Ferda Ataman über Diskriminierung: „Wir stecken in einer Krise“
Ferda Ataman leitet seit drei Jahren die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Ein Gespräch über Racial Profiling und gefährliche Äußerungen des Kanzlers.

taz: Frau Ataman, verlieren wir gerade den Kampf gegen Diskriminierung?
Ferda Ataman: Deutschland hat den Kampf gegen Diskriminierung noch nie richtig aufgenommen. Das Thema wurde viel zu lange stiefmütterlich behandelt, egal welche Regierung gerade regiert hat.
Die Journalistin und Autorin ist seit Juli 2022 Unabhängige Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes.
taz: Tatsächlich ist die AfD die zweitstärkste Kraft im Bundestag. Im Innenministerium sitzt Alexander Dobrindt, der vor einem „Generalverdacht“ gegen Polizist*innen gewarnt hat. Und die Zahl der Anfragen bei der von Ihnen geleiteten Antidiskriminierungsstelle steigen.
Ataman: Wir stecken in einer Diskriminierungskrise. Ganz egal, ob es um Rassismus oder Antisemitismus geht, ob es Frauen betrifft, die sexuell belästigt wurden, oder Menschen mit Behinderung, die wegen mangelnder Barrierefreiheit an einem Bahngleis stehen gelassen werden. Das ist ziemlich bitter. Ich glaube, so langsam verstehen die demokratischen Parteien aber, wie groß das Problem ist.
taz: Die Union hat kürzlich im Streit über die Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht einen Kulturkampf losgetreten – und da schwang eine gehörige Portion Misogynie mit. Spricht das nicht für das Gegenteil?
Ataman: Wie mit Frau Brosius-Gersdorf umgegangen wurde, ist schockierend. Da wurde eine exzellente, in Fachkreisen als eher konservativ geltende Juristin zur linken Aktivistin erklärt und delegitimiert. Ich beobachte das in letzter Zeit öfter: Menschen, die in verantwortungsvolle Positionen kommen sollen, werden systematisch demontiert, indem ihnen eine angeblich fragwürdige politische Agenda unterstellt wird. Im Fall Brosius-Gersdorf ist hinreichend belegt, dass da eine bewusste Cancel-Strategie dahintersteht.
Ferda Ataman
taz: Man kann noch andere Beispiele anführen: Julia Klöckner hat verboten, am CSD die Regenbogenflagge über dem Bundestag zu hissen. Untergräbt die Union den Kampf gegen Diskriminierung?
Ataman: Was Politiker*innen der Regierung tun oder sagen, strahlt in die Bevölkerung aus. Das war auch schon bei der Ampelregierung so. Politik verhandelt Positionen und legt fest, was sagbar ist und in welchem Ton. Das merken wir auch in unserer Beratung. Eine Bundestagsdebatte über Asylpolitik zum Beispiel hat nicht nur Auswirkungen auf Geflüchtete, sondern auf alle Menschen, die als Ausländer wahrgenommen werden. Das Gleiche merken wir auch in anderen Fällen: Nachdem jahrelang über angeblich arbeitsfaule Sozialleistungsbezieher*innen diskutiert wurde, bekommen Menschen bei der Wohnungssuche und anderswo Absagen mit der Begründung „Sozialschmarotzer wollen wir hier nicht“.
taz: Bundesinnenminister Dobrindt hat die Bundespolizei angewiesen, Asylsuchende zurückzuweisen. Ist das nicht implizit auch der Befehl, Racial Profiling durchzuführen?
Ataman: Wir beobachten, ebenso wie der Bundespolizeibeauftragte, dass die Fälle von Racial Profiling zugenommen haben. Das ist ein ernstes Problem. Berufspendler*innen etwa, die nicht deutsch genug aussehen, haben gerade das Nachsehen. Soweit wir wissen, ist in der Polizei durchaus bekannt, dass anlasslose Personenkontrollen allein aufgrund von äußerlichen Merkmalen verboten sind. Es wäre aber gut, wenn es eine klare Ansage aus dem Innenressort gäbe, dass diskriminierendes Verhalten bei verstärkten Grenzkontrollen gegen geltendes Recht verstößt.
taz: Zuletzt wurden CSDs heftig angegriffen. Verdüstert sich auch die gesamtgesellschaftliche Lage?
