Finnischer Reaktor geht ans Netz: Grüner Segen für neue Atomkraft

Trotz vieler Fragezeichen, wie sicher die EPR-Baureihe ist, geht am Freitag in Finnland der Reaktorneubau Olkiluoto-3 ans Netz.

Blick durch Bäume über einen See auf Atomkraftwerk Olkiluoto

Ewig verspätet und dramatisch teuer, aber die atomare Hoffnung der finnischen Regierung: Olkiluoto-3 Foto: imago

STOCKHOLM taz | Während Deutschland zum Jahreswechsel weitere drei Reaktoren abgeschaltet hat, stockt Finnland seine Atomstromproduktion auf: Mit Olkiluoto-3 bekommt das Land vier Jahrzehnte nachdem es die ersten vier Reaktoren in Betrieb genommen hat, nun einen fünften Atommeiler. Er ist vom Typ des in Frankreich entwickelten Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) und sollte an diesem Freitag ans Netz gehen. Allerdings wurde wegen nicht näher erläuterter technischer Probleme die Aufnahme des Betriebs auf den 18.2. verschoben.* Bereits in der sechswöchigen Testphase am 14. Januar noch eine Funktionsstörung gab, die zu einer ungeplanten Schnellabschaltung führte.

Mitte Juli** soll Olkiluoto-3 seine volle reguläre Leistung von 1.600 MW erreichen. Geht alles nach Plan, macht sich Finnland damit weitere 60 Jahre von Atomstrom abhängig.

Auf der namensgebenden Ostseeinsel stehe nun „das mächtigste Atomkraftwerk der Welt“, heißt es von der Betreibergesellschaft Teollisuuden Voima Oy, TVO. TVO-Vizepräsidentin Marjo Mustonen spricht von „Finnlands größtem Klimaprojekt“. Denn das Unternehmen verkauft seine Atomenergie mit der Behauptung, es handle sich um „zuverlässige grüne Energie“. KritikerInnen befürchten allerdings, dass nach einer langen und problemgespickten Bauperiode die wirklichen Schwierigkeiten mit diesem Reaktor erst noch bevorstehen könnten.

Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von Hinweisen, dass die gesamte bisherige EPR-Baureihe Systemfehler aufweist. Die Atomlobby hatte diesen in den 1990er Jahren entwickelten „Reaktortyp der dritten Generation“ mit großen Hoffnungen auf eine „Renaissance der Atomkraft“ verbunden und vermarktet. In der Praxis erwies er sich aber als teurer Flop. Mehrere geplante Bauvorhaben wurden zwischenzeitlich aufgegeben, bei allen gab es langjährige Verzögerungen beim Bau, immer wurden die Kosten mehr als signifikant überschritten.

13 Jahre Verspätung, vervierfachte Kosten

Der Bau des ersten EPR-Reaktors – in Olkiluoto – begann schon 2005: Er sollte eigentlich 2009 ans Netz gehen. Seine Fertigstellung hat sich nun um 13 Jahre verspätet, mit knapp 11 Milliarden Euro Baukosten wurde er fast viermal so teuer wie ursprünglich kalkuliert.

Immerhin nur doppelt solange wie geplant zogen sich die 2008 begonnenen Bauarbeiten der beiden chinesischen EPR-Reaktoren hin, die als erste dieses Typs dann 2018 und 2019 in Taishan ihren Betrieb aufnahmen. Dass die Entstehungskosten auch dort aus dem Ruder liefen, führte nach Schätzungen der South China Morning Post dazu, dass auch der produzierte Atomstrom nahezu doppelt so teuer ist, wie die Betreiber zu Beginn berechnet hatten.

Im Juli 2021 musste Taishan-1 wieder abgeschaltet werden und steht seither still. Vorausgegangen waren monatelange Probleme mit Vibrationen und dem Austreten radioaktiver Gase. Im November führte ein von Radio France Internationale zitierter Whistleblower „mit detaillierter Kenntnis der Taishan-Konstruktion, der bei einer französischen Atomenergiefirma arbeitet“, die Probleme mit Taishan-1 auf Konstruktionsfehler zurück, mit denen alle EPR-Reaktoren behaftet seien.

Offene Probleme

Obwohl nicht geklärt werden konnte, wieso bei den chinesischen Atommeilern radioaktives Gas austreten konnte, und obwohl es beim Test des Primärkreislaufs unzulässig starke Vibrationen gegeben hatte, erteilte die finnische Strahlenschutzbehörde STUK am 16. Dezember überraschend die Genehmigung, den EPR Olkiluoto-3 in Betrieb zu nehmen. Die Begründung der STUK: Wegen unterschiedlicher Konstruktionsdetails sei es „unwahrscheinlich“, dass es beim finnischen Reaktor gleiche Probleme wie beim Schwesterreaktor Taishan geben könne.

