Debatte um Muttertag: Nur symbolische Ehrung

Auf Bastelgeschenke für Mutti kann unsere Autorin verzichten. Viel lieber wäre ihr eine 32-Stunden-Arbeitswoche bei vollem Lohnausgleich.

Ein bunter Blumenstrauß

Unsere Autorin kann auf das von der Floristikbranche erfundene Ritual gern verzichten Foto: Shotshop/imago

Am Sonntag ist es wieder so weit: Wenn ich mich morgens in die Küche schleppe, wird an meinem Platz irgendeine gebastelte Kleinigkeit liegen, ein aus Papierstreifen geflochtenes Herz oder schlimmstenfalls eine stereotype, vom Kind ausgemalte Motiv-Vorlage mit Fließband-Spruch: Liebe Mama, schön, dass Du da bist. Na, alles Gute zum Muttertag aber auch! Ich persönlich kann auf dieses von der Floristikbranche erfundene und von den Nazis etablierte Ritual gern verzichten.

Aber in traditionsbewussten Haushalten „gehört es halt dazu“, dass man die Mutti wenigstens einmal im Jahr symbolisch ehrt und ihr ein Frühstück zaubert, das sie an einem von 365 Tagen dann nicht selber wegräumen muss. Wenn sie Glück hat. Wenn sie Pech hat, auch das – und die lieblos in der Schule gefertigte Bastelarbeit wird sie an der Küchenwand ein ganzes Jahr lang an den missglückten Wertschätzungsakt erinnern.

Zum Glück leben wir nicht mehr in den 1980ern und die Kinder werden nicht mehr dazu angehalten, für Mutti Aschenbecher zu töpfern (ich werde nie das Gesicht meiner Mutter vergessen!). Aber wenn jetzt eine Kita aus Diversitätsgründen ganz aufs 14.-Mai-Basteln verzichtet, wie in Fulda geschehen, dann ist das einigen viel zu fortschrittlich.

Dem CDU-Politiker Tilman Kuban beispielsweise, der als begabter Jungpopulist sogleich Genderterror-Verdacht und Traditionszerstörung ins Internet herauskrähte – inklusive Nennung der Adresse der Kita, die dann überraschenderweise von einer Hasswelle überrollt wurde. Kuban ist zwar erst 35, aber im Kopf bereits ganz Boomer.

Briten leben kürzer

Und die müssen jetzt ganz tapfer sein, denn viele liebgewordene Routinen aus Nachkriegswestdeutschland (mit Öl heizen, sich halb tot arbeiten und dann zur Erholung „in die Sonne“ fliegen) beginnen schneller zu bröckeln als ein Fimo-Herz in der Sonne. Jetzt wollen Sozis, Linke und Gewerkschafter sogar die gute alte Arbeitswoche auf vier Tage verkürzen!

Gut, so ganz ist noch nicht raus, ob es in Richtung 40 Stunden in vier Arbeitstage quetschen geht oder ob tatsächlich das 32-Stunden-Teilzeit-Paradies bei vollem Lohn anbricht wie von der IG Metall gefordert – was übrigens auch viele Mütter zurück in eine familienverträgliche Vollzeitstelle bringen könnte: Mutti könnte sich dann später, wenn die Kinder einmal aus dem Haus sind, von ihrer besseren Rente selbst jeden Sonntag einen Muttertag mit Milchkaffee bescheren.

Und auch Vati wäre dann, dank der gesundheitsschonenden Vier-Tage-Woche, noch länger am Start als jetzt: Laut einer aktuellen Umfrage belegen die Deutschen bei der Lebenserwartung im Vergleich von insgesamt 16 westeuropäischen Ländern den 14. Platz, deutsche Männer liegen sogar auf Platz 15, das heißt: Sie sterben deutlich früher als Spanier oder Italiener. Bei der Todesursache Herz-Kreislauf-Erkrankung liegen die Deutschen vorn – was deutlich dafür spräche, weniger zu arbeiten.

Wer will denn keine zwanzig Prozent mehr Freizeit?

In Großbritannien, Schlusslicht bei der Lebenserwartung, experimentieren Unternehmen bereits mit dem „100:80:100-Modell“- 100 Prozent des Lohns für 80 Prozent der Zeit, im Gegenzug für die Verpflichtung, mindestens 100 Prozent der Produktivität zu erreichen. Wenn das auch bei uns Schule macht, blieben unterm Strich 20 Prozent mehr Freizeit.

Für Traditionsmänner wie Tilman Kuban oder, sagen wir, Kai Diekmann, bieten sich da viele schöne Tätigkeiten an: Den Fußballverein TSV Kirchdorf nach vorne bringen, twittern, Bücher über die Familie Kohl schreiben, die einer Heerschar von Anwälten einige 50-Stunden-Wochen bescheren dürften …

Bei näherer Betrachtung ist es vielleicht doch keine gute Idee, die Deutschen weniger arbeiten zu lassen. Zumindest für die männlichen Angehörigen der berühmt-berüchtigten Babyboomer (oder wie in Kubans Fall Boomer im Geiste) dürfte gelten, was der englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes in seinem „Leviathan“ feststellte: „Wenn der Mensch Muße und Vermögen im Überfluss hat, ist er am unleidlichsten“.

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Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.

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