Filme im Stream: Richtiges Schauspiel, wahre Szenen

Archiv-Material und Reenactment in Anders Østergaards „Winterreise“, Kinogeschichte im Filmmuseum Potsdam und ein Konzertfilm von David Lynch.

Szene aus „Winterreise“ (2019)

Szene aus „Winterreise“ (2019) Foto: Realfiction

BERLIN taz | Angesichts der heftigen Diskussion um den „Dokumentar“-Film „Love Mobile“ – dessen Regisseurin hatte gegenüber ihrem ko-produzierenden Sender und der Öffentlichkeit „versäumt“ zu erwähnen, dass die von ihr porträtierten Prostituierten, Kunden und Zuhälter keine authentischen Personen sind, sondern Laiendarsteller in erdachten Szenen – erscheint es interessant, einmal einen Dokumentar-Essay anzuschauen. Der unternimmt nämlich in formaler Hinsicht gerade das Gegenteil.

So erzählt „Winterreise“ (2019) die Geschichte der während des Zweiten Weltkriegs nach Amerika geflüchteten Eltern von Radiomoderator Martin Goldsmith auf der Basis von Gesprächen, die dieser in den 90er-Jahren mit seinem Vater George, ehemals Günther Goldschmidt, über ihre Zeit als deutsche Juden in der Nazi-Zeit geführt hatte.

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Das Leben der Goldschmidt-Eltern – beide Musiker – war seinerzeit eng mit dem Jüdischen Kulturbund verbunden, einer Organisation, die bis zu ihrer Auflösung 1941 jüdischen Künstlern zwar noch ein Auskommen sicherte, den Nazis aber zugleich die totale Kontrolle über diese Menschen ermöglichte.

Der Film von Anders Østergaard und Erzsébet Rácz verbindet dabei Archiv-Material, Reenactments (Bruno Ganz ist in seiner letzten Rolle als Vater George zu sehen) und kleine Spielszenen auf eine innovative Weise mit historischen Fotos. Dabei geht es nicht darum, die sehr disparate Herkunft dieses Materials irgendwie zu „vertuschen“, ganz im Gegenteil: Der Film stellt dies aus und schafft gerade deshalb eine sehr lebendige Darstellung einer schrecklichen Zeit und ihrer Folgen.

„Winterreise“ sollte bereits im vergangenen Herbst in die Kinos kommen, wurde dann jedoch vom November-Lockdown torpediert und erscheint jetzt als VOD mit Kinobeteiligung, in Berlin Eva-Lichtspiele und Filmkunst 66 (Stream ab 22.4. bei Real Fiction: www.vimeo.com/ondemand/winterreise).

125 Jahre Kino

Eigentlich gab es ja im vergangenen Jahr auch etwas zu feiern: 125 Jahre Kino nämlich, und das auch in Berlin, wo die Brüder Skladanowsky am 1. November 1895 ihre später „Wintergarten-Programm“ betitelten Film in ebenjenem Varietétheater vorführten.

In der Pandemie ging das alles ein wenig unter, allerdings kuratierte das Filmmuseum Potsdam eine Ausstellung und eine Filmreihe, die aus bekannten Gründen momentan nicht vor Ort besucht werden können. Online ist man allerdings mit einer kleinen Filmreihe am Start, in der den Veränderungen von Kinos, Technik und Aufführungspraxis in all den Jahren nachgegangen wird.

Momentan zu sehen: „Der Vorführ-Effekt“ (2001), eine Dokumentation von Carsten Knoop, der einen filmischen Rundgang durch die Projektionsräume verschiedener Hamburger Kinos unternimmt und die Filmvorführer dabei von ihrer Arbeit erzählen lässt (Stream: www.filmmuseum-potsdam.cinemalovers.de).

Dass es einen musikalischen Grund gibt, sich einen Konzertfilm mit der britischen Band Duran Duran anzusehen, möchte ich gelinde bezweifeln. Aber „Duran Duran: Unstaged“ wurde immerhin von David Lynch gedreht, der einem Live-Auftritt der Band mit Gästen im Wesentlichen allerlei visuelle Effekte hinzufügte. Gelungen? Naja, irgendwem wird es vermutlich gefallen (Stream bei Good Movies: www.vod.goodmovies.de).

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Lars Penning, geboren 1962. Studium der Publizistik, Theaterwissenschaft und der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Freier Filmjournalist. Buchveröffentlichungen: Cameron Diaz (2001) und Julia Roberts (2003). Zahlreiche filmhistorische und –analytische Beiträge für verschiedene Publikationen. Lebt in Berlin.

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