Fiebersaft-Knappheit in Apotheken: Gesetz gegen Lieferengpässe
Der Bundestag will Medikamente auf Vorrat. Heißt das, dass es im Herbst genug Antibiotika und Schmerzmittel geben wird?
Im vergangenen Dezember waren Lieferschwierigkeiten bei Kindermedikamenten wie Fieber- und Hustensäften eskaliert. Versorgungsschwierigkeiten gibt es aber bereits seit Jahren immer wieder und auch bei besonders kritischen Arzneimitteln, etwa für die Krebsbehandlung. Aktuell sind beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gut 490 Meldungen zu Engpässen erfasst. Die Ursachen sind laut Expert*innen ein Zusammenspiel aus anfälligen globalen Lieferketten, dem Rückzug deutscher und europäischer Hersteller aus der Wirkstoffproduktion, einer Monopolbildung, bei der teils nur noch ein einziger Hersteller für bestimmte Medikamente verbleibt und der Finanzierungssystematik im deutschen Arzneimittelmarkt.
Auf die Lieferprobleme bei Kindermedikamenten hatte das Gesundheitsministerium zunächst mit kurzfristigen Maßnahmen, etwa zur Abgabe alternativer Mittel in den Apotheken, reagiert. Grundlegende Absicherungen soll nun das Gesetz mit dem sperrigen Namen „Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz“ – kurz ALBVVG – bringen.
Zentrale Maßnahme ist dabei die Verankerung eines Sicherheitspuffers. Für alle Medikamente mit Rabattverträgen der Krankenkassen sollen Hersteller bei sich einen Vorrat anlegen müssen. Ursprünglich sollte dieser der durchschnittlichen Liefermenge für drei Monate entsprechen. Der Gesundheitsminister selbst hatte den Gesetzentwurf zuletzt noch auf 6 Monate verschärft.
Der Verband der Hersteller patentfreier Medikamente, Pro Generika, warnte bereits bei Bekanntwerden der Pläne, dass dafür weder Lager- noch Produktionskapazitäten der Hersteller ausreichten.
Für Kindermedikamente soll es künftig gar keine Rabattverträge mehr geben, wie sie die Kassen bisher mit den Herstellern vereinbaren. Die Hersteller dürfen laut Gesetz nun ihre Abgabepreise einmalig um bis zu 50 Prozent des zuletzt geltenden Festbetrags anheben. Für Kindermedikamente soll generell eine Liefermenge für vier Wochen beim Großhandel als Vorrat auf Lager gehalten werden müssen.
Verband warnt vor steigenden Mehrkosten
Für Apotheken soll der Austausch mit ähnlichen Präparaten erleichtert und auch extra vergütet werden. Außerdem soll das Bundesinstitut für Arzneimittel zusätzliche Informationsrechte gegenüber Herstellern und Krankenhausapotheken bekommen und ein Frühwarnsystem einrichten – bisher gibt es nur eine Selbstverpflichtung der Hersteller zur Meldung von Lieferengpässen. Bei Ausschreibungen der Kassen für Antibiotika sollen künftig Hersteller mit Wirkstoffproduktion in Europa priorisiert werden.
Bei den gesetzlichen Krankenkassen sieht man die Ursache für Lieferengpässe nicht im aktuellen Finanzierungssystem der Rabattverträge und Festbeträge. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) warnt angesichts des Gesetzes vor jährlichen Mehrkosten „mindestens im hohen dreistelligen Millionenbereich“, dem die bloße Erwartungshaltung auf Liefersicherheit gegenüberstehe. In diesem Monat hatte der Bundesgesundheitsminister bereits einen Anstieg der Krankenkassenbeiträge angekündigt.
Die Erwartung, dass Lieferengpässe bei Medikamenten rasch der Vergangenheit angehörten, dämpfte Karl Lauterbach auch selbst. Schließlich müssten die Rabattverträge mit den neuen Bedingungen ja erst ausgehandelt werden. „Im Herbst werden wir trotzdem noch Probleme haben“, sagte Lauterbach bei einer Veranstaltung im Vorfeld.
Neben den Maßnahmen gegen Lieferengpässe brachte der Bundestag mit dem Gesetz auch die Grundlagen für die telefonische Krankschreibung auf den Weg. Eine entsprechende Corona-Sonderregelung war im April ausgelaufen. Nun sollen bei ihren Ärzt*innen bekannte Patient*innen und Menschen ohne schwere Symptome eine dauerhafte Möglichkeit für solche Krankschreibungen erhalten. So sollen Praxen und Patient*innen, besonders Eltern mit Kindern, entlastet werden. Die genaue Regelung dazu soll der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzt*innen, Kassen und Kliniken erarbeiten. (mit dpa)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen