Forschung und Wissenschaft: Die USA schaufeln sich ihr eigenes Grab
Die Forschung leidet unter der Trump-Administration. Dass Diversität seit Anfang des Jahres unerwünscht ist, ist ein großes Problem für das Feld.
Fünf Jahre später weiß Fortune, wie das Bakterium Resistenzen entwickelt und dem Immunsystem immer wieder entkommt. Doch vor allem steht sie kurz vor einem neuen Durchbruch: Sie hat erstmals einen Plan für einen neuen Impfstoff gegen Tuberkulose. Der bisherige liefert nur Schutz für Kinder, dabei erkranken zum Großteil Erwachsene.
Doch Ende März 2025 erhielt sie eine Mail von der NIH: Sie soll ihre Forschung sofort unterbrechen. Ihre Arbeit stand ganz oben auf der Liste der Projekte, die von den Kürzungen der Trump-Regierung an ihrer Hochschule betroffen sind. Wenn das Projekt tatsächlich beendet würde, dann würden Forschende gekündigt, Versuchstiere eingeschläfert und Proben vernichtet. Das Wissen wäre weg, einfach so. Viele Leben könnten gerettet werden, wenn es einen Impfstoff gäbe. Sarah Fortune hatte einen Plan, einen Hoffnungsschimmer.
Kürzung in der Forschung kann Menschenleben kosten
Eine etwas überspitzte, aber angesichts der massiven Streichungen und Kürzungen im Wissenschaftsbereich durch die Trump-Administration durchaus berechtigte Frage: Wie viele Menschen werden in Zukunft auf den versteckten Friedhöfe ruhen, auf denen sich die Gräber derer befinden, die gerettet werden könnten, wenn Forschungsprogramme nicht eingestellt und ihre Versorgung nicht eingestellt worden wäre?
Trump hat einen Grundsatz aufgeweicht, der seit dem Zweiten Weltkrieg galt und in den USA zu großem Erfolg führte. Der Staat finanziert zu einem großen Teil die Forschung, hält sich ansonsten aber raus. In den vergangenen drei Monaten erlebte die amerikanische Wissenschaftslandschaft aber eine Art Großangriff. Betroffen sind nicht nur die Klima- und Sozialwissenschaften, auch die medizinische Forschung und die öffentliche Gesundheit sind in den USA bedroht.
Die Trump-Regierung hat die Kommunikation der Gesundheitsbehörden unterbrochen, Daten von Websites, wie etwa dem Zentrum für Krankheitskontrolle (CDC), gelöscht und Tausende von Wissenschaftler*innen bei nationalen Forschungsakademien entlassen. Sie hat bei den NIH, dem größten Förderer für biomedizinische Forschung weltweit, Milliarden Dollar an Fördergeldern gestrichen.
Das Nationale Gesundheitsinstitut (NIH) steht unter Druck
Die Regierung nutzt die NIH als Druckmittel, um die Universitäten in die Mangel zu nehmen. Mit den Worten: „Ihre Forschung entspricht nicht mehr den Prioritäten der Agentur“, wurde in den letzten Monaten zahlreichen Forschenden wie Sarah Fortune in den USA von einem auf den anderen Tag ihre Förderung durch die NIH entzogen. Weil sie Kooperationspartner in China oder Südafrika haben. Weil sie zu Impfungen oder Impfrückhaltung forschten und der neue Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. ein ausgesprochener Impfskeptiker ist oder weil sie von jemandem aus einem Diversitätsprogramm besetzt wurde.
Außerdem hat Trump die NIH angewiesen, die bereits ausgehandelten „indirekten Kosten“, die das Institut von den Universitäten übernommen hat, zu kürzen. Durch sie wird etwa die Nutzung von Laborräumen finanziert, das Entsorgen von gefährlichem Müll oder das Personal, das Patienten bei der Anmeldung zu klinischen Studien unterstützt. Letzteres könnte dazu führen, dass weniger Kinder behandelt werden und deshalb mehr sterben, warnt Charles Robert, Leiter des Krebszentrums eines Kinderkrankenhauses. Vorerst konnte ein Richter den Vorstoß blockieren, aber es ist unklar, ob er am Ende Erfolg haben wird.
Diversität? Gleichheit? Inklusion? Gestrichen!
Tatsächlich sind die NIH in ihrer Hauptfunktion, der Verteilung neuer Forschungsgelder, derzeit praktisch handlungsunfähig. Seit Trumps Amtsantritt haben sie eine Milliarde Dollar weniger ausgegeben als im Vorjahreszeitraum. Die Regierung verhinderte Sitzungen, in denen sonst Vergaben abgeschlossen würden, die neue Forschung finanzieren, etwa zu Alzheimer-, Sucht- oder Herzerkrankungen.
