Feminismus in der Familie: War nicht alles gut, so wie es war?
Für unsere Autorin war Papa immer der Gute, Mama die Strenge – bis sie Feministin wurde und sich der Blick auf die Rollen in ihrer Familie änderte.
I ch liebe meine Spülmaschine. Jedes Mal, wenn ich ihren Startknopf drücke, bin ich ihr dankbar, dass sie meine Teller und Tassen wäscht und mich damit von wenigstens einer Alltagslast befreit. Umso näher war ich dem Nervenzusammenbruch, als meine Bauknecht vor wenigen Wochen laut zu piepen begann. Fehlermeldung, Neustart erfolglos. Allein die Vorstellung, bis zur Reparatur mein Geschirr selbst waschen zu müssen, versetzte mich in Panik.
Dann dachte ich an meine Mutter. Als ich klein war, spülte sie nicht nur ihr Geschirr mit der Hand, sondern auch das von mir, meinem Vater und meinem Bruder. Jeden Tag, Jahr für Jahr. Bis sie irgendwann mit einer Schiene am Handgelenk nach Hause kam. Sehnenscheidenentzündung, hieß es, wegen Überlastung. Also mussten wir abwaschen, jeden Tag ein anderer. Theoretisch. Als mein Vater einmal dran war, schlug er mir einen Deal vor: zehn Euro, wenn ich seinen Spüldienst übernehme. „Ich habe keinen Bock“, sagte er zu seiner damals vielleicht zehn Jahre alten Tochter.
Vor einer Weile hätte ich diese Anekdote noch als Beweis für den Witz und die Schlitzohrigkeit meines Vaters verstanden. Heute hinterlässt sie ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend – und eine vorsichtige Wut. War Papa ein Macho, Mama chronisch überlastet, meine Familie ein Fallbeispiel patriarchaler Rollenverteilung? Solche Fragen gehen mir immer wieder durch den Kopf, seit ich vor ein paar Jahren angefangen habe, mich mit Feminismus zu beschäftigen.
Den Anstoß dazu hatte eine toxische Beziehung gegeben, an deren Ende ich ahnte: Dass ich unter diesem Mann so leide, liegt nicht daran, dass wir verschiedene Vorstellungen von Beziehung haben, sondern vor allem daran, dass er mich abwertete, weil ich eine Frau bin. Seitdem bin ich überzeugt: Gleichberechtigung erreichen Frauen nicht, indem sie sich behaupten, selbstbewusster werden oder fleißiger. Sondern indem die Gesellschaft als Ganzes die strukturellen Ursachen der Benachteiligung erkennt und aufbricht.
Sprung in die Vergangenheit
Die Fragen, die sich mir infolgedessen auch zu meinen Eltern und deren Partnerschaft stellten, schob ich immer wieder beiseite. Zu groß war die Angst vor den Antworten, die ich finden würde, wenn ich mit meiner feministischen Brille von heute auf die damalige Zeit schaute. Erst als ich vor meiner streikenden Spülmaschine stand, gewann die Neugier.
Ich bin heute 30, meine Kindheit lag zwischen den 90er und 00er Jahren, zwischen Wiedervereinigung und Griechenland-Rettung, Ära Kohl und Ära Merkel. Es ist die Zeit, in der das zweite Gleichberechtigungsgesetz in Kraft tritt, das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf befördern soll, 1997 wird die Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Gleichzeitig werden weibliche Celebrities wie Britney Spears von der Öffentlichkeit fertiggemacht, Frauenzeitschriften erklären ihren Leserinnen, warum Männer zum Fremdgehen neigen, und die Filmreihe „American Pie“ vermittelt einer ganzen Teenagergeneration, was eine Milf ist. Das Akronym meint eine Mutter, mit der man Sex haben würde – so als würden sich Muttersein und Attraktivität erst einmal ausschließen.
Was würde passieren, wenn ich den Sprung zurück in diese Zeit nicht allein unternehme, sondern gemeinsam mit meiner Mutter? Welchen Einfluss hätte das auf mein Bild von ihr und auf unsere Beziehung?
