Franziska Giffeys Erfolgsrezept: Marianne Rosenberg der Politszene
Die Spitzenkandidatin der SPD macht Wahlkampf für ganz Berlin. Logisch, dass die Coolen in Kreuzberg das nicht verstehen.
U nklar ist, ob, aus der Perspektive von Grünen und Linken, die Verstörung ob der Umfragehochs für Franziska Giffey nur gespielt ist oder wirklich empfunden wird. Die Klagen gehen in jüngerer Zeit so, wahllos zitiert aus einer Fülle von grünalternativen und linken Meinungsbekundungen: Was? – wie sieht die denn aus? Oder: Bitte? – mit diesem Nichts an politischem Aufbruch will die es schaffen? Auch: Empörend, wie sie die Notwendigkeit einer Klimakrisenpolitik einfach übersieht! Auch dies ist zu hören: Das kann doch nicht wahr sein – so rechts, so wenig klimafreundlich! Summa summarum: Wie schafft es die SPD mit ihr an der Spitze an der Spitze der Umfragen zur Abgeordnetenhaus zu liegen.
Dabei ist die Antwort einfach, so simpel, wie man auch all den bürgerlichen Medien hätte vor 20 Jahren sagen können, dass Klaus Wowereit keineswegs wegen seines Schwulseins („Und das ist auch gut so!“) im schrebergärtnisch strukturierten Berlin abgelehnt wird, sondern womöglich gerade gemocht. Wowereit war nicht in Berlin-Mitte beliebt, dafür in den Randlagen Berlins, gerade die älteren Frauen, echte Westberlinerinnen, suchten seine Nähe: Ach, prima (Schwieger-)Sohn.
Giffey, die anders als Klaus Lederer (Linke) und Bettina Jarasch (Grüne) von einer zur anderen Sekunde in ein keineswegs angelernt klingendes Berlinerisch umschalten kann, ist aktuell hochbeliebt – und wenn nicht noch ein Wunder geschieht (aus der Perspektive der Koalitionspartner*innen der SPD im jetzigen Senat), wird sie die nächste Regierende Bürgermeisterin von Berlin. Und zwar nicht trotz, sondern wegen ihrer volkstümlichen Art.
Man muss es den verbitterten Wahlkämpfenden der Grünen einfach nochmals sagen: Kreuzberg, Friedrichshain und Schöneberg sind Teile von Berlin. Wer da lebt, hört anspruchsvolle Musik, geht, so hat es den Anschein, gern Kulturellem ohnehin nach, isst tendenziell vegan und spricht wahnsinnig wach und woke. Giffey, ganz perfekte Schülerin ihres Mentor, des im Gegensatz zu Thilo Sarrazin keineswegs in Neukölln rassistisch wahrgenommenen Heinz Buschkowsky, weiß das alles – und macht Wahlkampf im ganzen Berlin. Sagt, dass sie das Auto nicht aus den belebteren Vierteln ausschließen will und dass sie das Gespräch zur Wohnungsfrage sucht, nicht die enteignungdrohende Konfrontation. So eine liebt das gewöhnliche Berlin, klar: Da will eine ein bisschen ändern, aber das Bestehende nicht kulturkämpferisch antasten.
Dit is doch den Berlinern ejal
Dass sie aus der Perspektive von ‚coolen‘ Kreuzbergleuten kreischig aussieht und sich so auch anhört, ist ihr größter Trumpf: ein Ausweis von Volksnähe, was nicht jeder in ihrer Partei, der SPD, drauf hat, Michael Müller, der in den Bundestag wechselnde Bürgermeister, beweist dies. Ein Glücksfall für Giffey war natürlich auch, dass Bettina Jarasch von ihren Grünen schwer gedemütigt wurde, als sie dafür mit steifsten Volkserzieher*innenlippen darauf hingewiesen wurde, dass man sich gefälligst von Träumen aus Kindertagen zu distanzieren habe, Indianerphantasien, Sie wissen schon.
Dass Giffey nicht härter kritisiert wird, ja unmöglich ist, weil ihr der Doktortitel aberkannt wurde und die Masterarbeit akademischer Art auch nicht ganz astrein selbst erarbeitet scheint: Dit is doch den Berlinern ejal – Uni ist Uni, und das Leben ist das Leben. Giffey ist die Marianne Rosenberg der aktuellen Politszene, fröhlich, ein wenig glamourös, durchaus nicht unernsthaft; Jarasch hingegen die Liedermacherin, sagen wir: verdüsternd-problembewusst, strukturell spaßbremsig – und damit anstrengend, Typus Lehrerin mit viel zu hohem Anspruch. Sie, die Sozialdemokratin, ist eine, in die man sich verlieben kann – ihre Konkurrentin gebührt nur: Respekt. Alles viel zu richtig und streng.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl