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Feministische Kampagne nach KölnImmer. Überall. #ausnahmslos

Mit einer neuen Kampagne fordern Feminist_innen mehr Schutz vor sexualisierter Gewalt und wehren sich gegen Vereinnahmung durch Rassist_innen.

Protest gegen sexualisierte Gewalt – und Rassismus: Demonstration in Köln Foto: dpa

BERLIN taz | Ganz Deutschland scheint sich derzeit den Kampf gegen sexualisierte Gewalt auf die Fahnen geschrieben zu haben. Erfreulich, könnte man meinen. Doch von der SPD über die CDU bis zu den Rechtspopulist_innen von der AfD ist man sich einig, auch schon das richtige Mittel dafür gefunden zu haben: mehr Abschiebungen. Unter dem Hashtag #ausnahmslos wehren sich Feminist_innen nun gegen die Vereinnahmung ihrer jahrelangen Forderungen nach besserem Schutz vor sexualisierter Gewalt.

Dem Hashtag vorausgegangen war ein Aufruf der Feministinnen Anne Wizorek, Kübra Gümüşay und 20 anderen Aktivistinnen. Darin fordern sie den konsequenten Einsatz gegen sexualisierte Gewalt jeder Art und verwehren sich der Instrumentalisierung dieses Anliegens, „um gegen einzelne Bevölkerungsgruppen zu hetzen, wie das aktuell in der Debatte um die Silvesternacht getan wird“. Unter den mehr als 400 Mitzeichner_innen befinden sich Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD), Claudia Roth (Grüne) und Katja Kipping (Linke), aber auch die amerikanische Aktivistin Angela Davis und die britische Autorin Laurie Penny.

In der vergangenen Woche war Feminist_innen von populistischer Seite immer wieder vorgeworfen worden, ihr #aufschrei gegen Sexismus reagiere überzogen auf „harmlose Herrenwitze“, schweige aber nun, weil ihnen die Thematisierung der Herkunft der Täter nicht passe. Während „altdämliche Herrenanmachversuche“ zu einem Generalverdacht gegen „die Hälfte der Bevölkerung“ führten, handle es sich nun eher um einen „Aufschrei 0.0“, schrieb etwa Birgit Kelle im Focus. Bisher war sie vor allem mit dem Ratschlag aufgefallen: „Dann mach doch die Bluse zu“ – so auch der Titel ihres 2013 erschienenen Buches.

Allenthalben wird der #aufschrei auf einmal in Mündern geführt, die vorher noch nie ein Interesse an einem besseren Schutz vor sexualisierter Gewalt verkündet hatten. Diese dürfe „nicht nur dann thematisiert werden, wenn die Täter die vermeintlich ‚Anderen’ sind“, heißt es im #ausnahmslos-Aufruf. Ausnahmslos alle Menschen sollten vor verbalen und körperlichen Übergriffen geschützt sein. „Das sind die Grundlagen einer freien Gesellschaft.“ Dass dies in Deutschland und in der EU keineswegs der Fall ist, belegen eine Erhebung der Agentur für Europäischen Union für Grundrechte (FRA) sowie die Kriminalstatistiken der deutschen Polizei.

Der Erhebung zufolge wurde mehr als die Hälfte der in der EU lebenden Frauen schon einmal sexuell belästigt, ein Drittel hat in der Vergangenheit körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren. Allein in Deutschland würden laut Kriminalstatistik jedes Jahr mehr als 7.300 Vergewaltigungen angezeigt. Dabei ist bekannt, dass die Mehrzahl solcher Übergriffe aus Scham oder Angst nie zur Anzeige gebracht wird, die Dunkelziffer also weitaus höher liegen muss. Diese Zahlen mit „Nordafrikanern“ oder Flüchtlingen zu erklären, kann niemand ernsthaft versuchen.

So sind denn auch die Forderungen des Aufrufs dieselben, die Feminist_innen seit Jahren stellen: mehr Unterstützung für Beratungsstellen und Frauenhäuser, eine offenere und kritischere Debatte, mehr Zivilcourage und vor allem ein konsequenteres Sexualstrafrecht. Denn sexuelle Belästigung ist in Deutschland kein eigener Straftatbestand, und die Definition einer Vergewaltigung ist so eng, dass viele Fälle vor Gericht keine Chance haben. Und daran werden auch Abschiebungen und rassistische Stereotype nichts ändern.