Schauplatz meiner Kindheit ist ein 800-Seelen-Ort in Franken. Ein altes Fachwerkhaus, ein großer Garten mit Apfelbäumen und Johannisbeersträuchern, Seerosenteich, Terrasse, Scheune: Hier lebe ich ab 1993 mit meinem drei Jahre älteren Bruder und meinen Eltern. Im Sommer steht unsere Haustür den halben Tag lang offen, es riecht nach frisch gemähtem Gras oder Gülle. Der Soundtrack: ein Mix aus Vogelgezwitscher, Mähdrescher und ortseigener Blaskapelle.
Julian, Bruder der Autorin
Wer hier lebt, ist in der Regel einheimisch, katholisch, konservativ. Meine Eltern sind nichts davon. Mein Vater kommt zwar aus Rom, kann mit dem Vatikan aber nichts anfangen. Meine Mutter stammt aus einer Kleinstadt bei Hannover und ist Protestantin. Er, Jahrgang 1954, bestreitet unseren Lebensunterhalt mit Antiquitätenhandel, ist leidenschaftlicher Musiker und heißt das Kiffen gut. Sie, Jahrgang 1960, arbeitet als Teilzeitkraft in einem Hotelschwimmbad, steht auf Naturheilkunde und sonnt sich im Sommer oben ohne im Garten. Unsere Erziehung fällt recht liberal aus. Statt auf Druck und Bestrafung setzen unsere Eltern auf Gelassenheit und Liebe. Sie sind keine Hippies, aber haben auch nichts mit dem CSU-Mindset der Nachbarn zu tun.
„Im Vergleich zu anderen Eltern waren unsere schon progressiv“, sagt mein Bruder Julian, als ich mit ihm an einem verregneten Sonntag im März 2024 auf unsere Kindheitsjahre blicke. Er war sofort bereit zu dem Gespräch, wir haben uns in Dresden verabredet, wo ich lebe. Julian sagt von sich selbst, dass ihm Gleichberechtigung wichtig ist und er mit klassischen Rollenbildern nichts anfangen kann. Trotzdem bin ich nun nervös. Muss das sein? Unsere Kindheit in der Zeitung auseinandernehmen? War nicht alles gut, so wie es war? Das, bin ich mir sicher, denkt auch Julian, während ich ihn frage, wie er heute auf die Rollenverteilung unserer Eltern schaut. „Diese Frage habe ich mir nie so grundsätzlich gestellt“, sagt er und überlegt ein paar Sekunden. „In bestimmten Dingen“, findet er, „war Papa halt ein klassischer Macho.“ Er habe nicht einmal gewusst, wie eine Waschmaschine funktioniert.
Mein Bruder kann in seiner Erinnerung genauso wenig wie ich einen Vater mit Putzlappen, Wäschekorb oder Staubsauger in der Hand ausfindig machen. Rückblickend meint er, unser Vater hätte mehr Care-Arbeit leisten müssen, ergänzt aber, unsere Mutter hätte ihm wenigstens nicht hinterherräumen müssen und unser Vater habe „widerspruchslos“ gekocht, wenn es sein musste. Während Julian diese Dinge positiv hervorhebt, denke ich: bare minimum! Zu Recht kritisieren Feministinnen, wenn Männer für Dinge gefeiert werden, die eben lediglich das Mindeste sind und bei Frauen für selbstverständlich genommen werden.
Sie schmiert Brote, sein Tag beginnt selten vor 10
Bei uns kümmert sich meine Mutter damals nicht nur wie selbstverständlich ums Kochen, die Wäsche und den Abwasch. Sondern auch darum, dass mein Bruder und ich regelmäßig zum Zahnarzt gehen, einen Schneeanzug fürs Skilager haben und ordentliche Schnellhefter fürs neue Schuljahr. Sie schmiert unsere Pausenbrote, achtet auf unsere Ernährung und überlegt mit uns gemeinsam, welche Fremdsprache wir im nächsten Schuljahr wählen sollten. Sie ist – das merke ich beim Schreiben dieser Zeilen – unsere Managerin.
Ein Job, der schon frühmorgens beginnt. Ob wir in der zweiten oder zehnten Klasse sind: Meine Mutter wartet auf uns um 6.15 Uhr am Küchentisch, hat Toast und Marmelade bereitgestellt und manchmal auch ein Glas selbst gepressten Orangensaft. Mein Vater liegt währenddessen im Bett. Sein Tag beginnt selten vor 10 Uhr. Das kann er sich erlauben, weil er selbstständig ist – und seine Frau die Care-Arbeit übernimmt. Muss er doch einmal einspringen, betrete ich nach dem Aufstehen immer mit dem gleichen Gedanken die Küche: Kriegt er das hin?
Was nicht heißt, dass er sich keine Mühe gibt. An einem Morgen zum Beispiel hat er mir eine Kiwi aufgeschnitten und gezuckert. „Warum der Zucker?“, frage ich überrascht, während im Wohnzimmer der Fernseher läuft und seine erste Zigarette im Aschenbecher qualmt. „Weil die doch sonst so sauer schmeckt“, sagt mein Vater. Wohingegen meine Mutter, wenn ich als Kind Lust auf was Süßes habe, Naturjoghurt mit Marmelade oder einen Apfel vorschlägt. Mein Vater ist in solchen Momenten der Großzügige, sie die Strenge.
Ähnlich sehen ihre Rollen aus, wenn es um unsere Haustiere geht. Als ich neun Jahre alt bin, ziehen zwei Kätzchen bei uns ein. Weil sie noch nicht geimpft sind, müssen sie die ersten Wochen im Haus bleiben. Stubenrein sind sie noch nicht. Und so beginnt der Tag meiner Mutter in dieser Zeit damit, dass sie noch vor dem Schmieren unserer Pausenbrote die Notdurft der Katzen sucht und aufwischt. Wie lästig das ist, kriegt mein Vater nicht mit. Der liegt ja noch im Bett. Auch wenn es in den Jahren danach darum geht, die Katzen am Abend in den Garten zu schicken, weil sie im Haus nachts Bambule machen, fühlt sich mein Vater nicht zuständig. „Die Katzen“, sagt er dann gern, „sind euer Bier.“
Franziska Schutzbach, Soziologin
Damals bin ich weder irritiert noch sauer auf meinen Vater. Wäre er heute noch am Leben, würde ich ihm Mackertum vorwerfen, ihn fragen, was das sollte. Ob es ihm auch so geht, frage ich meinen Bruder. „Ich denke, Papa war einfach ein bisschen faul“, sagt Julian, „und weniger sexistisch im Sinne, dass er dachte, das alles sei Frauenarbeit.“ Ich dagegen denke: Faulsein + die Frau machen lassen = sexistisch. Ob ihn das denn gar nicht wütend macht? „Na ja“, sagt Julian, „es wäre schon cool gewesen, wenn Papa gewusst hätte, wie die Waschmaschine funktioniert.“ Ein Satz, der so absurd klingt, dass wir beide laut lachen müssen.
Aber was war damals überhaupt Standard in Sachen Rollenverteilung? Die Soziologin Jutta Allmendinger kommt in ihrem Buch „Es geht nur gemeinsam! Wie wir endlich Geschlechtergerechtigkeit erreichen“ zu folgenden Zahlen: Während Frauen 1992 im Schnitt fast fünf Stunden am Tag mit Hausarbeit und rund zweieinhalb Stunden mit Kinderbetreuung beschäftigt waren, kamen die Männer auf etwa zweieinhalb Stunden im Haushalt und gute 45 Minuten mit den Kindern. Gleichzeitig lag die Erwerbstätigenquote Anfang der 90er unter den Frauen fast 20 Prozent niedriger als bei den Männern.
Dass diese Rollenverteilung ein Ergebnis partnerschaftlicher Verhandlungen war, scheint unwahrscheinlich, wenn man Emilia Roig fragt. „In den 90ern war es selbstverständlich, dass die Mütter sich vorrangig um die Kinder kümmern“, sagt die Politologin, die in ihrem neuen Buch „Das Ende der Ehe“ darlegt, wie das Patriarchat in heterosexuelle Partnerschaften hineinwirkt. Emilia Roig gehört wie ich zur Generation Y, die zwischen 1980 und 1995 geboren ist. Care-Arbeit und die Frage, wer diese leistet, seien in diesen Jahren kein Gegenstand von Debatten gewesen, ein „Non-Thema“, wie sie sagt.
Sorgearbeit ist auch emotionale Zuwendung
Care-Arbeit bedeutet nicht nur Putzen und Pausenbrote schmieren, sondern auch emotionale Zuwendung. Hier kann mein Vater in meiner Kindheit punkten. Während meine Freundinnen ihre Väter nur am Abend und an den Wochenenden sehen, habe ich immer Zugriff auf meinen, weil er seinen Antiquitätenhandel von zu Hause aus betreibt. Wenn mir langweilig ist, gehe ich in sein Arbeitszimmer und er zeichnet ein Eichhörnchen auf einem Motorrad oder anderen Quatsch vor, den ich danach ausmalen kann. Wenn ich heule, weil ich Streit mit einer Freundin habe, nimmt er mich in den Arm.
Und als ich noch zu jung bin, um die ersten Folgen „Germany’s Next Topmodel“ am Abend zu Ende zu schauen, erträgt mein Vater die Sendung bis zum Schluss und schreibt die Kandidatinnen, die kein Foto bekommen haben, auf einen Zettel, der am nächsten Morgen auf dem Küchentisch liegt. Mein Vater spielt den Clown an meinem Geburtstag und bringt mich einmal so sehr zum Lachen, dass ich auf unseren Flurteppich pinkele. Er geht mit mir Eis essen und auf den Flohmarkt und holt mich mit dem Auto nach der Schule von der Bushaltestelle ab, die keine fünf Minuten von uns entfernt liegt. Er fährt nicht nur mich nach Hause, sondern auch alle meine Freunde.
Auch mein Bruder hat solche Erinnerungen. „Das war bei vielen meiner Freunde damals nicht so“, sagt er. Und trotzdem: Wo war unser Vater, als es um den Haushalt ging, unsere Schulangelegenheiten? „Ich glaube, Papa wusste, was er gut konnte“, sagt Julian. „Und was er nicht so gut konnte, hat er gern abgegeben.“ Was er demnach auch gut konnte: Versicherungen abschließen, grillen, Holz hacken, Regale bauen und unsere Faschingskostüme designen.
Die Aufgabenverteilung meiner Eltern entspricht damals dem Skript vieler Familien, in denen laut Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach die Väter „mit Tätigkeiten zur Familienarbeit beitragen, die nicht unmittelbar dringend sind“, während die Mütter in den Aufgaben festhingen, die „ein hohes Maß an Dringlichkeit aufweisen“ – wie eben das Schmieren von Pausenbroten oder Wegwischen von Katzenkot. Dass Schutzbach sich in ihrem Buch „Die Erschöpfung der Frauen“ auf heutige Paare bezieht, zeigt, wie schwer es ist, mit diesen Rollen zu brechen.
Peter, Freund von Lisa
Schwer, aber nicht unmöglich. Was, wenn sich Eltern eine gleichberechtigte Rollenverteilung fest vornehmen? Besuch bei meinen Bekannten Lisa und Peter. Er arbeitet 35 Stunden die Woche als Informatiker, sie macht aktuell ihr Lehramtsreferendariat. Sie sind Mitte 30 und haben einen einjährigen Sohn und eine sechsjährige Tochter.
