piwik no script img

Friedensnobelpreis für die UkraineFreude und Frust

Viele Ukrainer begrüßen die Auszeichnung. Aber es gibt auch Kritik: Sie wollen nicht in einem Atemzug mit Russland und Belarus genannt werden.

Die beiden Projekt-Koordinatorinnen Natalia Yashchuk und Anna Popova freuen sich über den Preis für „ Center for Civil Liberties“

Berlin taz | „Jetzt sprechen die Armeen, weil früher die Stimmen der Menschenrechtler in unserer Region nicht zu hören waren. Wenn wir nicht in einer Welt leben wollen, in der die Regeln von demjenigen bestimmt werden, der über die stärkste Armee verfügt, sondern von der Rechtsstaatlichkeit, muss dieser Zustand geändert werden“, kommentierte Oleksandra Matwijtschuk, Vorsitzende des ukrainischen Zentrums für bürgerliche Freiheit (CCL), die Verleihung des Friedensnobelpreises – der erstmals in die Ukraine ging.

Trotz der Freude über die Auszeichnung gab es unter Ukrainern auch heftige Diskussionen über die Entscheidung des Nobelpreiskomitees, den Friedenspreis gleichzeitig an Menschenrechtsaktivisten aus drei Ländern – Russland, Belarus und der Ukraine – zu vergeben.

Der Kern des Problems sind jedoch nicht die Namen der Preisträger – die russische Menschenrechtsorganisation Memorial und der inhaftierte belarussische Menschenrechtsanwalt Ales Bjaljazki. Viele derer, die jetzt in der Ukraine diese Entscheidung kritisieren, unterstützen im Grunde die Auszeichnung von Memorial und Bjaljazki.

Auch in der Ukraine sind viele der Meinung, dass ihre Arbeit und ihr Kampf für Menschenrechte und Freiheit in ihren Heimatländern zweifellos größten Respekt verdienen. Der Stein des Anstoßes ist vielmehr, dass die Ukrainer von der Welt nicht länger im direkten Zusammenhang mit Russland und Belarus wahrgenommen werden wollen. Sie betrachten den Kampf für Menschenrechte in den drei Ländern nicht als gleichwertig.

Tödliche Raketen

In Belarus und Russland kämpfen Menschenrechtsaktivisten für die Rechte von Menschen, die in einer Diktatur leben. In der Ukraine hingegen dokumentieren sie Kriegsverbrechen eben dieser Diktaturen, weil auch weiterhin Raketen aus Richtung Russland und Belarus auf die Ukraine abgefeuert werden und friedliche Menschen töten.

Die Ukrainer sind unzufrieden, weil sie glauben, dass der Westen immer noch das Narrativ der brüderlichen Freundschaft zwischen den drei Nationen bedient, wie auch das Nobelpreiskomitee bei der Begründung seiner Entscheidung betonte. Aber die Ukrainer wollen mit ihrer Kritik gehört werden: Sie selbst sehen sich nicht mehr in diesem Zusammenhang, doch der Westen lebt immer noch mit dieser Vorstellung. Dies ist vielleicht der Hauptgrund für die ukrainische Unzufriedenheit.

Damit die Welt dies endlich begreift, haben einzelne Vertreter der ukrainischen Zivilgesellschaft sogar dafür plädiert, dass die ukrainischen Preisträger auf den Preis verzichten sollten. Doch die Preisträger des Zentrums für bürgerliche Freiheit ziehen dies nicht in Betracht, da sie die beiden anderen Ausgezeichneten als ihre Freunde und Partner betrachten

Ausschluss aus dem UN-Sicherheitsrat

Trotzdem ist Oleksandra Matwijtschuk der Meinung, dass Russland wegen systematischer Verletzung der UNO-Menschenrechtscharta aus dem UNO-Sicherheitsrat ausgeschlossen werden sollte und dass man Russlands Präsidenten Wladimir Putin, den belarussischen Staatschef Alexander Lukaschenko sowie anderen Kriegsverbrecher vor ein internationales Kriegsverbrechertribunal stellen sollte.

„Ohne dies kann es keinen dauerhaften Frieden in unserer Region geben“, sagt die ukrainische Menschenrechtlerin und fügt hinzu: „20 Jahre Erfahrung im Kampf für Freiheit und Menschenrechte haben mir gezeigt, dass einfache Menschen viel mehr Einfluss haben, als ihnen bewusst ist.“

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • So langsam verspielt die Ukraine ihr Sympathiekapital, oder?

    • @miri:

      Ganz klar. Da scheint großer Nationalismus vorzuherrschen und ein Unverständnis darüber, um was es bei dem Preis geht.

  • "Der Stein des Anstoßes ist vielmehr, dass die Ukrainer von der Welt nicht länger im direkten Zusammenhang mit Russland und Belarus wahrgenommen werden wollen. Sie betrachten den Kampf für Menschenrechte in den drei Ländern nicht als gleichwertig." (Magasowa)



    Die Ukraine und Russland liegen miteinander im Krieg gerade weil es unleugbare historische Zusammenhänge zwischen ihnen gibt. Der Kampf der mit dem Nobelpreis Ausgezeichneten in allen drei Ländern richtet sich an (bzw. gegen) den selben Adressaten. Aber das Engagement russischer und belarussischer Menschenrechtsaktivisten und NGOs soll weniger wert sein als das ukrainischer?



    Seid mir nicht böse, aber diesen giftigen ukrainischen Nationalismus gepaart mit theatralischen Heroismus und antirussischen Rassismus finde ich mittlerweile ebenso brechreizerregend wie den großrussischen Nationalismus und Imperialismus.

  • Es gibt m.E. keine Opfer 1. Klasse - es gibt nur gleiche Menschenrechte. Alles andere mündet wieder in Nationalismen.