Ataman: Wir sehen, dass Ressentiments und gruppenbezogene negative Einstellungen zunehmen. Ein Grund dafür dürften massive Desinformation und Hetze über soziale Medien sein. Ich würde aber auch nicht unterschätzen, welche Rolle politische Debatten spielen. Wenn ein Bundeskanzler die Anliegen queerer Menschen mit einem Zirkuszelt vergleicht, dann ist das nicht nur flapsig, sondern fatal in Zeiten, in denen Rechtsextreme in Parlamenten gegen Minderheiten hetzen.
taz: Würde ein AfD-Verbotsverfahren helfen?
Ataman: Wenn der Verfassungsschutz eine Partei als gesichert rechtsextrem einstuft, dann müssen die Verfassungsorgane ihrem Auftrag und ihrer Verantwortung gerecht werden. Der Bundestag sollte dann eine Prüfung beim Bundesverfassungsgericht beauftragen. Ich habe aber das Gefühl, einige Parteien wägen gerade ab, ob so ein Verfahren für sie selbst politisch opportun ist.
taz: Sie sprachen von einer Diskriminierungskrise. Bedeutet das nicht gleichzeitig ein schlechtes Zeugnis für Sie und Ihre Antidiskriminierungsstelle?
Die Frage finde ich merkwürdig. Sie fragen doch auch nicht die Feuerwehr, ob sie schuld ist, wenn es öfter brennt. Dass sich gerade so viele Menschen an uns wenden, hat vermutlich damit zu tun, dass mehr Menschen ihre Rechte kennen und Hilfe suchen. Darauf bin ich eher sogar ein bisschen stolz. Aber gegen die Krise muss dringend mehr getan werden. Das ist Aufgabe der Politik.
taz: Was kann die denn tun?
Ataman: Auf die Bedürfnisse von Menschen eingehen, die Diskriminierung erleben. Wir brauchen ein Antidiskriminierungsrecht, das die Menschen wirklich schützt. Unser Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, kurz AGG, ist eines der schwächsten derartigen Gesetze in Europa. Entsprechend können sich Menschen nur unter erschwerten Bedingungen gegen Diskriminierung wehren. Es gibt kaum Fälle vor Gericht.
taz: Warum?
Ataman: Die im Gesetz vorgesehene Frist, um einen Diskriminierungsfall geltend zu machen, ist mit zwei Monaten viel zu kurz. Das AGG befasst sich außerdem nur mit dem Privatbereich und nicht mit Diskriminierung durch staatliche Stellen wie Polizei oder Ämter. Und selbst da, wo das Gesetz gilt, gibt es noch viele Ausnahmen und Schlupflöcher im AGG, sodass Diskriminierung am Ende oft ohne Konsequenzen bleibt.
taz: Bisher sind nur die Merkmale „Rasse oder ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität“ im Gesetz aufgeführt. Sie fordern weitere Kriterien aufzunehmen.
Ataman: Genau. Sinnvoll wären zum Beispiel: sozialer Status, Sprache, Staatsangehörigkeit und familiäre Fürsorgeverantwortung. Viele Eltern erleben massive Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt, weil sie sich um ihre Kinder kümmern. Das gilt auch für Personen, die ihre Eltern pflegen, weil sie keine Pflegemöglichkeiten finden. Beides gilt momentan aber nicht als Diskriminierung nach dem AGG.
taz: Genauso wenig wie Diskriminierung durch Behörden …
Ataman: … jede vierte Anfrage an unser Beratungsteam betrifft Diskriminierungen bei Ämtern, Behörden, Justiz und anderen staatlichen Stellen. Viele Menschen verstehen nicht, warum sie beim Bäcker besser vor Diskriminierung geschützt sind als beim Bürgeramt. Damit das besser wird, brauchen wir mehr Schutz vor Diskriminierung auf Bundesebene, aber auch dort, wo die Länder zuständig sind.
taz: Zum Beispiel?