Darauf, „alte Geschlechterrollen zu reproduzieren“, haben sie keine Lust, sagt Lisa gleich zu Beginn unseres Gesprächs am Wohnzimmertisch, während der Nachwuchs schon im Bett liegt. Haushalt und Kinderbetreuung seien bei ihnen „relativ 50/50“ verteilt, Absprachen darüber, wer was übernimmt, nicht mehr nötig. „Wer morgens den Kleinen fertig macht und in die Krippe bringt“, sagt Lisa, „muss sich abends nicht noch das schreiende Bündel auf dem Wickeltisch antun.“
Also alles ausgeglichen? „Lisa macht alles das deutlich mehr, was man heute unter mental load versteht“, antwortet Peter. „Welches Kind braucht Klamotten in welcher Größe? Wann steht die nächste Vorsorgeuntersuchung an? Solche Sachen.“ Er kaufe dann zwar die Klamotten und bringe das Kind zum Arzt, sagt Peter, aber bis zu diesem Punkt liege die Organisation zu 90 Prozent bei Lisa. Die Ursache dafür vermutet er in der Elternzeit, die in beiden Fällen größtenteils seine Partnerin übernommen hat. Dadurch sei sie mehr oder weniger in die Rolle der Organisatorin gerutscht, und der mental load habe sich auf ihrer Seite „eingeschlichen“.
Mein Blick wandert zu Lisa. „Es nervt schon“, gibt sie zu. „Aber oft habe ich auch keine Lust, zu sagen, was zu tun ist.“ Also tut sie es eben selbst. Ein Zustand, mit dem beide unzufrieden sind. Rückblickend, erzählt Peter, hätte er gern mehr Elternzeit genommen. Während der vier Monate mit seiner Tochter zu Hause habe er nicht nur genossen, Zeit mit ihr allein zu verbringen, sondern auch „Respekt vor Care-Arbeit“ bekommen.
Tillman Prüfer, Journalist
Wie kann es sein, dass selbst solche Eltern nicht vor dem Rückfall in alte Rollenbilder gefeit sind, die diesen unbedingt vermeiden wollen? Anruf beim Journalisten Tillmann Prüfer, der in seinem Buch „Vatersein. Warum wir mehr denn je neue Väter brauchen“ dafür plädiert, den neuen Feminismus als Chance wahrzunehmen, um die männliche Rolle in der Familie neu zu erfinden. „Paare sind von einer Gesellschaft umgeben, die sie in bestimmte Muster hineindrängt“, sagt Prüfer. Deshalb reicht es seiner Meinung nach nicht, wenn Eltern heute für sich beschließen: Wir machen es anders! Vielmehr müsse sich der Rest der Gesellschaft mitbewegen. Passiert das nicht, „wird es die neuen Väter nur in bestimmten Milieus geben“, sagt Prüfer. „Das sind dann die, die im Prenzlauer Berg barfuß mit ihren Kindern auf dem Spielplatz sitzen und in Vätercafés gehen.“
Dass es vielleicht auch die Bilder in unseren Köpfen sind, die die neuen Väter verhindern, legt eine 2023 in der Zeitschrift „Sex Roles“ veröffentlichte Metaanalyse zum Thema mental load nahe. Als einen zentralen Faktor für die Ungleichverteilung von Care-Arbeit nennen die Autoren darin die Tatsache, dass diese Form von Arbeit nach wie vor als Frauenarbeit eingestuft wird – und zwar von Studienteilnehmern beider Geschlechter. Lastet der mental load dadurch dauerhaft auf den Schultern der Frauen, führt das bei diesen zu vermindertem Wohlbefinden, emotionalem Stress und Beziehungszufriedenheit, so die Forscher. Die Journalistin und Autorin Teresa Bücker geht in dem Sammelband „unlearn patriarchy“ noch weiter: Solange Care-Arbeit in Familien Sache der Mütter bleibt, verzichten diese nicht nur auf Sehnsüchte, sondern auch auf „existenzielle Ressourcen“ wie Zeit, berufliche Entwicklung, Geld.