Noch am Tag seiner Amtseinführung verabschiedete Trump ein Dekret, das staatliche Behörden und staatliche Forschungsförderung veranlasst, alles rund um die Begriffe Diversität, Gleichheit und Inklusion zu streichen. Die Förderung von Forschungsprojekten werde nicht mehr durch wissenschaftlichen Konsens und grundsätzliche Neugier bestimmt, kritisiert die Wissenschaftshistorikerin Sarah Richardson: „Es ist die Regierung, die uns vorschreibt, welche Worte wir verwenden dürfen und was als Wissenschaft, was als Forschungsrahmen und Methode gilt.“
Dass Diversität als Begriff vom Dekret betroffen ist, sieht die Wissenschaftshistorikerin der Harvard-Universität als großes Problem. Sie hat 2018 das interdisziplinäre GenderSci Lab auf dem Campus aufgebaut, das sozialwissenschaftliche und biomedizinische Forschung verbindet. Sie denkt bei den Kürzungen und Einschnitten in die Wissenschaftsfreiheit beispielsweise an Schwarze Frauen in den USA, die wesentlich häufiger an Asthma leiden und ein höheres Risiko haben, daran zu sterben, oder an ältere Frauen, deren Tablettenboxen oft mit mehr unterschiedlichen Medikamenten gefüllt sind als die von gleichaltrigen Männern. Sie sind durch die Multimedikation überversorgt, haben mehr Nebenwirkungen und oft einen geringeren Behandlungserfolg.
Sarah Richardson, Wissenschaftshistorikerin
Die Gründe, warum bestimmte Bevölkerungsgruppen stärker von Krankheiten betroffen sind, häufiger sterben oder schlechter versorgt werden, lägen immer in einem Geflecht verschiedenster biologischer und sozialer Faktoren. Sie müssten sorgfältig aufgeschlüsselt werden, um angemessen reagieren zu können, so Richardson. Inwieweit die sozialen Dimensionen von Frauengesundheit oder die Gesundheit von Schwarzen Menschen, Trans* oder nicht-binären Menschen in den USA weiterhin erforscht werden können, sei mit der neuen Trump-Administration „völlig ungewiss“.
Trumps fundamentaler Angriff auf die Wissenschaft
Ohne das Bekenntnis zu Diversität kehren die USA unter Donald Trump wieder zurück zum Modell des universellen Patienten. Dabei hatte die Forschungslandschaft eben erst begonnen, ihn hinter sich zu lassen.
Lange Zeit habe die Wissenschaft eine sehr enge Vorstellung davon gehabt, wem sie diene, so Richardson. „Wissenschaftler hatten die Annahme, dass der weiße Mann für alle stehen kann, dass Körper transhistorisch seien, dass ein Körper derselbe ist wie jeder andere.“ Erst durch die Bürgerrechts- und Frauenrechtsbewegungen der 60er- und 70er Jahre sowie die Aids-Aktivist*innen habe sich das Bewusstsein verändert. So habe man verstanden, dass verschiedene Gruppen wie Frauen, Schwangere, Menschen mit HIV oder Transgender-Personen von dem bisherigen Modell schlecht versorgt wurden.
In den 1980er Jahren traten erstmals Gesetze und Richtlinien, etwa zur Einbeziehung von Frauen und Minderheiten als Probanden in der klinischen Forschung, bei den NIH und anderen wissenschaftlichen Gesellschaften und Fachmagazinen in Kraft. Dass diese nun rückgängig gemacht würden, sei dramatisch, findet Richardson. Denn Forschung sollte allen Menschen nützen: „Wenn eine demokratische Öffentlichkeit die Wissenschaft finanziert, ist es wichtig, dass die Menschen ihre Körper, ihre Biologie und ihre Erfahrungen in der Forschung wiedererkennen.“
Die US-Regierung greife die Wissenschaft als Ganzes an, resümiert Julie McNamara, stellvertretende Direktorin des Klima- und Energieprogramms der Union of Concerned Scientists. Sie warnt davor, dass, wenn Behörden wie die NIH lahmgelegt werden, dies letztlich auch der US-Wirtschaft schaden wird. Von den 350 Medikamenten, die in den USA zwischen 2010 und 2019 zugelassen wurden, fanden alle ihren Ursprung in von den NIH geförderten Projekten. Das beste Beispiel ist die Geschichte des erfolgreichen Diabetesmedikaments Ozempic. Die NIH förderte ein Projekt, bei dem Wissenschaftler das Gift der Gila-Krustenechse untersuchten, weil es interessante physiologische Effekte zu haben schien. Die Forschung wurde zur Grundlage für Ozempic.
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