Feindesliste von Corona-Protestierenden: „So bisher nicht gekannt“
In einer Chatgruppe von Coronaverharmlosern taucht eine Feindesliste auf. Experten warnen vor dem Antisemitismus der Bewegung.
Auf der Liste stehen neben Mitgliedern der Bundesregierung auch PolitikerInnen von CDU, SPD, Linken und Grünen. Von der AfD ist nur Bundeschef Jörg Meuthen aufgeführt. Persönliche Daten der Betroffenen sind nicht vermerkt, auch wurde die Liste zunächst nur auf einem kleineren Kanal verbreitet.
Einige Betroffene wie die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau stellten nach eigener Auskunft Anzeige. Die auf der Liste ebenfalls aufgeführte Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, sprach von einer klaren Bedrohung. „Das hat was von Zielmarkierungen für Pöbeleien oder Schlimmeres.“
BKA kennt Liste seit Oktober
Das BKA teilte der taz mit, die Liste sei seit Ende Oktober bekannt. Die Länderpolizeien seien darüber informiert worden. Eine bloße Nennung auf solchen Listen bedeute noch nicht zwingend eine Gefahr für die Betroffenen. Kämen aber weiter Erkenntnisse hinzu, würden Maßnahmen ergriffen.
Kahane warnte am Dienstag auf einer Pressekonferenz mit SPD-Bundesvize Kevin Kühnert und dem Antisemitismusbeauftragten des Bundes Felix Klein auch vor dem grassierenden Antisemitismus in der Protestbewegung. Verschwörungsideologien mit antisemitischem Kern hätten dort „unglaubliche Konjunktur“, der Judenhass verdichte sich auf den Protesten. Ihre Stiftung sei seit gut 20 Jahren aktiv, aber: „Das haben wir so bisher noch nicht gekannt.“ Dass Demonstrierende mit einem „Judenstern“ auftreten oder sich mit der von NS-Schergen getöteten Widerstandskämpferin Sophie Scholl verglichen, sei „perfide“ und eine „zynische Verdrehung“, kritisierte Kahane.
Auch Klein, der ebenso auf der Feindesliste steht, benannte den Judenhass als verbindendes Element von bisher getrennten Milieus, von Esoterikbegeisterten, Friedensbewegten bis zu Rechtsextremen. „Die Verschwörungserzählungen von angeblich geheimen Mächten verbinden die gesellschaftliche Mitte mit radikalisierenden Rändern.“ Klein nannte dies eine Gefahr für die Grundlagen der Gesellschaft. Auch für Kühnert offenbarten die Proteste, wie weit der Antisemitismus verbreitet sei – eine Erkenntnis, die „für jüdische Menschen zum Tagesgeschäft gehört“.
Mehr Widerspruch, mehr Präventionsprogramme
Klein forderte mehr Widerspruch ein. „Wir, die demokratische Mehrheit, müssen lauter werden und Radikalisierung verhindern, wo immer wir sie wahrnehmen.“ Das antisemitische Attentat von Halle habe gezeigt, wie schnell aus Worten Taten werden könnten. Kahane forderte mehr Programme gegen Antisemitismus und Verschwörungsideologien sowie einen besseren Schutz jüdischer BürgerInnen. Kühnert plädierte, „massiv in Forschung und Prävention zu investieren“. Zentral sei dabei ein Demokratiefördergesetz, das zivilgesellschaftliche Projekte langfristig absichert. Die Union lehnt dieses bisher ab.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und andere hatten zuletzt auch gefordert, dass der Verfassungsschutz die Proteste genauer ins Visier nimmt. Der Thüringer Geheimdienstchef Stephan Kramer schloss sich dem an. Denkbar wäre, dass der Verfassungsschutz nicht einzelne Gruppen unter Beobachtung stellt, sondern das Spektrum an sich – so wie zuletzt die Reichsbürger.
Ein Sprecher von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) betonte zuletzt, dass inzwischen klar sei, dass bei den Protesten „auch Extremisten, Reichsbürger und Ähnliches in Erscheinung treten“. Insofern sei „eine Beobachtung auch dieser Bewegung naheliegend und sie findet auch statt“.
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