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Freiheitskampf in der Ukraine und IranAngst als faule Ausrede

Mutlosigkeit ist ein Luxus, den sich Ukrainer und Iranerinnen nicht leisten können. Von ihnen sollten wir lernen, an die Kraft zum Wandel zu glauben.

Bewohner von Cherson feiert ukrainischen Soldaten nach der Befreiung der Stadt im November Foto: Efrem Lukatsky/ap

M uss nur noch kurz die Welt retten, sang Tim Bendzko vor über zehn Jahren, und gefühlt lief dieser Song seit einem Jahrzehnt in Dauerschleife und machte die Runde um die Welt: Fast alle sind für irgendeine Weltrettung zuständig, und obwohl ich dankbar bin für jene Menschen, die unermüdlich wirken, macht sich in meinem Kopf zum Ende des Jahres die vollkommene Weltrettungsmüdigkeit breit, obwohl ich weiß, davon kommt nichts.

Ich versuche meistens auch, den Funken Hoffnung zu finden, die Handlungsfähigkeit des Einzelnen zu betonen, an die vereinte Kraft der vielen zu glauben. Vielleicht ist es zum Ende des Jahres aber auch möglich, gewisse Gefühle von Mut- und Machtlosigkeit auszusprechen, statt immer nur den Mutmuskel zu beschwören, wie so viele das derzeit notgedrungen tun. Zum Ende des Jahres das Zweifeln eingestehen, auch jene Momente zuzulassen, in denen ich denke, es führt doch alles zu nichts.

Warum sollte ich mich nicht einem Moment lang der Dystopie hingeben, zumal mich das neue Jahr mit seinen guten Vorsätzen bald schon einholen wird. Es gab zu Beginn dieses Jahres drei Tage, in denen mich Gefühle von Mut- und Machtlosigkeit völlig in Besitz nahmen.

Das war, als die ersten Bilder von russischen Panzern zu sehen waren, wie sie auf Kiew zurollten; ein taubes Gefühl von Ohnmacht, das sich einstellte, weil man denkt, man hat das Leid, das auf solche Bilder folgt, schon einmal gesehen und niemand wird es verhindern. Man zuckt nach dem Massaker von Butscha nur mit den Schultern, weil es niemand verhindert hat, es war ja vorhersehbar.

Mehr Respekt für die Ukrainer

Es sind Momente, in denen Begriffe wie Weltgemeinschaft wie Hohn erscheinen. Man könnte sich in Zynismus flüchten, bis man die Ukrainer selbst kämpfen sieht, bis man sieht, wie die Menschen dort die Kraft finden, sich zur Wehr zu setzen und uns so in die Pflicht nehmen: Wie können wir, die wir in Frieden leben, in Mutlosigkeit verharren, wenn die Ukrainer an der Hoffnung festhalten? Ist es für uns, die wir in Frieden leben, zu viel verlangt, mit den Kämpfenden zu hoffen?

Es hätte im deutschen Diskurs dieses Jahr viel mehr Respekt geben sollen vor dem Mut der Ukrainer, anstatt dass wir Debatten darüber führen mussten, wie viel Angst manche in Deutschland vor Putin haben. Die Debatten über die Ukraine zeigten, wie bequem wir Deutschen es uns gemacht haben mit unseren Ängsten, wie legitim es geworden ist, die eigenen Ängste öffentlich zu betrachten und sie trophäenartig als Entschuldigung für Handlungsunfähigkeit anzuführen.

Wer Angst hat, muss nicht handeln, wer Angst hat, der muss seine eigenen Ängste tätscheln. In den deutschen Dauerschleifen der Pseudodifferenzierung entsteht jedoch nichts als Lethargie. Manchmal, wenn deutsche Diskurse in dieser Selbstreferenzialität jedes Handeln zum Erliegen bringen, spüre auch ich, wie das Nichthandeln zur reizvollsten, selbstgefälligsten Option wird, weil man nicht mehr daran glaubt, etwas bewegen zu können.

In diesem Sinne war die Radikalität der Letzten Generation, ganz gleich wie umstritten manche Aktionen sind, ein Hoffnungsschimmer inmitten einer politischen Landschaft, in der sich die meisten mit den Beharrungskräften längst arrangiert haben. Sie lassen sich in ein Gefängnis sperren, obwohl sie wissen, dass es diese Gesellschaft mehrheitlich nicht interessieren wird, denn die klebt an ihren Routinen und würde lieber die Welt untergehen sehen als ihre liebgewonnen Gewohnheiten.