Doch was, wenn meiner Mutter solche Dinge gar nicht wichtig waren? Sehe ich Probleme, wo gar keine sind? Ich setze mich in den Zug nach Franken. Als ich meiner Mutter vor zwei Monaten am Telefon von der Idee für diesen Artikel erzählt habe, schoss es direkt, wie eine Verteidigung, aus ihr heraus: „Aber ich habe es doch gern gemacht!“ Ähnlich klingt sie, als wir jetzt, im April 2024, zusammen in ihrer Küche sitzen. Ihre Haare sind ergraut, und ihr Gesicht hat zarte Falten bekommen.
„Ich war damals sehr zufrieden in meiner Rolle“, sagt sie gleich am Anfang unseres Gesprächs. „Aber man hat auch nichts gesagt, wenn man erschöpft war.“ Dabei hätte sie „schon mehr Entlastung gebraucht“.
Die erste große Erschöpfung, erinnert sich meine Mutter, spürt sie, als ich zwei Jahre alt bin. Die zweite, nachdem sie und mein Vater das Haus samt Grundstück gekauft haben, wo wir vorher zur Miete gewohnt hatten. Neben Haushalt, Kindern und Katzen muss sich meine Mutter jetzt auch um einen riesigen Garten kümmern. Und weil der Kredit für den Hauskauf abbezahlt werden will, muss sie mit ihren Stunden hochgehen. Eine Zeit lang arbeitet sie in zwei Hotels gleichzeitig.
Mutter der Autorin
Meine Mutter nimmt mich in unserem Gespräch mit in ihren damaligen Alltag: 6 Uhr aufstehen, Kinder für die Schule vorbereiten, Katzen versorgen, Haushalt machen, 12.30 Uhr in die Stadt fahren, Großeinkauf, 14 Uhr Schichtbeginn, 22.30 Uhr zurück nach Hause, bei Schnee im Winter die Zufahrt zum Haus freischaufeln, Einkauf wegräumen, Küche sauber machen, vielleicht auch noch das Katzenklo. „Bis ich im Bett war, war es manchmal 1 Uhr. Und dann konnte ich oft nicht einschlafen.“ Ob sie meinem Vater gesagt hat, wie gestresst sie war? „Ein Mal.“ Aber da sei sie nicht zu ihm durchgedrungen. „Mir hat auch die Stärke gefehlt, öfter Nein zu sagen.“
Während ich meiner Mutter zuhöre, bildet sich ein Kloß in meinem Hals. Tränen schießen mir in die Augen. Mein Puls rast. Nicht nur die Tatsache, dass sie zeitweise so überlastet war, bricht mir das Herz, sondern vor allem, dass es niemanden interessiert hat. „Es wurde damals nicht über solche Themen geredet“, betont meine Mutter. „Es war selbstverständlich: Die Frau macht dies, der Mann macht das.“
So habe sie es gelernt in einem Elternhaus, in dem die Mutter ihre vier Kinder mehr oder weniger allein großgezogen hat. Ob meine Mutter Wertschätzung für ihre Care-Arbeit erfahren hat – abgesehen vom Muttertag? „Nein“, sagt meine Mutter und schweigt für einen Moment. „Sie wurde ja gar nicht gesehen.“ Ein Satz, der mich fertig macht. Was ich höre, klingt für mich wie ein Skandal, eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.
Auch ich bin als Kind blind für die Care-Arbeit meiner Mutter. Was ich aber sehe, ist ihre Anspannung, die ich mir damals nicht erklären kann. Zum Beispiel als ich sie um einen Eintrag in mein Poesiealbum bitte. Mein Vater hat sich kurz davor in dem Album verewigt, zwei Seiten lang in Schönschrift mit Foto und Herzchenaufklebern. Dementsprechend gespannt bin ich auf den Eintrag meiner Mutter, die das Büchlein genervt entgegennimmt und mir nach fünf Minuten wieder in die Hand drückt. Das Ergebnis: Ein schlichtes „Hab dich lieb!“ Ich erinnere mich nicht mehr, wie alt ich damals bin – aber an meine Enttäuschung.
