Frankreichs Strategie für die Sahelzone: Nichts wie weg hier
Nach 8 Jahren „Krieg gegen den Terror“ beginnt Frankreich den Rückzug aus der Sahelzone. Die islamistischen Gruppen dort sind stärker denn je.
Entsprechende Ankündigungen Macrons im Juni wurden am 9. Juli auf einem Sahel-Gipfel in Paris weiter präzisiert. Frankreich wird bis Jahresende seine Militärbasen in Kidal, Timbuktu und Tessalit im Norden Malis schließen und der UN-Mission in Mali (Minusma) übergeben, die anders als die französische Eingreiftruppe keinen Kampfeinsatz führt.
Das Echo in Frankreich darauf ist einhellig. Von einer „späten Einsicht in das Scheitern“ spricht die rechte französische Wochenzeitung Marianne, und das satirische Enthüllungsblatt Le Canard Enchaîné teilt diese Meinung und zitiert Diplomatenäußerungen über einen „unmöglich zu gewinnenden Krieg“.
Der Vizepräsident des französischen Senats, der Kommunist Pierre Laurent, zieht über Barkhane eine bittere Bilanz – 51 tote französische Soldaten und zehn Milliarden Euro Kosten, aber die Terrorgruppen seien mindestens genauso stark wie am Anfang: „Trotz einiger taktischer Erfolge ist die Strategie in einer Sackgasse gelandet.“
Die linke Oppositionspartei LFI (La France Insoumise) von Jean-Luc Mélenchon verlangt einen Totalrückzug und eine Einbeziehung des Parlaments. Der konservative Präsident des Verteidigungsausschusses im Senat, Christian Cambon, findet: „Es ist nicht Frankreichs Aufgabe, auf ewig in Mali zu bleiben.“
Mit der Waffe nicht zu besiegen
Französische Militärexperten sehen den Einsatz schon länger kritisch. Oberleutnant Louis Saillans, Autor eines Buches mit dem Titel „Chef de guerre“ (Kriegsherr), schreibt: „Ich bin froh, dagewesen zu sein, und wenn es wiederholt werden müsste, wäre ich dabei“ – um hinzuzufügen: „Jetzt frage ich: Wieso gewinnen wir den Krieg nicht?“
Oberleutnant Louis Saillans
Für diesen Offizier wie auch für andere, die sich nicht öffentlich äußern, ist das Problem vor allem politisch. „Wenn wir Schlachten gewinnen, aber der Feind immer stärker wird, ist Waffengewalt vielleicht nicht ausreichend“, schreibt Saillans. Die dschihadistische Ideologie ziehe auch „intellektuell stabile“ Menschen an. Ein anderer, der in Afghanistan und Mali gedient hat und sein Buch „Traquer la terreur“ (Terrorjagd) nur als „Kommandant Vincent“ signiert, kommt zum Schluss, dass kein solcher Aufstand allein mit der Waffe besiegt werden kann.
„Wir sind unfähig, die Dschihadisten zu zerstören“, ließ sich bereits im April ein General im Canard Enchaîné anonym zitieren: „Wir sind dazu verurteilt zu bleiben. Sieg ist unmöglich, Abzug ist unmöglich.“ Diesem Urteil wollte sich Macron nicht beugen. So kommt jetzt der Abzug, zumindest der Teilabzug, und man merkt, dass es in der Armee darüber Unmut gibt.
Frankreichs Generalstabschef François Lecointre verkündete kurz nach Macrons Abzugsankündigung seinen bevorstehenden Rücktritt. Es heißt, er komme mit Macrons Stil nicht klar: erst lange zögern, dann alleine entscheiden, ohne seine Generäle oder den im Sahel sehr erfahrenen Außenminister und früheren Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian zu konsultieren.
Erst im April hatte Lecointre geschrieben, dass der Krieg im Sahel noch ein Jahrzehnt dauern könnte. Das war aber als Warnung gedacht. Antoine Glaser, langjähriger Spezialist der französischen Afrikapolitik und Ko-Autor das Buches „Le piège africain de Macron“ (Macrons Afrika-Falle), stellt fest, dass die USA in Afghanistan gescheitert sind, obwohl sie 100.000 Soldaten auf 600.000 Quadratkilometern im Einsatz hatten – und Frankreich denkt, in Afrika mit 5.000 Soldaten auf 5 Millionen Quadratkilometern etwas bewirken zu können.
Spannungen zwischen Mali und Frankreich
Ein unmittelbarer politischer Faktor ist die zunehmende Unstimmigkeit zwischen Frankreich und den Regierungen von Mali und Burkina Faso. In beiden Ländern führen Politiker Verhandlungen mit denselben Dschihadisten, die von Frankreich militärisch bekämpft werden. Den lokalen Politikern geht es um örtliche Befriedung, aber Macron hat in Bezug auf Mali Gespräche mit Dschihadisten zur „roten Linie“ erklärt, deren Überschreiten zum Ende der militärischen Unterstützung aus Frankreich führen werde.
„Man kann nicht gemeinsame Militäroperationen mit Machthabern führen, die beschließen, mit Gruppen zu diskutieren, die zugleich auf unsere Kinder schießen“, sagte Macron nach dem zweiten Militärputsch von Oberst Assimi Goïta in Mali im Mai. Er setzte Frankreichs militärische Zusammenarbeit mit Malis Armee öffentlichkeitswirksam aus – nur um sie am 2. Juli stillschweigend wiederaufzunehmen, nachdem in Mali Kritik lautgeworden war, nun sei die Barkhane-Truppe eine reine Besatzungsarmee.