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11 Kommentare

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  • Leider wird diese Kampagne dem eigenen Anspruch nicht gerecht! Sie schreien laut , nachdem "weiße Cis2-Frauen" in aller Öffentlichkeit, in Gegenwart von 200 Polizisten massivst sexuell genötigt und gewaltigt wurden.

     

    Nichts wissen die Initiatoren über Täter und Taten, sonst würden sie wissen, dass hier nur die Spitze des Eisberges kurz zu sehen war.

     

    Tatsächlich richtet sich sexuelle Gewalt von männlichen Flüchtlingen viel häufiger gegen Flüchtlinge - gegen Frauen und Männer. Wer das wissen will, kann dies in jeder Großunterkunft erfahren. Darüber höre und lese ich hier nichts. Warum? Weil die Initiatoren überwiegend selbst "weiße Cis2-Frauen" sind und ihr Kampf gegen Sexismus für etwas anderes steht ...

     

    Gehen Sie los und helfen Sie allen Opfern von sexuellen Übergriffen (die übrigens auch subtil und ohne Gewalt statt finden). In diesem Sinne AUSNAHMSLOS:

    • @TazTiz:

      Was hindert sie denn daran, IHREM hier so knall-laut formulierten Anspruch selber gerecht zu werden? Und was spricht für sie dafür, diese bitter notwendige Kampagne anzugreifen, die sich gleichzeitig gegen Sexismus und den in dieser Debatte nicht zu übersehenden Rassismus gleichzeitig richtet?

      Wenn Ihnen die Kampagne nicht genügt, ergänzen Sie sie.

      Wenn Sie sie torpedieren wollen, müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, ob Ihnen Sexismus und/oder Rassimus egal ist.

  • 0G
    0981 (Profil gelöscht)

    Naja aber es ist doch auch so. Bei einem einheimischen Mann genügt ein anzüglicher Witz Nachts an einer Hotelbar um ihn 2 Jahre danach noch politisch zu vernichten. Ein #Aufschrei fand statt über die vermeintlich allgegenwärte sexualisierte Gewalt in der Gesellschaft. Handelt es sich aber dann um wirkliche gewalttätige sexuelle Übergriffe von Migranten, dann ist das natürlich alles ganz was anderes. Dann hat die Gesellschaft und die Kultur aus denen diese stammen nichts damit zu tun...

     

    Empfehle mal allen diesen Kommentar zu lesen: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/gastbeitrag-von-samuel-schirmbeck-zum-muslimischen-frauenbild-14007010.html

    • @0981 (Profil gelöscht):

      Sagen sie mal, fällt Ihnen nicht auf, wie grundfalsch genau das ist, was sie da schreiben?

       

      1. regen sich ausnahmslos ALLE (ob feministisch oder nicht) über die Silvesterangriffe auf. Zeigen Sie mir eine publizistische Meinung, die davon abweicht.

      2. Brüderle bekam seinerzeit neben Kritik (und mehr war es nicht) einige Unterstützung, trotz oder gerade wegen seiner Altherren-Anmache. Statt "politischer Vernichtung" (die eher durch FDP-Abwahl kam) wird jetzt und bei anderen laut "Abschiebung" gerufen - und gerade politisch durchgesetzt. Denn es wird gar nicht über Männlichkeit und Sexualethik, sondern nur über "Ausländer", "Südländer" oder "Asylanten" geredet.

      3. passieren seit Menschengedenken massivste sexistische Übergriffe bei kartoffeldeutschen Festivitäten von Karneval über Kirmes bis Oktoberfest und Schützenverein, ohne dass es einen mit der letzten Woche vergleichbaren Aufschrei gegeben hätte.

      4. sind Protagonistinnen wie Kelle bislang eher dadurch aufgefallen, den Sexismus der "offenen Bluse" der Frau anzulasten. Andere Rechte finden Übergriffe auf Ausländer/innen nicht ganz so schlimm, nur die "doitsche Frau" soll "von uns deutschen Männern" geschützt werden.

