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Finanzströme in der SzeneRechtsextreme weiter liquide

Innenministerin Faeser wollte rechtsextreme Finanzströme „austrocknen“. Laut dem Thinktank Cemas generiert die Szene aber online weiter Gelder.

Ich bin der Martin, ne … ich brauche euer Geld! Foto: Isabelle Ouvrard/Sepa/imago

Berlin taz | Die Ansage von Nancy Faeser war klar: Man wolle rechtsextreme Netzwerke zerschlagen und die Finanzaktivitäten der Szene „aufklären und austrocknen“, erklärte die Bundesinnenministerin im März 2022 in ihrem Aktionsplan gegen Rechtsextremismus. Das Bundesamt für Verfassungsschutz werde dafür seine Analysen rechtsextremer Finanzaktivitäten „deutlich ausweiten“. Ein neuer Bericht des Thinktanks Cemas, der rechtsextreme Onlineaktivitäten beobachtet, zeigt nun allerdings: Die Szene schafft es weiterhin auf vielfältigen Wegen, Gelder zu akquirieren.

Klassisch finanzieren sich Rechtsextreme durch Konzerte, Mode, Versandhandel oder Kampfsportveranstaltungen. Cemas durchsuchte nun 419 deutschsprachige Telegram­kanäle. Der Anbieter hat sich unter Rechtsextremen inzwischen als ein zentrales Kommunikationsportal etabliert. Untersucht wurden 1.297.000 Telegram-Nachrichten von September 2016 bis Mai 2023.

Klassische Bankkonten bleiben laut dieser Analyse das beliebteste Mittel für rechtsextreme Geldflüsse. Insgesamt stieß Cemas auf 109 IBAN, mit denen Spendensammlungen via Telegram beworben wurden. Am häufigsten machten davon die rechtsextremen Identitären Gebrauch, deren IBAN in 322 Telegramkanälen auftauchte und mehr als 992.000 Aufrufe erzielte. Es gibt indes auch Gegenwehr: So wurden allein dem Identitären-Vordenker Martin Sellner laut eigener Auskunft seit 2017 fast 60 Konten gekündigt.

Appell zu stärkerer Zusammenarbeit

Zudem machte Cemas 40 PayPal-Konten und 20 „MoneyPools“ aus, die von Rechtsextremen genutzt wurden. So sammelte etwa der Corona-Verharmloser Bodo Schiffmann über einen MoneyPool mehr als 700.000 Euro vorgeblich für die Flutopfer im Ahrtal. Auch Kryptowährungen nutzt die Szene, hier zumeist Bitcoin. 95 Wallets von 28 rechtsextremen Ak­teu­r*in­nen machte Cemas aus. Allein der rechtsextreme Attila Hildmann soll damit 74.267 Euro eingenommen ­haben. Der Einsatz von Kryptowährungen in der Szene sei aber inzwischen stark rückläufig.

Zudem habe die Szene über Crowdfunding-Kampagnen 45.332 Euro akquirieren können. Dazu kämen Livestreams, bei denen etwa der Identitäre Sellner innerhalb von 10 Monaten 2020 und 2021 rund 11.400 US-Dollar (etwa 10.600 Euro) eingenommen haben soll. Zwar komme es wieder zu Sperrungen durch Anbieter – doch es gebe eine Reihe alternativer Ausweichplattformen.

Cemas appellierte an Politik, Sicherheitsbehörden und Fi­nanz­institute, enger zusammenzuarbeiten, um rechtsextreme Finanzwege einzuschränken. Auch müssten die Sicherheitsbehörden ihre Experten in modernen Finanzwegen schulen und Finanzdienstleister rechtsextreme Spendenkampagnen schneller stoppen. Würden Geldströme frühzeitig trockengelegt, könnten rechtsextreme Karrieren erheblich eingeschränkt oder gar verhindert werden, so Cemas.

