Teresa Bücker über Arbeit und Freizeit: „Wir brauchen Zeitgerechtigkeit“

Zeit ist eine wichtige Dimension von Gerechtigkeit, sagt Teresa Bücker. Ein Gespräch übers Putzenlassen und die Nachfolge von Alice Schwarzer.

Ein Porträt von Teresa Bücker, sie schaut an der Kamera vorbei

Immer mehr Männer wollen sich in Familie und Pflege einbringen, sagt Autorin Teresa Bücker Foto: Julia Baier

Die meisten kennen Teresa Bücker vermutlich von Twitter. Seit Jahren ist sie auf der Plattform aktiv, kommentiert das politische Tagesgeschäft und formuliert feministische Kritik. Privates gibt sie nur selten preis, deswegen überrascht es mich, dass das Interview bei ihr zu Hause stattfinden soll. Eine Ausnahme, schreibt sie mir, denn ihr Kind habe Ferien und ihr Partner müsse ins Büro. Bevor unser Gespräch in ihrer Altbauwohnung in Berlin-Steglitz beginnt, schmiert sie ihrem Kind noch schnell eine Scheibe Brot. Im Wohnzimmer setzen wir uns an den großen Esstisch, die farbenfrohen Überreste eines Kindergeburtstags drum herum sind noch gut zu erkennen.

wochentaz: Frau Bücker, wie viele Stunden pro Tag verbringen Sie mit Lohn- und Care-Arbeit, wie viele mit Freizeit und Schlafen?

Teresa Bücker: Ich rechne das nicht konkret aus, aber ich erlebe meinen Alltag als deutlich entspannter, seit ich selbstständig bin, weil ich meine Zeit selbstbestimmter einteilen kann. Doch natürlich bleibt das Grundgefühl, dass für keinen der Bereiche genug Zeit da ist. Dadurch, dass ich auch viel am Abend arbeite, verwässert die Trennung bei mir auch ein bisschen. Das Einzige, was ich mit Gewissheit sagen kann, ist, dass ich definitiv zu wenig schlafe, aber das liegt an meinem jüngsten Kind.

Diese Verwässerung, was Arbeit und was Freizeit ist, spüren mehr Menschen als früher. Arbeiten wir zu gerne?

Es ist eine der großen Lügen des Kapitalismus, zu sagen, dass Arbeit keine Arbeit sei, wenn man sie liebt. Dieses neoliberale Narrativ soll dir vermitteln, dass es egal ist, wie lange du arbeitest, wenn dein Beruf sich mit deiner Leidenschaft deckt. Das stimmt nicht, deswegen ist es wichtig, sich immer bewusst zu machen, wann etwas Arbeit ist.

Sie sind eine der bekanntesten deutschen Fe­mi­nis­t*in­nen. In Ihrem neuesten Buch beschäftigen Sie sich mit der gerechten Verteilung von Zeit. Das ist nicht unbedingt das Erste, was einem zum Thema Feminismus einfällt. Wieso haben Sie genau darüber geschrieben?

Ich bin in den letzten Jahren immer wieder von Verlagen angesprochen worden, ob ich nicht eine feministische Bestandsaufnahme oder einen Karriereratgeber schreiben möchte. Doch ich schreibe nur dann ein Buch, wenn ich in einem Thema etwas Neues sehe. Bei meiner feministischen Arbeit habe ich mich immer wieder gefragt, wieso Gleichberechtigung sich so schleppend realisiert. Und dabei ist mir aufgefallen, dass der Aspekt Zeit in der Debatte zu kurz kommt.

Weshalb ist Zeit so wichtig im Feminismus?

Zeit ist neben Geld und Repräsentation eine wichtige Dimension von Gerechtigkeit. Denn wer hat neben der Pflege von Angehörigen und Betreuung von Kindern überhaupt Zeit lohnzuarbeiten? Wer hat Zeit, für seine Interessen politisch einzutreten? Wer hat Zeit, um in seiner Freizeit kulturelles Kapital aufzubauen? Es gibt keine einfache gemeinsame Antwort auf all diese Fragen. Geschlecht, Herkunft und Einkommen spielen dabei eine Rolle. Doch der Spruch „Zeit ist Geld“ allein stimmt so nicht.