       

      Da kann man schon mal auf die Idee kommen, hier wird etwas rassistisch aufgeladen, was in anderen Kontexten weniger stört. Daher ist dieser Aufruf ebenso berechtigt wie die Erwartung rassistischer Reaktionen.

      • 0G
        0981 (Profil gelöscht)
        @Spin:

        1. Habe nicht behauptet das sich da keiner drüber aufregt. Der Umgang damit stört mich.

         

        2. Wollte darauf hinaus das gerne mal mit zweierlei Maß gemessen wird. Und das ist meiner Meinung nach eben so.

         

        3. Ja es gibt sexuelle Übergriffe, bei den genannten Festivitäten als auch im Beruf oder Privat. Vergleichbare massive Übergriffe in der Masse an einem Ort sind mir bisher aber nicht bekannt geworden, nicht vom Karneval, nicht vom Oktoberfest und auch nicht von einer Kirmes. Fakt ist, wenn es sich um einheimische Täter handelt, dann wird gerne und ausführlich auch über gesellschaftliche Ursachen diskutiert, die dann auch bishin zu einer angeblich existierenden #rapeculture hochstilisiert werden. Bei Migranten aber ist es rassistisch die Frage zu stellen in wie weit die Gesellschaften und die Kultur in den Herkunftsländern eine Rolle spielt.

         

        4. Sexismus macht nicht an den Geschlechtergrenzen halt.

         

        Das ganze kann nur deshalb von Rassisten und Neonazis für ihre Zwecke missbraucht werden weil solche Dinge bisher nicht offen und sachlich thematisiert worden sind. Wenn alle Probleme die Migration so mit sich bringt und bringen kann in der Öffentlichkeit tabuisiert werden, dann ist das ein besserer Nährboden für das rechte Spektrum als z. B. die Taten selbst.

        • @0981 (Profil gelöscht):

          Das Ganze kann nur deshalb von Rassist_innen missbraucht werden, weil viele denken, Sexismus sei ein Problem der anderen Kulturen. Wer bitte hat in der Debatte um Brüderle argumentiert, sexuelle Belästigung sei v.a. ein rheinland-pfälzisches Problem? Wer hat daraufhin Südwestdeutsche auf offener Straße angegriffen? Oder abgeschoben?

          Vielleicht wird, wenn aktuell (von viel zu wenigen) Vorsicht vor Kulturalisierung angemaht wird, die extrem unterschiedliche Bedrohungssituation der Herkunftsgruppen (hier Rheinländer, da Migranten) berücksichtigt. Und da ist klar: Die Diskusssion um Sexismus gewinnt so richtig fahrt, wenn es die anderen sind.

          • @Spin:

            Das übernehme ich so, wenn ich mal wieder anschauliche Vergleiche brauche. Danke! :)

            Insofern findet hier eine ganz seltsame Heuchelei statt.

            Was ich mir wünsche, ist erst mal eine Beruhigung, und dann vier Debatten, nein, gesellschaftliche Gespräche: Wie gehen wir bildungs- und gesellschaftsmäßig mit Sexismus um?

            Wie gehen wir bildungs- und gesellschaftsmäßig mit Rassismus bzw. Fremdenfeindlichkeit um?

            Was tun wir gegen religiös begründete Unterdrückung bzw. Ausgrenzung bzw. Freiheitsbeschränkungen, die es in islamischen wie "christlichen" (z.B. Zeugen Jehovas) und anderen Glaubensgruppen gibt? (Was hat es also genau mit der Religionsfreiheit auf sich?)

            Was tun wir, um die größte Ursache für gesellschaftliche Probleme, das Wurzelproblem, zu lösen, nämlich die Ausgrenzung, Marginalisierung und Unterdrückung Armer und/oder Schwacher?

            Dabei - Zusatzwunsch - müssen alle drei Themen strikt getrennt bleiben. Wo sie sich überlappen, sofort stoppen und die Klaren im Geiste wieder ranlassen. Das wär was...

  • Es ist doch so: Was in Köln passiert ist, hat inhaltlich mit den aktuellen Forderungen der Feministen nur sehr begrenzt etwas zu tun. Sie fordern doch vor allem, die Grenzen zwischen legalen, consensualen sexuellen Kontakten und strafbaren Übergriffen schärfer zu ziehen. Zumindest ist das der - für mich ersichtliche - Schwerpunkt der aktuellen feministischen Bemühungen auf dem Gebiet der sexualisierten Gewalt.