Heute sehe ich den Kontext. Als ich meiner Mutter das Poesiealbum gebe, kocht sie gerade. Generell ist sie eigentlich immer beschäftigt. Den Einkauf wegräumen, die Katzen füttern, den Küchentisch abwischen, das Brot aus dem Gefrierfach holen. Wenn ich heute an meine Mutter denke, sehe ich eine Frau, die immer in Bewegung ist, die, während sie die eine Aufgabe erledigt, in Gedanken schon bei der nächsten ist. Wenn ich an meinen Vater denke, ist das Bild still und er entspannt.
Die dritte große Erschöpfung – der Burn-out
Wenn das alles nicht nur Frage des Charakters ist, sondern der Prägung: Welches Bild würde ich heute abgeben, wenn ich Kinder hätte? „Ich bin auch mit dem Archetyp der tollen Mutter großgeworden, die sich aufopfert“, erzählt Autorin Emilia Roig während unseres Videogesprächs. „Heute denke ich, es wäre gut gewesen, wenn meine Mutter auf ihre eigenen Bedürfnisse besser geachtet und sie nicht als unterste Priorität behandelt hätte.“ Folgt man den Worten der Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach, würde das allerdings mit dem kollidieren, was der Großteil der Gesellschaft auch heute noch von Müttern erwartet: permanente Fürsorge und Verfügbarkeit.
Dass meine Mutter mir erstmals nicht zur Verfügung steht, merke ich kurz nach dem Tod meines Vaters. Ich bin damals 17 Jahre alt, und dieses Ereignis offenbart die Zerbrechlichkeit unserer Kernfamilie, die kaum Verwandte in der Nähe hat. Zwar schafft es meine Mutter – plötzlich Witwe und Alleinerziehende –, unseren Alltag ein paar Monate am Laufen zu halten. Doch dann setzt bei ihr die dritte große Erschöpfung ein – der Burn-out.
Konnte ich mich sonst immer zu 100 Prozent auf sie verlassen, geht es auf einmal um ihre Bedürfnisse. Am Abend zusammen einen Film schauen? Geht nicht, der Fernseher ist meiner Mutter zu laut. Am Wochenende einen Abstecher in die Pizzeria, in der wir früher immer zu viert waren? Geht nicht, meine Mutter will ihre Ruhe. Die Enttäuschung über Momente wie diese lässt in meiner Gefühlswelt keinen Platz für Verständnis und setzt einen großen Entfremdungsprozess in Gang. Fragt mich jemand fortan nach meinen Eltern, habe ich nur meinen Vater vor Augen, den ich schon in meiner Kindheit vergöttere – obwohl ich damals mehr Zeit mit meiner Mutter verbringe und mich ihr eher anvertraue.
Emilia Roig nickt hinter ihrem Laptop, während ich ihr das erzähle. Auch ihre Mutter habe in ihrer Zuneigung lange im Schatten ihres Vaters gestanden. Den Grund dafür sieht die Autorin in einer misogynen Gesellschaft, die Frauen herabsetze und Männer anhimmele: „Kinder verstehen diese Hierarchie schon sehr früh, und deshalb wirkt sie auch in unseren Beziehungen.“
Laut Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach gründet die Matrophobie, wie die Ablehnung der Mutter auch genannt wird, darin, dass entscheidende Bereiche der Gesellschaft wie Wirtschaft oder Politik männerdominiert sind und Frauen ab dem Zeitpunkt des Kinderkriegens im gesellschaftlich abgewerteten Bereich der Familie verortet werden. Das mache den Töchtern eine Identifikation mit ihren Müttern schwer.
Erst als ich in solche feministischen Theorien eintauche und erkenne, welche Ungerechtigkeiten das Patriarchat für Frauen mit sich bringt, bekommt meine Mutter den Platz in meinen Kindheitserinnerungen, den sie verdient. Erst als ich mich mit Themen wie Care-Arbeit und mental load beschäftige, erkenne ich, was sie – neben ihrer Erwerbsarbeit – alles für uns getan hat. Ich sehe die saubere Wäsche, die Kinderarztbesuche, die Elternsprechtage.
