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Freier Eintritt mit Eins im ZeugnisSchifffahrt für alle!

Johannes Drosdowski
Kommentar von Johannes Drosdowski

Das Deutsche Museum in München gewährt Einser-Schüler*innen gratis Eintritt. In der bayerischen Schifffahrt ist das Tradition. Das muss sich ändern!

Was auf dem Zeugnis steht, ist wurscht, hier sollen alle kostenlos einsteigen dürfen Foto: Imago

D ie Sonne glitzert auf dem Starnberger See, Wespen kreisen ums Eis, und kurz bevor es aufs Schiff geht, bitte noch mal Sonnencreme nachlegen! Seit Jahrzehnten bekommen Bayerns Schü­le­r*in­nen mit einer Eins im Zeugnis in den Sommerferien Freifahrten bei der Bayerischen Seenschifffahrt. Tegernsee, Starnberger See, Ammersee, Königssee: Alle ganz wundervoll. Das Leben der Einserschüler*innen, glanzvoll, verschwitzt und trotzdem runtergekühlt von der sanften Seebrise.

Meine Familie war nie mit uns auf einem dieser Schiffe. Damit waren wir nicht allein. Mal abgesehen davon, dass vor allem Kinder von Aka­de­mi­ke­r*in­nen gute Noten haben, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eines der Kinder keine Eins hat, je mehr Kinder man hat. Dann wird’s nicht nur teuer, sondern vor allem unfair und demütigend für die, die ohnehin schon wenig Erfolgserlebnisse durch die Schule haben.

Die kostenlose Schifffahrt ist Tradition in Bayern. Und das Deutsche Museum, also das Technikmuseum Münchens und Bayerns, hat sich entschieden mitzumachen: Wer eine Eins hat, durfte am ersten Ferientag, dem 31. Juli, kostenlos rein. Das ist erst mal sehr nett. Aber damit übernimmt das Museum einen fetten Denkfehler. Denn alle Schü­le­r*in­nen haben eine Leistung erbracht, die gewürdigt werden sollte, nicht nur jene, deren Zeugnis das offiziell bescheinigt.

Das Museum selbst hat inzwischen klargestellt, dass nächstes Jahr denjenigen Schü­le­r*in­nen kostenloser Eintritt gewährt wird, die eine 5 oder 6 in einem MINT-Fach haben. Das hatten auch diverse Kom­men­ta­to­r*in­nen im Internet gefordert. Diese Kinder und Jugendliche für Naturwissenschaften zu begeistern, sie zu verwundern, faszinieren – das klingt erst mal schön. Doch es ist ein Trostpflaster für jene, die in dem gängigen Schulsystem versagen, und unfair gegenüber allen, denn alle haben Zuwendung und ja, Entschädigung für die Schulzeit verdient.

Ferien, die Zeit ohne Leistungsdruck

Die Schulnote an sich ist bereits Belohnung für Leistung. Sie öffnet Chancen am Arbeitsmarkt, auf den Studiengang in der Traumstadt. Wer gute Noten hat, wird von Lehrkräften oftmals weiter gefördert. Diese Förderung haben die Schü­le­r*in­nen verdient. Aber eben auch jene, die keine guten Noten bekommen. Eine weitere Belohnung durch Schifffahrtsunternehmen, durch Museen, durch kulturelle, sportliche, staatliche, zivilgesellschaftliche Organisationen, Vereine, Firmen, ist abstrus. Sie haben keinen Einblick, welche Leistung die Schü­le­r*in­nen tatsächlich erbracht haben. Und holen überdies den ohnehin schon so dominierenden Faktor Leistung in die einzige Zeit, die für Kinder und Jugendliche leistungsbefreit sein sollte: die Ferien.

Schü­le­r*in­nen haben Anfeindungen und Mobbing durch Lehrkräfte, System und Mit­schü­le­r*in­nen ausgehalten, ebenso wie den Schmerz, jeden Tag neben der unerfüllten Liebe zu sitzen, ohne fliehen zu können. Schü­le­r*in­nen haben Mathe durchgestanden trotz Pubertät, Deutsch trotz Thomas Mann, Kunst trotz zwei linker Hände. Sie haben Religion überlebt und ­Chemie; haben all das durchgemacht, was sich Staat und Gesellschaft als ­Arbeitsstelle für Kinder und Jugendliche ausgedacht haben; sind durch ein System gelaufen, das sie fit machen soll für den leistungsorientierten Arbeitsmarkt und haben dabei – so sehr sich manche Lehrkräfte auch bemühen – erlebt, dass zu wenig Rücksicht auf sie als Individuen genommen wurde.

Egal was auf dem Zeugnis steht: Alle Schü­le­r*in­nen sollten in den Ferien freien Eintritt bekommen. In Theater, Galerien, Freibäder, ins Deutsche Museum und auf dem Schiffchen, das sie über den Starnberger See schippert.

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Johannes Drosdowski
Redakteur Medien/Digitales
Redakteur für Medien und Digitales. Ansonsten freier Journalist und Teamer zum Thema Verschwörungserzählungen und Fake News. Steht auf Comics, Zombies und das Internet. Mastodon: @drosdowski@social.anoxinon.de
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12 Kommentare

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  • 6G
    677256 (Profil gelöscht)

    Ich finde es gut und richtig unsere Besten zu feiern. Die bayerische Tradition finde ich großartig. Sie gibt den Kindern beim Familienausflug das großartige Gefühl: mit meiner Leistung habe ich diese Schiffahrt gewonnen und meine Eltern müssen nicht dafür zahlen.