Machtlos zusehen müssen

Wenn in Deutschland Menschen, die für das Klima kämpfen, plötzlich zur RAF erklärt werden können, während Rechtsextreme und das Ausmaß ihrer Gewalt oft jahrelang im Verborgenen den Staat bedrohende Strukturen schaffen können, dann überrollt mich ein Gefühl von Mutlosigkeit, weil es zeigt: Auch ohne Horst Seehofer lebt der Irrsinn beliebiger Hufeisenvergleiche weiter.

Es war ein Jahr, in dem ich oft Angst hatte, meinen Twitter- oder Instagram-Account zu öffnen, weil die Freiheitskämpferinnen im Iran ihre Geschichten auf den sozialen Plattformen in die Welt setzten. Ja, die verfluchte Angst, die ich anderen so gerne ankreide, die mich überkommt, wenn ich weiß, ich sehe Bilder und Videos von Menschen, die um ihr Leben kämpfen und ich kann nicht viel mehr tun, als ihre Gesichter in meinen Texten teilen, eine Petition unterschreiben oder Menschen loben, die ihre Geschichten verbreiten helfen.

Nichts davon wird viel ändern. All die Momente, in denen es mir peinlich war, dass sich meine Hilfe im Teilen von Social-Media-Posts erschöpfen sollte, und doch schrieben Iranerinnen: „Thank you for being our voice.“ Jenseits des Zynismus, jenseits der Abgeklärtheit glauben sie an die Veränderung zum Besseren, während wir in den freieren Teilen der Welt den Kopf über ihre Freiheitsbewegung beugen und richten, ob sie es dieses Mal schaffen, das Regime zu stürzen oder ob es „wieder nur“ ein Aufbäumen ist.

Bild: Dorothee Piroelle
Jagoda Marinić

ist Schriftstellerin, Dramatikerin und Kolumnistin. Sie lebt in Heidelberg und ist Mitglied des PEN-Zentrums. Ihr letztes Buch, „Sheroes. Neue Hel­d*in­nen braucht das Land“, erschien 2019.

Die Bilder aus Afghanistan, die zeigen, wie die Taliban in Schulen tanzen, weil sie Mädchen und jetzt auch Frauen den Zugang zu Universitäten verweigern. Ich denke dabei auch an deutsche Soldaten, die dort im Einsatz waren, die ihre Lebenszeit gaben, weil sie dachten, sie bauen ein lebenswerteres Afghanistan auf. Diese Mutlosigkeit, wenn ich denke, alles, was man tun kann, ist das Elend der Welt über Posts und Kacheln mit in die Welt zu schreien, weil auch ich kurz die Welt retten will, wie viele andere auch.

Ich wünsche mir fürs nächste Jahr, dass wir mehr Kraft finden, die Welt nicht nur zu retten, sondern eine neue Ordnung zu schaffen. So mutlos, dass ich vergesse, jeder entscheidende politische Wandel ging von Menschen aus, bin ich selbst Ende des Jahres nicht. Wir müssen nur noch lernen, so sehr an die Kraft zum Wandel zu glauben wie jene Menschen, die in Regimen leben, in denen sie alles für ihre Überzeugungen aufs Spiel setzen.

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26 Kommentare

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  • Jammern auf "hohem" Niveau. Die Dame vergisst, dass es in Deutschland sehr viel Elend gibt. Mehr als 10.000 Obdachlose in Berlin. Die haben keine Kraft zum Jammern!!!

  • Wieder einmal stimme ich Jagoda zu, auch wenn ich selber einmal an den passiven Wiederstand und zivilen Ungehorsam geglaubt habe. Die Berichte über Folterkeller in der Ukraine, über Angriffe auf Wohnhäuser, die Repressalien gegen Frauen im Iran und in Afghanistan durch Männer an der Macht, lassen mich den pasiven Wiederstand aber immer mehr als zu stumpf erscheinen. Verbrecher hält man nicht auf, wenn man sich wehrlos gibt. Und Menschen sterben auch, wenn es keine Gegenwehr gibt.



    Jede/r sollte sich in seinem Rahmen wehren, was nicht bedeutet, das wir uns jetzt bewaffnen und in die Ukraine fahren. Aber auf die Parteien in D können wir einwirken, das Waffen geliefert werden. Wir können Geld an Hilfsorganisationen geben.