Wieso nicht? Wenn eine reiche Person eine Putzkraft oder einen Babysitter beschäftigt, hat der Spruch schon einen wahren Kern.

Auf den ersten Blick sieht das so aus, aber ich kaufe mir ja keine Zeit, sondern nehme die Zeit von anderen in Form von Dienstleistungen in Anspruch. Das lohnt sich im Regelfall nur dann, wenn der Stundenlohn meiner Putzkraft oder Babysitterin deutlich unter meinem liegt. Es funktioniert also nur innerhalb sozialer Ungerechtigkeit. Dabei will ich nicht die Idee stärken, man könne alles alleine hinbekommen. Doch wir sollten fragen, wie wir Zeitgerechtigkeit für alle Menschen herstellen können und nicht nur für die, die es sich leisten können, Arbeit auszulagern. Denn wer putzt die Wohnung meiner Putzkraft? Oder wer pflegt die Familienangehörigen der polnischen Pflegekraft, die gerade in Deutschland arbeitet?

Mit besserer Bezahlung ist es also nicht getan?

Faire Bezahlung und eine Sozialversicherung sind essenziell. Doch der Anspruch auf eine private Putzkraft entsteht aus einem Klassendenken heraus: Ich bin zu gut zum Putzen, das liegt unterhalb meiner Kompetenzen. Aber daneben spielt auch Zeitarmut eine Rolle: Vollzeitarbeit lässt wenig Zeit für anderes. Und daran muss sich etwas ändern, deswegen brauchen wir Zeitgerechtigkeit.

Jüngere Menschen wollen immer seltener in Vollzeit arbeiten. Dafür werden sie oft als faul bezeichnet. Stimmt das, oder ist ihr Vorgehen ein Schritt in Richtung Zeitgerechtigkeit?

Die jüngere Generation hat einen anderen Blick auf ihre Lebenszeit. Sie wollen nicht so leben wie ihre Elterngeneration, und das führt bei den Älteren zu einer starken Abwehrreaktion. Dabei sind die Generationen in dem Wunsch nach weniger Lohnarbeit gar nicht so weit von einander entfernt. Laut Studien möchten viele, die jetzt 50 oder 60 Jahre alt sind, früher als mit 67 in Rente gehen. Einige gehen in Altersteilzeit. Sie nehmen also finanzielle Verluste in Kauf, um die Freizeit nicht auf ihre Rente zu verschieben. Der Wunsch, mehr Zeit für andere Dinge zu haben, eint die Generationen also.

Die Frau

Teresa Bücker, 39, arbeitet als selbstständige Journalistin und Moderatorin zu den Themen Feminismus, Arbeit und Gesellschaft. Seit 2019 schreibt sie für das SZ Magazin die Kolumne „Freie Radikale“. Bei Twitter folgen ihr über 100.000 Accounts. Bücker ist Mutter von zwei Kindern und lebt in Berlin.

Das Buch

2022 ist Bückers erstes Sachbuch „Alle_Zeit – Eine Frage von Macht und Freiheit“ im Ullstein Verlag erschienen. Darin fordert sie eine radikal neue, sozial gerechtere Zeitkultur.

Viele Menschen arbeiten aber über das Rentenalter hinaus. Einige aus finanziellen Nöten. Andere, weil sie nicht aufhören wollen.

Dieses Phänomen trifft Männer stärker als Frauen. Der Renteneintritt führt bei ihnen häufiger zu Identitätskrisen und depressiven Verstimmungen, weil sie ihr Selbstwertgefühl stärker an Erwerbsarbeit knüpfen. Das würde ich aber nicht als individuelle Fehler betrachten, sondern als etwas, das unsere Gesellschaftsorganisation und Geschlechterrollen hervorbringen. Frauen ziehen ihren Sinn häufig aus verschiedenen Bereichen. Das ist für den Selbstwert besser, weil immer etwas wegbrechen kann: Rente, Jobverlust, Kinder, die ausziehen, oder Freund*innen, die man verliert.

Bei vielen ist das Selbstwertgefühl stark mit Lohnarbeit verknüpft. Haben wir Freizeit verlernt?

