Engpässe bei wichtigen Medikamenten: Fiebersaft ist aus

Viele Medikamente sind im Moment nur schwer erhältlich. Die Lieferengpässe verschärfen die ohnehin schon angespannte Lage in Praxen und Kliniken.

Das Lager in einer Apotheke

Apotheken klagen über Lieferengpässe bei der Medikamentenbeschaffung Foto: Ernst Wukits/imago

BERLIN taz | Seit Jahren gibt es immer wieder Lieferengpässe bei Medikamenten. „Aber so eine Situation, wie wir sie momentan erleben, hatten wir noch nie, seit ich Apothekerin bin“, sagt Anke Rüdinger aus dem Vorstand der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Neben Fiebersaft seien Medikamente aus der ganzen Bandbreite des Sortiments nicht mehr lieferbar: Hustenmittel, Antibiotika in bestimmten Darreichungsformen, Magen-Darm-Mittel, Blutdruckmedikamente.

Zwar könne man noch alle Kun­d:in­nen versorgen, erzählt Rüdinger, seit 1991 Apothekerin in Berlin. Aber mit deutlich erhöhtem Aufwand: Hersteller und Großhandel abtelefonieren, mit Kun­d:in­nen alternative Darreichungs- und Dosierungsformen besprechen, mit Ärz­t:in­nen Rücksprache halten und im Zweifel nicht verfügbare Medikamente selbst herstellen.

Immerhin, sagt Rüdinger, sei die Sars-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung noch in Kraft und die Apotheken können von den Rabattverträgen mit den Krankenkassen abweichen. Sonst wären viele Alternativen gar nicht oder nur mit neuer Verordnung möglich.

Ebenjene Krankenkassen gelten auch als eine der vielen Ursachen für die wiederkehrenden Lieferengpässe. Sie sind per Vergaberecht gezwungen, mit den billigsten Herstellern zusammenzuarbeiten. In der Folge wurde in den letzten Jahren nicht nur die Rohstoffproduktion in Niedriglohnländer verlagert. Immer wieder ziehen sich auch Hersteller aus nicht lukrativen Arzneimittelproduktionen zurück. Bei vielen Medikamenten sind nur noch wenige Anbieter verblieben, manchmal nur noch ein einziger.

300 Medikamente mit längeren Engpässen

Weil deren Produktionsstätten aus Kostengründen kaum Reserven nach oben haben, ist eine Mehrproduktion oft nicht ohne weiteres möglich. Globale Lieferketten, wenige Anbieter: Das macht das System anfällig für Lieferengpässe.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist seit 2013 zuständig für die Erfassung von Lieferengpässen. Ein Beirat aus Ver­tre­te­r:in­nen von Apotheken, Politik, Medizin, Krankenkassen, Herstellern und Pharma-Handel gibt seit 2020 Empfehlungen zum Umgang mit Versorgungsproblemen. Aktuell stehen rund 300 Medikamente auf einer Liste, die Lieferengpässe von mindestens 14 Tagen anzeigt. Gemeldet werden diese von den Herstellern – per freiwilliger Selbstverpflichtung.

Den letzten echten Versorgungsengpass habe man Anfang des Jahres bei dem Brustkrebsmedikament Tamoxifen gesehen, heißt es aus dem Bundesinstitut. Auch hier hatten sich Anbieter zurückgezogen, weil sie nicht mehr kostendeckend produzieren konnten. Die übrigen Hersteller konnten das nicht auffangen. Beim BfArM und dem Bundesgesundheitsministerium zog man daraufhin alle Register: Exportverbot, Importöffnung, Kontingentierung der Abgabe an Apotheken und Patient:innen.

Auch bei den Fiebersäften ist in diesem Jahr einer der größten Hersteller ausgestiegen. Kurz nachdem das im Frühsommer publik wurde, stieg der Apothekeneinkauf rasant an. Schon im August gab es eine Empfehlung des BfArM-Beirats zum Umgang mit der eingeschränkten Verfügbarkeit. Die an Apotheken gelieferte Menge von Fiebersäften ist aber offenbar nicht gesunken: Im Vergleich zu 2019 wurde in diesem Jahr sogar mehr Fiebersaft bestellt und geliefert.

Apo­the­ke­r:in­nen wollen mehr Geld

Vom BfArM heißt es, neben dem erhöhten Bedarf durch die vielen Atemwegserkrankungen könnten Bevorratungen und regionale Ungleichverteilungen eine Rolle bei dem aktuellen Engpass spielen.

Der Beirat des Bundesinstituts empfiehlt den Apotheken deshalb dringend, keine Vorräte über den Bedarf einer Woche hinaus anzulegen, da dies zu Unterversorgungen an anderer Stelle führt. Älteren Kindern sollten Tabletten als Alternative angeboten werden. Bei Bedarf können die Apotheken auch Fiebersäfte selbst herstellen – dafür erhalten sie eine zusätzliche Vergütung.

Bei den Kinder- und Jugendärzten sorgen die Engpässe für zusätzlichen Unmut. Denn neu sind sie auch hier nicht: In der Vergangenheit mussten etwa Masernimpfungen mangels Impfstoff verschoben werden. Nun kämen Eltern mehrmals in die ohnehin überfüllten Praxen, weil zum Beispiel bestimmte Antibiotika nicht verfügbar sind und sie Rezepte für Ausweichprodukte bräuchten, erzählt Jakob Maske, Bundessprecher des Kinder- und Jugendärzteverbands. Er müsse dann auf das Mittel zweiter oder sogar dritter Wahl ausweichen.

„Das ist eine deutliche Qualitätsminderung in der medizinischen Versorgung, und zwar wieder bei den Kindern“, kritisiert Maske. Vor dem Hintergrund der Versorgungskrise in den Kinderkrankenhäusern sollten auch Eltern mehr Druck auf die Politik ausüben, meint er.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) versprach Ende November, in Kürze ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das die Ursachen von Lieferengpässen eindämmt. Der Kinderärzte-Verband fordert kurzfristig eine politisch angeschobene Beschaffungsaktion für die fehlenden Medikamente nach dem Vorbild der Corona-Impfstoffe. Der Apothekerverband will ein weiteres Zusatzhonorar für den gestiegenen Arbeitsaufwand der Apotheker:innen.

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