Ataman: In Berlin wurde vor ein paar Tagen der Fall von Lahav Shapira verhandelt. Er wirft der FU Berlin vor, nicht genug gegen Antisemitismus auf dem Campus unternommen zu haben. Das ist nur möglich, weil es in Berlin als einzigem Bundesland ein Antidiskriminierungsgesetz gibt, das für die Hochschulen und Universitäten klare Vorgaben macht und deshalb das Hochschulgesetz angepasst wurde.
taz: Die Länder sollen fixen, was der Bund nicht hinbekommt?
Ataman: Nein, der Bund muss sich um seine Zuständigkeiten kümmern und die Länder um ihre. Wer die EU-Vorgaben zum Schutz vor Diskriminierung konsequent umsetzen will, braucht beides: Antidiskriminierungsgesetze in allen Ländern und eine Reform des AGG.
taz: Und damit wäre es getan?
Ataman: Diskriminierung entgegenzuwirken ist natürlich ein großes gesellschaftspolitisches Projekt. Bildung und Aufklärung spielen dabei eine wichtige Rolle, so wie Sicherheitspolitik, Entwicklungen im Internet und bei der Digitalisierung. Aber das Antidiskriminierungsrecht ist schon ein zentraler Faktor. Kommt es zu Diskriminierung, muss klar geregelt sein, wer welche Rechte hat und welche Konsequenzen folgen. Im Straßenverkehr würde ja auch niemand infrage stellen, dass es Regeln braucht. Im Moment ist es aber so, dass Falschparken stärker geahndet wird als Diskriminieren.
taz: Die Forderung nach einer Reform des AGG ist alt. Wird da noch was draus?
Ataman: Die Reform steht im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Also gehe ich erst mal davon aus, dass was kommt.
taz: Auch die Ampel hatte sich die AGG-Reform schon im Koalitionsvertrag. Passiert ist nichts. Haben SPD, Grüne und FDP die Chance für gesellschaftliche Modernisierung verstreichen lassen?
Ataman: Ich will hier nicht groß nachtreten. Aber tatsächlich hat auch die Ampel wichtige Projekte verschleppt. Für die AGG-Reform gab es noch nicht einmal einen Gesetzentwurf. Das hat mich schon sehr enttäuscht. Diskriminierungsschutz ist kein Charity-Projekt für gute Zeiten. Es ist auch kein Gesetz für Minderheiten. Es geht darum, dass 83 Millionen Menschen in Deutschland das Recht haben, diskriminierungsfrei durch den Alltag zu kommen.
taz: Sie sind jetzt etwa drei Jahre im Amt, zwei weitere liegen noch vor Ihnen. Was haben Sie noch vor?
Ataman: Ich würde gern am Ende meiner Amtszeit die erste inhaltliche Reform des AGG feiern. Und ich würde gern Antidiskriminierungsberatung im ländlichen Raum weiter ausbauen und verstetigen. Wer Diskriminierung erlebt, braucht Hilfe, am besten vor Ort. Außerdem kämpfe ich weiter dafür, dass die Antidiskriminierungsstelle größer und sichtbarer wird. Meine französische Amtskollegin hat 250 Mitarbeitende und wird vom Präsidenten ernannt. Ich habe ungefähr so viel Personal wie mein Amtskollege in Albanien, der nur für 2,8 Millionen Menschen zuständig ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Frankreich zu Palästinenserstaat
Macron kündigt Anerkennung Palästinas im September an
Deutsche Israel-Politik
130 Diplomaten im Außenministerium fordern härteren Kurs
Bettelverbot in Hamburgs S- und U-Bahnen
S-Bahn verhindert Grundrechtsentscheidung
Krieg im Gazastreifen
Keine Hilfe für die Verhungernden
Êzîdische Familie in Irak abgeschoben
Zurück ins Land des Verbrechens
Bezahlkarte soll ausgeweitet werden
Erst Geflüchtete, dann Deutsche