    Die Argumente des Autors kann ich nicht nachvollziehen. Hier werden Kinder belohnt, die sich mit Ihrer Leistung hervorgegangen haben. Am Ende steht Deutschland (noch) so gut da, weil es Menschen gibt, die etwas leisten. Wenn man dies abwertet und Belohnungen für Anstrengung und Können geißelt ist das Gift für die Motivation der Leistungswilligen und der Leistungsfähigen. Am Ende kommt dann überall nur Durchschnitt raus, maximal. Wollen wir das?

  • Naja. Sinnvoller für Familien und fürs Klima wäre, wenn man Kinder beim Deutschlandticket kostenlos mitnehmen könnte - oder wenn es ein billigeres Kinder-D-Ticket gäbe.



    Von den eingesparten Anfahrtskosten kann man sich dann den Eintritt auch noch leisten, auch für ein privates Museum oder Vergnügungsgeschäft.

    • @decaflo:

      Es geht in dem Artikel um den Widersinn, besten Schüler mit kostenlosen Bildungsangeboten in der Freizeit zu belohnen, als jene, die Bildung und Motivation viel nötiger hätten: ergo die weniger guten Schüler.

      • @EDL:

        "Widersinn, besten Schüler ... zu belohnen"



        Wieso ist das widersinnig?

  • Die Belohnung gefällt mir sehr gut.



    Ohnehin dürften nur die sehr guten Schüler, das Angebot wahrnehmen.

    Werde als Kommunalpolitiker versuchen, daß bayerische Modell auch hier anzustreben.

  • Wir sind also doch eine Neidgesellschaft. Sehr Gute Leistung zu belohnen ist richtig. Und sei es mit freiem Eintritt. So ist es eben, das richtige Leben.

  • Der Autor macht einen Denkfehler. Die Leistung bzw. Leistungsbereitschaft ist nur der erste Schritt. Zentrales Element ist jedoch Schritt 2, das Ergebnis der Leistung. Dies sollten Schüler so früh wie möglich lernen.

    Auch die Ferien als leistungsbefreite Zeit zu verstehen, ist ein Fehler. Diese sind beispielsweise Gelegenheit für Summer Schools zur Verbesserung der Sprache und des Austausches oder für Sportcamps (im besten Fall beides gleichzeitig).

    Und vieles, was sich der Autor nun für die Kinder wünscht gibt es bereits mit dem Münchner Ferienpass (einschl. Schwimmbädern und Museumsbesuchen). Schwer auszudenken, wer den Pass für einen kostenfeien Besuch im Museum nutzen wird!

    Naja und die Tegernseefahrt ist als Ansporn für eine spätere Insta-Erinnerung doch auch ganz brauchbar und allemal besser als die Abbildung mit einem blöden Zeignis.

  • Auch Ihre Seiten sind voll von Jubel über Spitzenleistungen von Fußballspielerinnen, Fahrradfahrerinnen und Leichtathletinnen. Erfolg im Sport muß immer laut betont werden. Über den Dicken, Ungelenkigen, der im Sport der letzte ist, darf sich jeder lustig machen und der Lehrer macht mit. Aber wehe ein Mitschüler macht Witze über den mit der schlechten Rechtschreibung oder der Matheschwäche. Das geht natürlich gar nicht. (Zu recht, aber warum dann im Sport?)



    Über seine Tore im Fußballturnier prahlt jeder unter allgemeinem Beifall, aber wehe es erzählt einer davon, Klassenbester mit der besten Mathearbeit gewesen zu sein. Das ist verboten, das ist zu verurteilende Angeberei. Jedem sei sein Sportturnier gegönnt, aber es gibt Schüler, denen machen Klassenarbeiten Spaß und denen ist der Rang unter den drei besten Klassenplätzen genauso wichtig wie anderen das Siegertreppchen.



    Solange Leute wie Sie den Stolz auf eigene Leistung auf diesen Gebieten nur verurteilen und niedermachen können, stimmt etwas in Ihrem Wertesystem nicht.

  • "Wer eine Eins hat, durfte am ersten Ferientag, dem 31. Juli, kostenlos rein. Das ist erst mal sehr nett. Aber damit übernimmt das Museum einen fetten Denkfehler. Denn alle Schü­le­r*in­nen haben eine Leistung erbracht, die gewürdigt werden sollte, nicht nur jene, deren Zeugnis das offiziell bescheinigt."



    Kann man so sehen. Nur: welche?



    Und: alle? Auch die, die nie da waren und alle Hausarbeiten und Tests in den Sand gesetzt haben?



    Nee, sorry, das ist so als Platitüde erst einmal nur Unsinn.

  • Seltsame Stellungnahme! Es handelt sich um eine Ansichtssache, die keine Konsequenzen für die Allgemeinheit der Bürger hat. Der Redakteur konnte nach seiner Aussage nie diesen Vorteil wahrnehmen. Vielleicht war es keine genügend große Motivation für ihn. Für mich klingt es: Hauptsache dagegen.

    • @fvaderno:

      Klassismus schon in jungen Lebensjahren, damit man genug schon davon lernen kann, später es selbst auch so umzusetzen?

      Die Forderungen kostenlosen Eintritts für Kinder und Jugendliche für alles ist doch richtig.

      Kinder aus prekären Situationen haben meist nicht den Kopf für solche Sachen, selbst Noten sind da nur schwer nutzbar. Nu auch noch diese Ausgrenzung, finde ich auch nicht toll.

      Man möchte gleiche Chancen, die es aber nie gibt, und grenzt dann just jene aus, die mehr Teilhabe bekommen sollten. Das ist schon bissel wirr.

  • Ja mei, des is christliche Nächstenliebe gemäß Matthäus 25:29 - host mi?