     

    Das mag ein löbliches Anliegen sein, aber es hilft überhaupt nichts, ein superdurchgriffiges Strafrecht haben, wenn es in einem Szenario wie an Silvester schlicht ignoriert wird udn undurchsetzbar bleibt. Unbestreitbar sind auch dort bei den Grapschereien ein paar Lücken zutage getreten, die unser Strafrecht aufweist, aber das war nicht das wahre Problem. Das Problem war, dass in großer Zahl systematisch, hemmungslos und unter höhnischer Verhinderung der Eingriffsversuche von Ordnunghütern gegen die in unserer Rechtsordnung völlig unstreitig enthaltenen Verbote verstoßen wurde:

     

    Niemand würde unterstellen, dass die betroffenen Frauen ihren Widerwillen vielleicht nicht merklich genug geäußert hätten. Niemand würde behaupten, sie hätten sich ihre Position der Schwäche nur eingebildet. Das war nackte Gewalt, der Schutznormen vollkommen egal waren.

     

    Von daher müssen sich die nun aufbegehrenden Feministen fragen lassen, ob nicht SIE die Trittbrettfahtrer sind bzw. nur angestammtes Territorium als Vorkämpfer und Deutungshoheitsträger in Sachen sexualisierte Gewalt verteidigen. Gegen letzteres wäre nicht einmal etwas einzuwenden, WENN sie auch bereit wären, mal ein paar (gänzlich unfeministische) linke Scheuklappen abzuwerfen und sich darum zu kümmern, WARUM so ein Zusammenbruch der bestehenden rechtlichen Schutzsysteme stattgefunden hat, und WIE er sich nächstes Mal verhindern lässt. Und damit meine ich nicht "Mehr Polizeischutz". Der hat immer irgendwelche Lücken und kann daher aus feministischer Sicht nicht die Lösung sein.

    • @Normalo:

      An dieser Stelle würde mich interessieren, was dein/ Ihr Vorschlag bzgl des "Wie" wäre (damit sich für mich etwas deutlicher heraus stellt, in welche Richtung sich der Kommentar bewegt)

       

      Danke!

      • @Doktor Mihi:

        Der Kommentar steht für sich. Bitte beurteilen Sie ihn nach seinem Inhalt, nicht nach etwaigen Vermutungen über die Person und Grundeinstellung der Schreibers.

         

        Da Sie aber fragen:

        Beim "Wie" bin ich - von den geäußerten Zweifeln am Konzept der Gegengewalt abgesehen - noch lange nicht. Dazu weiß ich viel zu wenig. Mir geht es erst einmal darum, dass ohne Scheuklappen und ideologische Vereinnahmung die Tatsachen und - wenn möglich - Hintergründe geklärt werden. Sprich: Ich würde die Leute, die jetzt schon die Frage nach dem "Warum" und dem"Wie" eindeutig beantworten können, gerne so weit wie möglich von der politischen Bühne entfernt sehen - wenn sie sich nicht absolute Genies oder objektive Insider herausstellen.

        • @Normalo:

          Es ging mir bei meiner Frage nicht darum, Informationen bzgl. deiner/Ihrer Person und/oder Grundeinstellung einzuholen.

           

          Deine/Ihre Kritik an den feministischen Bemühungen der Gegenwart war so deutlich geäußert, dass ich annahm, du/Sie hätten eine konkrete Alternative im Hinterkopf. Dass dem nicht so ist, wurde nun durch den letzten Kommentar klar.

           

          Nichtsdestotrotz scheint mir das "Warum" doch keine Frage für Genies zu sein. Der Nährboden wurde schon vor 10.000 Jahren mit der Entstehung des Privateigentums gelegt und seitdem in jeder Sekunde, an jedem Ort der Welt durch patriarchale Unterdrückung gegossen und gedüngt.

          http://maedchenmannschaft.net/zu-gewalt-legitimierender-gewalt/

          http://www.doktorpeng.de/such-a-bitch/

          http://www.doktorpeng.de/selber-schuld/