Je mehr Wertschätzung ich auf diesem Weg für meine Mutter spüre, desto öfter meldet sich die vorsichtige Wut auf meinen Vater und damit auch die Wut auf alle Väter, die – damals wie heute – ihren Teil der Care-Arbeit nicht übernehmen. Was fange ich damit an, will ich am Telefon vom Vaterexperten Tillmann Prüfer wissen. Eine konkrete Antwort hat er nicht. Stattdessen versucht er es mit einem Perspektivwechsel: Stecke ein Vater – anstatt in Haushalt und Kinderbetreuung – viel Zeit in seinen Job, dann sei das aus dessen Selbstverständnis heraus ebenfalls Care-Arbeit. Weil er denke: Ich schaffe eine Grundlage, investiere in unseren Lebensstandard. „Das verstehen die Väter gar nicht als Egoismus, sondern als etwas, was sie für ihre Familie tun“, betont der Autor.
Während des Gesprächs fällt mir dieser Perspektivwechsel schwer. Doch ein, zwei Stunden später erinnere ich mich an den sorgenvollen Blick meines Vaters, als unsere Waschmaschine kaputt ist und eine neue her muss, als die Bank ihm keinen Kredit gibt für das Auto, das wir brauchen. Ich erinnere mich, wie er sich in seinen letzten Jahren bis spätabends abmüht, seine Antiquitäten auf Ebay zu verkaufen, weil das Geschäft im Laden nicht mehr läuft. Wie er selbst dann noch den Tag durcharbeitet, als er bereits schwer krank ist. Obwohl es niemand ausspricht und meine Mutter auch Geld verdient, scheint damals klar: Unseren Lebensstandard halten muss mein Vater, und zwar allein. „Wenn wir jetzt also wütend sind auf unsere Väter“, sagt Tillmann Prüfer, „dann lohnt oft ein Blick auf das nie ausgesprochene Leid auf deren Seite.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Mehr als 20 Jahre sind seit meiner Kindheit im fränkischen Dorfidyll vergangen. Seitdem ist etwas in Gang gekommen, sind Diskussionen über Care-Arbeit und neue Väter entstanden. Mit Folgen? Laut Soziologin Jutta Allmendinger verbrachten Frauen 2016 im Vergleich zu 1992 am Tag zwar rund zwei Stunden weniger mit Haushalt und Kinderbetreuung. Allerdings nicht, weil die Männer plötzlich mehr machten, sondern weil die Frauen selbst mehr Erwerbsarbeit leisteten und damit weniger Zeit hatten für Care-Arbeit. „Von Veränderung keine Spur“, konstatiert Allmendinger ernüchtert. Und auch die Zahlen des letzten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung, wonach der Gender-Care-Gap 2022 immer noch bei 44,3 Prozent lag, zeigen: Der Weg bis zur gelebten Gleichberechtigung ist noch weit.
Und was können wir bis dahin tun? Zum Beispiel die Leistung der Mütter nachträglich anerkennen – als „Korrektiv“, wie Emilia Roig sagt. Denn es sei zwar normal gewesen, dass diese sich „stillschweigend erschöpft und aufgeopfert haben, aber nicht richtig“.
Doch wie sieht so eine nachträgliche Anerkennung aus? Vor dem Gespräch mit meiner Mutter habe ich lange überlegt. Ein Brief, ein Geschenk? Als wir uns am Küchentisch gegenübersitzen, bin ich mir auf einmal sicher. Ich will Danke sagen, und zwar ein einfaches, aufrichtiges Danke. Kein Muttertags-Danke, das ich früher auf Karten geschrieben oder bei Whatsapp getippt und am nächsten Tag wieder vergessen habe. Sondern eines, in dem die Trauer darüber steckt, dass die Leistung meiner und so vieler anderer Mütter viel zu lange nicht gesehen wurde.
„Danke“, sage ich also zu ihr, während mir die Tränen übers Gesicht laufen. Und während auf ein Danke normalerweise ein Bitte folgt, erscheint das, was meine Mutter stattdessen antwortet, ganz logisch: „Danke.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?