    Und täglich gegen die Brutalität der Russischen Gesellschaft Argumentieren!

  • Danke für diesen Artikel.



    In der Tat konsumieren die Deutschen nur noch die demokratische Werte. Dafür einsetzen im Inland und tun sie meist nicht mehr.

    • @Max Sterckxc:

      Was für ein überflüßiger Kommentar. Die 10.000 Obdachlosen in Berlin konsumieren sicher die "demokratischen Werte" in der Gosse.

  • Einen Mangel an Durchhalteparolen und Mutmachparolen kann ich in diesem Jahr in der deutschen Presse nicht feststellen.

    Auch mangelnden Respekt für die Ukrainer*innen kann ich nicht erkennen.



    Von daher ist mir nicht klar, wer gemeint ist, wenn in dem Beitrag pauschal "unsere" Haltung beschrieben wird.

    Die Überschrift "Angst als faule Ausrede" sagt eher etwas über das Menschenbild der Autorin aus.

    Um mal nicht von "unserer" Angst zu reden:



    Ich bewundere z.B. den Mut der Frauen , die im Iran und Afganistan für ihre Rechte kämpfen. Das gleiche gilt für Menschen, die in der Ukraine für ihre Heimat kämpfen.

    Gleichzeitig respektiere ich Soldaten die aus Angst desertieren, oder Frauen und Männer, die vor Krieg und Unterdrückung fliehen anstatt zu kämpfen.

    Die gleiche Angst, ob durch mögliche Bedrohungen, oder dem Gefühl von Machtlosigkeit ausgelöst, gestehe ich jedem hier in Deutschland zu.

    Wir sollten darauf achten, dass wir die unterschiedlichen Empfindungen, Haltungen und Ansichten Einzelner hier bei uns im Land mit mehr Respekt begegnen - dann klappt das auch noch besser mit dem Respekt für Menschen in der Ukraine oder anderswo.

    • @Bürger L.:

      Unterschreib ich sofort!

    • @Bürger L.:

      Danke für Ihren Beitrag. Spricht mir aus dem Herzen.

    • @Bürger L.:

      Chapeau! Sehr guter kommentar

  • Angst essen Seele auf. Wahrlich keine neue Erkenntnis, aber irgendwie in Vergessenheit geraten. Danke für wieder ins Gedächtnis rufen.

    • @metalhead86:

      Allerdings haben nicht nur "die Deutschen" Angst. Diese Woche wurde in der Ukraine die Strafen für Deserteure verschärft. Anscheinend wird dieses "Problem" des Desertierens größer; nicht alle Soldaten (zumeist Männer) sind begeistert davon, im Dreck rumzukriechen, töten zu müssen bzw. getötet zu werden.

      • @resto:

        Ich würde auch desertieren als Mann und meine Söhne gäb ich auch nicht(um mit Reinhard Mey`s Worten zu sprechen)!!!

  • Sie haben Recht, Frau Marinic, danke für Ihren Beitrag.

  • Als der erste offene Brief zu Waffenlieferungen rauskam, war ich von einigen Unterzeichnern doch sehr enttäuscht.

    Ich fand die Argumentation damals nicht 100%ig ausgearbeitet und deshalb nicht zu Ende gedacht. Ich hab also jeden Unterzeichner eine Mail geschickt von dem ich eine Adresse finden konnte.

    Antworten: 0



    Ich mag das nicht bzw. hab Angst, also sollten alle anderen was tuen, damit ich nicht tuen muss.



    So oder so ähnlich schätze ich Einstellung dieser ganzen Bedenknisträger sein

  • Wenn Rußland nicht konsequent zurückgedrängt wird, wird es in einigen Jahren auch im westlichen Europa Krieg geben können. Daher, aber aktuell natürlich im Interesse der Menschen in der Ukraine, brauchen wir jetzt mehr Entschlossenheit und militärische Hilfsleistungen und keine Scholzsche angezogene Handbremse für einen endlosen Russland-Ukrainekrieg. Verhandlungen mit Putin sind definitiv sinnlos. Man kann ihn nur zum Frieden zwingen. Im Übrigen: Die meisten selbsternannten Pazifisten werden ohnehin nur den Westen als bellizistisch verurteilen - nicht Rußland.

    • @Ulrich Haussmann:

      "Verhandlungen mit Putin sind definitiv sinnlos"?



      Aber "mehr Entschlossenheit und militärische Hilfsleistungen"!



