Giftanschlag auf kremlkritische Zeitung: „Gefährlich für Leib und Leben“

Der Anschlag auf die Moskauer Zeitung hat Ähnlichkeiten mit jenen aus der Vergangenheit. Chefredakteur Muratow fordert eine schnelle Aufklärung.

Nahaufnahme des "Nowaja Gazeta"-Chefredakteurs Dimitry Muratov

Von konservativen Kräften kritisch beäugt: „Nowaja Gazeta“-Chefredakteur Dimitry Muratov Foto: Sergei Karpukhin/reuters

MOSKAU taz | Auf die Redaktion der unabhängigen kremlkritischen Zeitung Nowaja Gaseta wurde am vergangenen Montag in Moskau ein Anschlag verübt. Ein starker chemischer Gestank breitete sich in den Redaktionsräumen aus.

Mitarbeiter von Innenministerium und Geheimdienst konnten vor Ort die Zusammensetzung der chemischen Substanz jedoch nicht sofort ermitteln. Angeblich bewegen sich die giftigen Werte unterhalb des Grenzbereichs. Bislang hat auch kein Mitarbeiter Schaden genommen. Chefredakteur Dmitri Muratow forderte alle staatlichen Stellen der Hauptstadt auf, zusammen mit der Zeitung die Hintermänner des Anschlags zu ermitteln.

Die Mitarbeiter wurden aus Sicherheitsgründen am Montag nach Hause geschickt. Eine erste Spur wurde auf einem Video vor dem Redaktionsgebäude bereits entdeckt. Ein Fahrradkurier schob vor der Redaktion sein Fahrrad ganz langsam vorbei, hielt kurzzeitig inne, während mehrere Wolken eines Gemischs aus dem Bereich des Hinterrads austraten.

Danach verschwand der in eine gelbe Regenhaut gekleidete Kurier aus dem Bild. „Sind die Sicherheitsdienste und IT-Experten mit Zehntausenden Kameras in der Lage, den potenziellen Terroristen zu fassen?“, fragt das Blatt auf seiner Website skeptisch.

Ähnlichkeiten mit Anschlag auf Journalistin Julia Latynina

Das oppositionelle Blatt, zu dessen Eigentümern auch der ehemalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow gehört, war schon häufiger Ziel von Angriffen. 2006 wurde die bekannte Journalistin Anna Politkowskaja von tschetschenischen Mördern in ihrem Hausflur erschossen. Auch andere investigative Journalisten bezahlten mit dem Leben.

2018 stand ein Korb mit abgetrenntem Hammelkopf vor der Tür. „Mit besten Grüßen an den Chefredakteur“, so das Begleitschreiben. Es ging um einen der Stellvertreter Muratows, der Jewgeni Prigoschin, einem Vertrauten des Kreml, unangenehm aufgefallen war. Prigoschin ist auch Finanzier der Söldnergruppe Wagner, gegen deren Mitarbeiter die russische NGO „Memorial“ wegen des Mordes an einem gefangenen Syrer gerade klagt. Die Nowaja hatte sich soeben des Themas angenommen.

Mitarbeiter der Zeitung wollen Ähnlichkeiten mit dem Anschlag auf die Nowaja-Journalistin Julia Latynina 2017 auf ihrer Datscha vor den Toren Moskaus entdeckt haben, die daraufhin für einige Monate das Land verließ. Der Gestank soll ähnlich sein. Der Stoff wurde von einem unabhängigen Labor als „hochgradig gefährlich für Leib und Leben“ bewertet.

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