So würde ich das nicht sagen. Das Problem ist, dass wir Erwerbsarbeit mit Sinnstiftung und Freizeit mit Erholung verbinden. Pausen sind zwar elementar, aber auch in der Freizeit kann Sinnvolles entstehen. Es heißt immer, ein Job tut uns gut wegen der sozialen Kontakte, der Wertschätzung, der Möglichkeit, Sinnstiftendes zu schaffen. Dabei gilt das alles auch bei ehrenamtlichem oder politischem Engagement und bei Hobbys.

SPD-Chefin Saskia Esken hat kürzlich die Debatte um eine Vier-Tage-­Woche wieder in Gang gebracht, in der ­Bevölkerung gibt es laut Umfragen große Zustimmung dazu. Kann das eine allgemeine Lösung für alle sein?

„Es ist eine der großen Lügen des Kapitalismus, zu sagen, Arbeit sei keine Arbeit, wenn man sie liebt, dass es egal ist, wie lange du arbeitest, wenn dein Beruf sich mit deiner Leidenschaft deckt“

Die hohen Zustimmungswerte zu einer Vier-Tage-Woche bei Lohnausgleich unter den Ar­beit­neh­me­r*in­nen sind ein Signal an Politik und Wirtschaft: Viele Menschen wollen ihre Zeit grundlegend anders auf die Lebensbereiche verteilen, weil sie Schieflagen wahrnehmen. Das ist keine Luxusdebatte, sondern verweist auf Probleme, die gelöst werden müssen, wie Überlastung im Beruf, die krank machen kann oder soziale Beziehungen schwächt. Gesundheit, Familie und Freundschaft lassen sich materiell nicht aufwiegen, und ich halte es für klug, wenn auch Po­li­ti­ke­r*in­nen das zu ihrer Haltung machen, sonst entfremden sie sich von gesellschaftlichen Werten, die breit geteilt werden.

Weniger Arbeit und mehr Freizeit klingt für viele verlockend. Aber ist diese Forderung in Zeiten von Inflation und Fachkräftemangel realistisch?

In der Politik wird von vielen das Bild aufrechterhalten, dass eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung zum Zusammenbruch der Wirtschaft führt. Und das stimmt nicht. Ich habe mir das Arbeitsvolumen angeguckt: Wie viele Stunden werden insgesamt gearbeitet und wie sähe es aus, wenn man diese gleichmäßig auf alle Menschen, die arbeiten können und wollen, verteilen würde? Das Ergebnis: Alle würden knapp unter 30 Stunden pro Woche arbeiten. Die Rechnung ist theoretisch, man müsste sich das im Detail angucken, aber es ist in jedem Fall vereinfacht zu sagen: Wenn weniger Menschen in Vollzeit arbeiten, bricht alles zusammen. Und was definitiv nicht realistisch ist, ist die Forderung, alle Frauen sollten in Vollzeit arbeiten, um die Renten zu sichern und den Fachkräftemangel zu beenden.

Wieso nicht?

Es herrscht noch immer das Bild vor, dass viele Frauen den ganzen Tag mit Freundinnen Kaffee trinken. In Realität hängen viele von ihnen in prekären Beschäftigungsformen wie Mini­jobs oder Hilfsarbeit fest, die nachweislich keine Brücke in den regulären Arbeitsmarkt sind. Wir haben zudem schon jetzt einen eklatanten Betreuungsmangel, und der wird sich noch verschärfen. Die Lösung, mehr Er­zie­he­r*in­nen auszubilden, wird nicht schnell genug greifen. Ähnlich sieht es bei der Pflege von Angehörigen aus, auch hier leisten vor allem Frauen die unbezahlte Arbeit, und durch den demografischen Wandel steigt der Bedarf. Wenn es keine politischen Lösungen gibt, werden also vor allem Frauen betreuen und pflegen und beruflich Abstriche machen. Politisch muss deshalb im Vordergrund stehen, wie wir Sorgearbeit fairer verteilen und finanziell ausgleichen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Auch in feministischen Bewegungen ist „Raus aus der Teilzeit“ eine häufige Forderung.