      Und wo soll das enden? Wieviel Menschen sollen noch in Tod und Elend getrieben werden für einen ominösen "Sieg"?



      In allen Kriegen sind immer die BETROFFENEN Menschen die Opfer,



      die Rüstungsindustrie und deren Handlanger in Medien, Politik und Kapital die Gewinner. Egal auf welcher Seite.



      Krieg ist vor allem das Versagen von Politik(er*innen), die niemals an der Front stehen und ihr Leben riskieren!

      • @EdgarEgon:

        So ist es!

  • Danke für den sehr treffenden Kommentar! Ich finde die deutschen Debatten und die Verweigerung von Schützen- und Kampfpanzerlieferungen auch unerträglich.

  • "... dass wir mehr Kraft finden, die Welt nicht nur zu retten, sondern eine neue Ordnung zu schaffen."

    Ich will die Welt nicht retten und will auch keine Ordnung, die sich "wertebasierte Ordnung" nennt. Besser fände ich den Versuch, jenseits militaristischer Denke mit "der Welt" auf Augenhöhe zu reden. Ohne moralische Überhöhung. Ohne Besserwisserei. Denn ohne kluge und zähe Diplomatie gibt es keine bessere Welt. Oder wollen wir diese wirklich den kalten Kriegern und Kriegerinnen überlassen, die wie Kolonialherren nur Gute und Böse kennen?

    • @Rolf B.:

      Es wurde mit Russland geredet, es wurde die Annexion der Krim nahezu kommentarlos hingenommen, es wurde die Unterstützung des Assad Regimes toleriert.



      Das Problem ist der Traum vom Groß Russischen Reich, den Putin träumt. Und das will er mit allen Mitteln durchsetzen. Und die Russische Gesellschaft in Ihrem Hang zur Aggression unterstüzt das.



      Wer Putin nicht mit Kraft entgegen steht, wird von ihm als verweichlicht und besiegbar gesehen.

    • @Rolf B.:

      Vielleicht einfach mal eine Sekunde lang darüber nachdenken wie eine solche 'wertelose Unordnung' konkret aussähe. Wäre die Welt denn eine bessere wenn man mit Kriegern und Kolonialherren wie Putin auf Augenhöhe die eigene Unterwerfung verhandelt? Immerhin damit, dass es dann mit Moral und Besserwisserei vorbei ist, dürften sie Recht haben, darauf stünde dann nämlich Straflager.

      • @Ingo Bernable:

        Es ist nicht mein Problem, wenn Sie meine beitrag falsch verstehen. Einfach mal mehr mehr als eine Sekunde nachdenken nach dem Lesen.

        • @Rolf B.:

          Vielleicht doch. Auch nach mehrmaligem Lesen bleibt mir nur die Feststllung, dass sie a.) gegen eine "wertebasierte Ordnung" sind und b.) mit "der Welt auf Augenhöhe" reden wollen, so brutal und verbrecherisch sie de-facto in weiten Teilen eben ist. Wie daraus etwas Gutes entstrehn sollte wäre dann mE doch schon erklärungsbedürftig.

        • @Rolf B.:

          Sie unterstellen dem definitiv freieren Teil der Welt "militaristische Denke" und "moralische Überhöhung" - nur weil er sich der Notwendigkeit militärischer Verteidigung gegen terroristische Aggression stellt (mehr oder weniger). Da können Sie sich über IB's absolut angemessene Replik nicht beschweren.

      • @Ingo Bernable:

        Sehr richtig; danke für diese treffende Replik.

  • Ein druchaus interessanter Artikel!

    Und unter moralischen



    Gesichtspunkten sind die Wünsche bzw Forderungen sehr gut nachvollziehbar!



    Trotzdem hoffe ich nicht, dass sich unsere Politik im nächsten Jahr darin wiederspiegeln wird!

    Schnell erreicht man durch falschen Aktionismus und einen "Tunnelblick" das Gegenteil von dem was man sich erhofft bzw erwünscht.



    Gerade die deutsche Aussenpolitik in Bezug auf den russischen Angriffskrieg in diesem Jahr sollte da ein warnendes Beispiel sein!



    Eine differenziertere Betrachtungsweise und Politik hätte da unter Umständen den Menschen schon einen nachhaltigen Frieden gebracht.



    Die verschiedenen verpassten Möglichkeiten wurden ja inzwischen schon hinreichend von verschiedenen Usern angesprochen.