Anklage gegen rechtsextremen Kneipenwirt

Das Bundesinnenministerium erklärte, die Erkenntnisse von Cemas deckten sich „in etwa“ mit denen, die dem Ministerium vorlägen. So seien zuletzt nach rechtsextremen Spendenaufrufen über Bitcoin-Adressen Zahlungseingänge in insgesamt sechsstelliger Höhe beobachtet worden. Um den Aktionsplan gegen Rechtsextremismus in diesem Punkt umzusetzen, habe das Bundesamt für Verfassungsschutz für die Finanzermittlungen seine Ressourcen zuletzt „erheblich ausgebaut“, versicherte ein Sprecher der taz. Rechtsextreme Unternehmungsstrukturen und Finanznetzwerke würden „systematisch“ analysiert. Die Unterbindung der Geschäfte sei letztlich aber eine „behördenübergreifende Aufgabe“.

In Thüringen führte das zuletzt immerhin zu einer Anklage: Jahrelang konnte dort der rechtsextreme Kneipenwirt und Konzertorganisator Tommy Frenck frei schalten und walten. Nun bestätigte die Staatsanwaltschaft Mühlhausen, dass sie bereits Ende 2022 Anklage gegen den Mittdreißiger erhoben hat. Der Vorwurf: Steuerhinterziehung in Höhe von gut 140.000 Euro.

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8 Kommentare

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  • "Klassisch finanzieren sich Rechtsextreme durch Konzerte, Mode, Versandhandel oder Kampfsportveranstaltungen." --- und natürlich Drogen und Prostitution. (www.youtube.com/watch?v=9HGpLk2R0SI)

  • Wer die AfD bekämpfen will, soll mal aufdecken wo die Mittel für die Kampagnen und Wahlkämpfe hier bei uns herkommen. Die AfD versucht seit einigen Jahren mit großem Aufwand hier in Ostsachsen die Leuchtturmerfolge zu holen und Landrats oder Bürgermeisterposten zu gewinnen. Die stehen hier jedes Wochende am Marktplatz, haben immer Plakate und andere Werbung am Start auch außerhalb der offiziellen Wahlkämpfe. Deckt doch mal die Geldquellen auf. Das zeigt den Leuten hier vor Ort viel effizienter, dass sie wieder nur verarscht verden sollen, als jede gutgemeinte Wir sind mehr Aktion im fernen Berlin.

    • @Šarru-kīnu:

      Die Großspenden sind offen deklariert einsehbar. Bis 50 000 € kann und wird anonym gespendet.



      Es spricht nichts dagegen an der Stellschraube zu drehen. Sollt verpflichtend für die komplette Parteienlandschaft und alle NGO`s in diesem Land sein. Wird aber nicht umgesetzt, weil weder die Parteien noch die NGO`s ein größeres Interesse daran haben komplett offenzulegen, wer die finanziellen Mittel bereitstellt.

  • Dann werden in absehbarer Zeit diese Kanäle ihre Konten in England eröffnen.



    Man ist dort was Anti-Diskriminierung betrifft nämlich schon ein ganzes Stück weiter als in Deutschland und arbeitet an einem Gesetz was Banken untersag Konten zu schließen, wenn denen die Ideologie ihres Kunden nicht passt.

    • @SeppW:

      Nazis die Konten zu sperren ist also für sie Diskriminierung. Lässt tief blicken.

      • @Andreas J:

        Seit Einführung des Zahlungskontengesetzes (ZKG) hat jeder Verbraucher, der sich rechtmäßig in der Europäischen Union aufhält, einen Anspruch auf ein Basiskonto. Das schließt auch Personen ohne festen Wohnsitz und Asylsuchende ein. Personen ohne Aufenthaltstitel, die aber aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden können (Geduldete), haben ebenfalls diesen Anspruch.

        Da steht nichts von "aber nicht wenn uns die Ideologie des Kontoinhabers nicht passt"

      • @Andreas J:

        Nazis die Konten zu sperren, muß keine Diskriminierung sein, wohl aber, angeblichen Nazis die Konten zu sperren. Wer entscheidet auf welcher Grundlage, wer ein "Nazi" ist?

  • Die Bemühungen beider AkteurInnen betrachte ich als positiv. Es ist doch schön, zu sehen, dass hier eine NGO und staatliche Stellen das gleiche Ziel verfolgen.



    Die Mafia wird seit Langem bekämpft und ein Ende ist nicht abzusehen. Gleiches wird für rechtsextreme Strukturen gelten. Es ist gut, dass das Problem erkannt und bekämpft wird. Ob dieser Kampf jemals endet, ist fraglich.