Wer sagt: Frauen sollen in Vollzeit arbeiten, um Altersarmut zu vermeiden, macht ein strukturelles Problem zu einem individuellen. Das findet in feministischen Debatten tatsächlich so statt, der sogenannte Choice-Feminismus, der sagt, alles sei eine freiwillige Entscheidung. Und dieses Narrativ wird von Journalismus und Politik verstärkt. Viele haben vermutlich keine Ahnung, dass es in vielen ländlichen Regionen nur Kinderbetreuung bis mittags gibt und Vollzeitarbeit für Eltern also gar nicht möglich ist. Es ist wichtig, dass Problem aus der Privatsphäre zu holen und endlich auch mal Männer an ihre gesellschaftliche Verantwortung zu erinnern, das Gleichberechtigung auch ihnen etwas abfordert. Die Bundesregierung traut sich das nicht einmal rhetorisch. Man sieht daran stark, wie wirksam patriarchale Strukturen auch in vermeintlich modernen Bundesregierungen sind.

Viele Männer sagen zum Vorwurf, sie würden Frauen in der Care-Arbeit alleinlassen, dass sie sich ja gerne mehr kümmern würden, es ihnen an Zeit fehle, sie lohnarbeiten müssen oder Frauen ein Großteil der Elternzeit in Anspruch nehmen wollen.

Die Anzahl der Männer, die sich stärker in Familie und Pflege einbringen wollen, wächst. Auch sie merken die Überforderung, die aus gleichzeitiger Lohn- und Care-Arbeit entsteht, doch es gelingt ihnen nicht, daraus Forderungen für strukturelle Veränderungen abzuleiten. Im Gegensatz zur feminis­tischen Bewegung haben Männer nicht gelernt, sich für neue Lebensentwürfe untereinander zu solidarisieren und für politische Veränderungen einzutreten.

Unter Männern fehlt häufig Solidarität, die Politik tut nichts, Fe­mi­nis­t*in­nen werden immer heftiger angegriffen: Sind Sie noch optimistisch, dass wir Geschlechtergerechtigkeit erreichen, oder entwickeln wir uns eher zurück?

Das Risiko gibt es auf jeden Fall. Gleichberechtigung steht im Grundgesetz, aber von der politischen Seite sehe ich da bislang wenig Einsatz. Die Ideen von Ak­ti­vis­t*in­nen oder Wis­sen­schaft­le­r*in­nen im politischen Diskurs werden momentan nicht aufgegriffen, sondern eher blockiert. Wir bräuchten wieder mehr Ehrgeiz in der Geschlechter- und Frauenpolitik.

War der denn mal ausgeprägter?

In der Bonner Republik waren die Politikerinnen noch richtig auf Krawall gebürstet, radikal und provokativ. Die heutige Frauenpolitik ist sehr verträglich geworden, sucht keinen Konflikt und stellt keine Machtfragen. Forderungen aus der Zivilgesellschaft werden viel zu wenig aufgenommen.

Die Abschaffung des Paragrafen 219 a, des Informationsverbots für Schwangerschaftsabbrüche, ist ein Beispiel, wo die Politik auf den Druck aus der feministischen Bewegung reagiert hat. Ein ähnliches Großthema, das alle vereint, fehlt. Stattdessen kämpfen gerade viele in der Bewegung für unterschiedliche Anliegen. Ein ­Fehler?

Für mich zeigt das eher, wie komplex es geworden ist, Gleichberechtigung zu erreichen. Unterdrückungsmechanismen sind viel subtiler geworden. Die ganz großen Fragen sind geklärt, jetzt muss in vielen verschiedenen Bereichen gekämpft werden. Dabei geht es vor allem auch um Mehrfachdiskriminierung: Migrantinnen und geflüchtete Frauen, behinderte Frauen und queere Menschen sind stärker von Ausbeutung, Armut und Gewalt betroffen und haben weniger diskursive Macht. Für sie ist ein selbstbestimmtes Leben noch weiter weg. Trotz der „Ehe für alle“ haben lesbische Mütter weiterhin nicht die gleichen Rechte wie Hetero-Paare. Daneben bin ich überzeugt, dass wir ohne ein Ende der 40-Stunden-Woche Gleichberechtigung für alle Frauen niemals erreichen.

Gleichzeitig droht die Gefahr, dass der Antifeminismus bisherige Erfolge zunichte macht. In den USA, ­Polen, Italien sieht man, wie Regierungen reproduktive Rechte einschränken. Reagiert man darauf, lässt man sich von Gender-Kritiker*innen und Transfein­d*in­nen treiben. Wie kommt man da raus?