Die politischen Spannungen zwischen Frankreich und Mali bleiben. Im April hatten Verhandlungen zwischen traditionellen Dogon-Jägermilizen im Zentrum Malis und islamistischen Al-Qaida-Gruppen ein Stillhalteabkommen hervorgebracht, das nach französischer Ansicht ein „kleines Kalifat“ im Zentrum Malis gründet, in dem islamistische Gruppen ungestört bleiben. Umgekehrt soll aber auch die Zivilbevölkerung dort von weiteren Angriffen verschont werden.
Eingefädelt hat den Deal Imam Mahmoud Dicko, der wichtigste religiöse Führer in Malis Hauptstadt Bamako, der dort mehrfach antifranzösische Massenproteste organisiert hat – im Sommer 2020 führten sie dort zum ersten Militärputsch gegen den damaligen – von Frankreich unterstützten – Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta. Die Militärs sollen Mali nun bis zu Wahlen spätestens Februar 2022 führen, aber genau im gleichen Zeitraum will Frankreich seine Truppen aus der nördlichen Landeshälfte zurückziehen.
Nach Erkenntnissen des französischen Militärgeheimdienstes befinden sich jetzt schon über die Hälfte des Staatsgebietes von Mali und rund ein Drittel von Burkina Faso nicht unter Regierungskontrolle.
Nigers Präsident Mohamed Bazoum sagte der taz im Interview vor wenigen Wochen, Frankreichs Einsatzdoktrin sei nicht effizient: „Der Feind bewegt sich auf Motorrädern, in kleinen Gruppen. Wenn Frankreich seine großen militärischen Mittel einsetzt, merken die das sofort und verstecken sich, verschmelzen mit der Natur. Die Franzosen können tagelang im Einsatz sein und auf keinen einzigen Feind treffen. Das bringt nichts.“ Von Senegal über die Elfenbeinküste und Togo bis Benin fürchten Nachbarländer derweil eine Infiltration des Terrors.
2.500 Soldaten bleiben
Die Unsicherheit in der Sahelzone sei nach acht Jahren französischer militärischer Terrorbekämpfung größer denn je, kritisiert die Organisation Survie, die seit Jahrzehnten Frankreichs Afrikapolitik kritisch begleitet. Sie sagt auch, Macrons Abzugsankündigungen seien Augenwischerei: Frankreichs Armee werde bleiben, nur etwas unauffälliger. Es gehe vor allem darum, die ökonomischen und die politischen Kosten des Einsatzes zu verringern.
Der „Krieg gegen den Terror“ soll jedenfalls auch nach Barkhanes Teilrückzug weitergehen – aber anders. Von 5.100 Barkhane-Soldaten sollen am Ende 2.500 übrigbleiben, konzentriert auf Nigers Hauptstadt Niamey, wo der europäische Spezialkräfteeinsatz „Takuba“ stationiert sein wird, und Tschads Hauptstadt N’Djamena, wo das Barkhane-Hauptquartier stationiert ist, und in Mali selbst noch die Städte Gao und Menaka, also im Nordosten des Landes entlang der Grenze zu Niger.
Die Soldaten sollen ihren klassischen Krieg weiterführen – also die Eliminierung möglichst vieler Kommandanten und Kader der JNIM (Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime) und des ISGS (Islamischer Staat in der Großen Sahara). Das sollen in erster Linie die etwa 400 französischen Spezialkräfte der Task Force Sabre (Säbel) leisten.
Ansonsten geht es um den weiteren Aufbau der gemeinsamen Eingreiftruppe G5-Sahel der Sahel-Staaten, die bisher die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt hat. Das soll die europäische Spezialkräftemission Takuba leisten. Drittens geht es um bilaterale oder europäische Militärausbildung wie die EU-Mali-Mission EUTM Mali oder auch die Ausbildungen durch Belgier und Deutsche in Niger.
Macrons Angst vor dem Versagen
Aber all das funktioniert nur, wenn der alte Wunsch Frankreichs nach einer „Internationalisierung“ seiner Sahel-Einsätze in Erfüllung geht. Andere europäische Länder bleiben sehr zurückhaltend, gerade wegen der französischen Erfahrungen und auch, weil andere europäische Länder bei Frankreichs Afrikapolitik nach wie vor nicht mitreden können.
Die gemeinsame europäische Außen- und Verteidigungspolitik bleibe daher eine „Utopie“, sagt Marine Le Pen, Chefin der rechtsextremen Partei RN (Rassemblement National) und meint: „Frankreich bleibt seit Jahren allein, trotz der Versuche Emmanuel Macrons, die EU-Länder miteinzubeziehen.“
So hätten Belgien und Dänemark eine Truppenverstärkung abgelehnt, und Deutschland wolle sich nicht an der Spezialkräftemission Takuba beteiligen. Die umfasst nach wie vor nur 600 Soldaten und nicht 2.000, wie bei der Gründung durch Macron im Jahr 2018 angekündigt. Frankreich hat sich in Mali verkämpft – und die Angst vor dem Versagen bestimmt seine nächsten Schritte.
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