KritikerInnen in Finnland halten das für ein verantwortungsloses Vabanquespiel. Sie verweisen darauf, dass die französische Atomsicherheitsbehörde Autorité de sûreté nucléaire, ASN, aus den Erfahrungen mit Taishan ganz andere Schlüsse für die französischen Meiler gezogen hat: Dort sollte der neue EPR Flammanville ursprünglich 2022 angefahren werden, bevor der Termin im Januar zunächst auf Mitte 2023 verschoben wurde. Nun stellte die ASN klar, dass ein Start nicht infrage komme, solange der Ursprung der Probleme im EPR Taishan nicht geklärt sei.

Warum also die Eile in Finnland? Die Politik ist unter Druck. Statt auf erneuerbare Energien setzte sie mit staatlicher Förderung auf Atomkraft. Das hat dazu geführt, dass Finnland das skandinavische Land mit dem geringsten Anteil neuer Erneuerbarer an der Energieproduktion ist. Die hauptsächliche Quelle ist mit einem Anteil von 28 Prozent die für die Klimabilanz fragwürdige Verbrennung von Holz. Und noch immer wird auch die extrem klimaschädliche Torfverbrennung staatlich subventioniert.

Die Verspätungen und Kostensteigerungen von Olkiluoto-3 sorgen nicht nur in der Bilanz der Betreibergesellschaft TVO für rote Zahlen – laut der finnischen Nachrichtenagentur STT wuchsen die Schulden auf mittlerweile über sechs Milliarden Euro an. Die nicht eingeplante Stromlücke musste in dieser Zeit auch mit teurem Importstrom gedeckt werden. In den vergangenen zehn Jahren gaben finnische Haushalte netto durchweg mehr für den Strom aus, als Haushalte im Nachbarland Schweden in der teuersten der dortigen vier Strompreisregionen zahlen müssen.

Billiger wird es in Finnland trotz aller Steuersubventionen für die Atomkraft auch mit der Inbetriebnahme von Olkiluoto-3 nicht werden. Mehrere Studien kamen zum Ergebnis, dass der Atomstrom aus neugebauten Reaktoren keine Chance hat, jemals mit den Preisen erneuerbaren Stroms wie etwa aus Windenergie konkurrieren zu können. Die mit Atomstrom befassten finnischen Elektrizitätsunternehmen machten mittlerweile auch klar, dass sie abgesehen von dem schon seit 2007 geplanten Neubauprojekt Hanhikivi, für das es nach wie vor noch keine Baugenehmigung gibt, keine Investitionen in neue Atomenergieproduktion vorhaben.

Von den finnischen Grünen gibt es allerdings – jedenfalls auf deren Führungsebene – so gut wie keinen Widerstand mehr gegen die AKW-Neubauten des Landes. 2002 und 2014 hatte der Grüne Bund, Vihreät, noch aus Protest gegen die grundsätzliche politische Genehmigung der Reaktorprojekte Olkiluoto-3 und Hanhikivi die Regierung verlassen. Als jetzige Regieruns­partei in der, von der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Sanna Marin geführten, Koalition hat er keine Einwände gegen die Inbetriebnahme von Olkiluoto-3 erhoben.

Da dieser Reaktor ja nun fertig sei, solle er auch in Betrieb gehen, begründet das die Parteivorsitzende und Innenministerin Maria Ohisalo. Das Wichtigste für die Grünen sei ein „Stopp der Klimakrise“, und hierbei „können wir auf Atomkraft nicht ganz verzichten“: Deshalb sei man „als Regierungspartei auch dafür, dass die EU die Atomkraft als nachhaltig einstuft, vorausgesetzt, die Kriterien des Pariser Abkommens werden erfüllt“.

Während die finnischen Grünen ihrer nationalen Strahlensicherheitsbehörde keine unbequemen Fragen zur Betriebsgenehmigung von Olkiluoto-3 stellen, will sich ihre deutsche Schwesterpartei nicht zufrieden geben. In einem der taz vorliegenden Schreiben begehrte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Stefan Wenzel Mitte Januar von der finnischen STUK detaillierte Auskunft darüber, warum sie trotz der Probleme mit Taishan-1 und anders als die französische ASN die Betriebsgenehmigung für den EPR-Reaktor erteilt habe. Die Antwort von vergangener Woche: Man nehme die Taishan-Probleme ernst, TVO und Areva hätten die Erfahrungen mit dem chinesischen EPR-Reaktor sorgfältig studiert, aber man sei der Auffassung, dass die Fehlerwahrscheinlichkeit gering sei.

Wenzel, der in der grünen Bundestagsfraktion die AG Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz leitet, findet diesen kurzen Bescheid wenig beruhigend: Es sei „schwer erklärlich“, wie die Behörde „die offenbar generelle Sicherheitslücke“ mit der Formulierung „geringe Wahrscheinlichkeit“ abtun könne. Gerade weil es kaum Erfahrungen mit EPR-Reaktoren gebe und die Behörden anderer Länder vorsichtiger agieren, müsse auch die finnische Atomaufsicht den Problemen genauestens nachgehen. „Bei solch gravierenden Fragen müssen Sicherheit und Transparenz oberstes Gebot sein.“

Anmerkung der Redaktion: *in einer früheren Version stand, dass der Reaktor am 3.2. in Betrieb geht. ** in einer früheren Version stand hier Mitte Juni.

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