Man muss sich entscheiden, ob man in erster Linie Angriffe abwehrt oder proaktiv Themen setzt. Häufig folgt das medialen Logiken. Die Co-Chefin des Spiegels, Melanie Amann, hat vor einiger Zeit einen Leitartikel geschrieben mit der berühmt-berüchtigten Frage: Wo ist die neue Alice Schwarzer? Dieser Wunsch nach einem Gesicht des Feminismus entspricht der medialen Logik, dass es eine Frau geben muss, die in die Talkshows eingeladen wird. Aber warum können da nicht auch zwei Feministinnen sitzen? Die Vorstellung, dass es eine Feministin gibt, die man zu allen Themen interviewen kann, ist absurd.

Ihr Name fällt in dem Leitartikel auch, als einer der wenigen klugen Köpfe in der feministischen Bewegung. Viele sehen Sie als eine Art Nachfolgerin von Alice Schwarzer.

Wie Alice Schwarzer sitze auch ich gerne in Talkshows, denn ich streite unheimlich gerne. Der Wunsch nach einem Gesicht des Feminismus ist ein Wunsch nach Vereinfachung. Ich bin froh, dass heute viele verstanden haben, dass feministische Arbeit auf unterschiedliche Schultern verteilt werden muss, um Schlagkraft zu entwickeln. Wer soll denn gleichzeitig für feministische Außenpolitik, reproduktive Gerechtigkeit, eine bessere Verteilung von Care-Arbeit und die Umstrukturierung der Arbeitswelt kämpfen?

Sie wurden schon in der Schule als Emanze beschimpft. Waren Sie damals schon Feministin?

Zu meiner Schulzeit gab es keine Auseinandersetzung mit dem Begriff, ich hatte kaum Wissen über die feministische Bewegung. Vielleicht ging es kurz einmal um die Einführung des Frauenwahlrechts, aber das war’s. Es ist schön zu sehen, dass das heute viel selbstverständlicher für junge Menschen ist, die Sichtbarkeit und Thematisierung von feministischen und queeren Themen ist viel zugänglicher geworden. Ich habe Benachteiligung von Frauen immer schon als ungerecht empfunden, aber die richtige Auseinandersetzung mit Feminismus begann erst im ­Studium.

Nach Ihrem Studium haben Sie erst beim Freitag, später bei der SPD gearbeitet. Ihre letzte ­Festanstellung war als Chefredakteurin beim ­Online-­Medium Edition F, das für ­einen ­Karrierefeminismus steht, ­gegen den Sie sich jetzt in Ihrem Buch aussprechen. Wie blicken Sie heute auf diese Zeit zurück?

Edition F war von den Gründerinnen als Wirtschaftsmedium für Frauen angelegt, ich hatte Lust, journalistisch zu arbeiten, und fand das spannend. Das daraus eine feministische Plattform wurde, war ursprünglich nicht so geplant, sondern lag vermutlich auch an mir. Es gab dann öfters Konflikte. Edition F war ein Unternehmen, das Geld verdienen musste mit Werbekunden, das vertrug sich aber nicht immer mit meinem feministischen Anspruch. Wie wir viele Themen angegangen sind, sehe ich kritisch, das war währenddessen oft ein Kompromiss.

Mittlerweile arbeiten Sie selbstständig als Autorin und Kolumnistin. Können Sie sich vorstellen, in die Politik zu gehen?

Aktuell nicht, weil ich meine Kinder mag und Zeit mit ihnen verbringen möchte. Um den feministischen Diskurs am Laufen zu halten, braucht es an ganz unterschiedlichen Stellen Menschen. Man kann nicht unbedingt in der Politik am meisten bewegen. Es braucht überall Menschen, die Lust haben, die Machtfrage zu stellen. Wahrscheinlich muss der Feminismus dafür wieder krawalliger werden – vielleicht doch ein bisschen mehr wie Schwarzer früher. Da sind wir wieder beim Thema Zeit: Viel feministischer Aktivismus wird als unbezahlte Arbeit neben der Lohnarbeit organisiert und kann dementsprechend wenig Schlagkraft entwickeln. Es fehlt an der Zeit.

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