus antisemitismus herleitetet.

      Außerdem würde ich sagen das der Kreuzberg-Code wiederum andere Dinge beinhaltet , die in dem Artikel keine Beachtung bekommen haben - wie z.B linker Widerstand, aber auch natürlich türkische Migration da stimme ich vollkommen zu und daher ist kurz nach Hanau Stimmungsmache gegen einen türkisch geprägten Bezirk schon platziert .

  • Mit Herrn Merz hat weder die CDU noch Deutschland eine Zukunft. Der "Aufbruch" des Herrn M. führt lediglich zurück in die Steinzeit, wo nur die Rendite der Aktionäre zählt. Ein ewiger Kandidat, der jedes mal verliert. Den eine Frau, die Bundeskanzlerin, vor die Tür setzte.



    Von den wirklichen Herausforderungen der Zeit, hat Herr M. doch keinerlei Ahnung, wie Globalisierung, Digitalisierung, Energiewende, sozialer Marktwirtschaft, Klimawandel, Altersarmut, usw. Man stelle sich einmal vor wie ein Herr M. in den außenpolitischen Herausforderungen und Konflikten agiert. Das einzige was man hört ist das "Versprechen" die Afd zu halbieren. Das kann Herr M. auch als einfaches CDU-Mitglied angehen, evtl. mit einem Mandat als Beauftragter. Apropos "Versprechen". Was hat nicht alles das jetzige Vorsitzenden-Duo der SPD alles an suggestiven Versprechen abgegeben. Nichts von übrig. Mit Herr M. an der Spitze kann nicht nur die CDU alles verlieren, sondern auch die Republik.



    Da ist selbst ein Herr Trump noch moderater und vorzuziehen.

  • Der vorletzte Absatz scheint einem einem feuitonistischen Völlegefühl entsprungen zu sein, dass ich ansonsten nur aus kulturanthropologischen Seminaren oder der 'Zeit' kenne.

    Antisemitismus ist für mich dann doch etwas mehr als das Landleben & Tradition der fluiden Metropole vorzuziehen.

    Ansonsten: Natürlich ist Friedrich Merz eine Knalltüte. Schließlich ist er Sauerländer. Und jetzt ein Lied:

    "Sauerland, mein Herz schlägt für das Sauerland,



    Begrabt mich mal am Lennestrand.



    Wo die Misthaufen qualmen, da gibt's keine Palmen.



    Sauerland, mein Herz schlägt für das Sauerland,



    Vergrabt mein Herz im Lennesand,



    Wo die Mädchen noch wilder als die Kühe sind."

    • @pitpit pat:

      Berlin-Kreuzberg ist wirklich eine Chiffre in rechten bis rechtsradikalen Kreisen.

      Die Nazis geben sich da ganz unverblümt.

      [...]

      Das ist natürlich nicht der Duktus von März. Er will auch kein Strichnin, aber er will auch kein Kreuzberg.

      In wieweit das alles antisemitisch aufgeladen ist, das weiß ich jetzt auch nicht so genau.

       

      Kommentar bearbeitet. Sorry, aber wir wollen keine rechten Songtexte auf unserer Seite. Lieben Gruß

    • @pitpit pat:

      Kann man gegen die Großstädte in der BRD Kanzler werden? Mit 11% wie in Hamburg wohl eher nicht, oder?

      • @Wiekum:

        Gegen Großstädte, also alle über 100.000 Einwohner wohl nicht. Geben sie drei Metropolen Berlin, Hamburg, München - ja.

  • 0G
    06360 (Profil gelöscht)

    In Hamburg ist es "die Hafenstraße", in Berlin eben "Kreuzberg".



    Haben nicht die Bewohner selbst dafür gesorgt, dass sie "anders" sind und sein wollen als normale Bundesbürger?

  • Merz ist - in jeder Beziehung - noch in den 80ern, als es eher die Ausnahme als die Regel war, wenn das, was ein Politiker hinter den 7 Bergen auf dem Dorf an geistigen Ergüssen produziert, eine große Öffentlichkeit erreichte. Der Mann ist der lebende Beweis, dass Merkel Recht hatte, als sie meinte "Das Internet ist für viele Neuland".



    Ansonsten nur eine weitere von vielen, vielen Peinlichkeiten, die der Sauerländer (sic!) in den letzten 30 Jahren produziert hat. Stichworte: Mittelschicht, 132 Euro, "Leitkultur", etc. pp