FDP blockiert schon wieder ein Gesetz: Alarm um den gelben Sack
Offenbar plant Finanzminister Lindner wieder, auf den letzten Metern ein EU-Gesetz zu verhindern. Diesmal geht es um neue Vorgaben für Verpackungen.
Die Verpackungsverordnung wird derzeit in einem Trilogverfahren zwischen Rat, Parlament und Kommission abschließend verhandelt. Sie macht unter anderem europaweite Vorgaben über die Recyclingfähigkeit von Verpackungen, schreibt Quoten für Mehrwegflaschen oder den Einsatz von Recyclingmaterial in Plastikverpackungen vor. Damit will die EU den wachsenden Berg von zuletzt fast 85 Millionen Tonnen Verpackungsmüll jährlich abtragen.
Auf europaweite Regeln dafür warten Unternehmen dringend. „Wer den europäischen Markt beliefert, braucht einheitliche Gesetze“, sagt Timothy Glaz. Er ist Leiter Corporate Affairs des Mainzer Mittelständlers Werner & Mertz, der für Marken wie Frosch und Erdal bekannt ist. „Kommt die Verpackungsverordnung nicht, müssen wir weiter mit viel Bürokratie und hohen Kosten arbeiten“, so Glaz. Um die Innovations- und Investitionsbereitschaft der Verpackungs- und Konsumgüterindustrie auf den europäischen Märkten zu erhalten, brauche es „schnell gesamteuropäische Regeln“. Gerade der Mittelstand brauche Planungssicherheit.
„Ein Scheitern dieser Verordnung wäre ein herber Rückschlag für eine innovative Branche, die aktuell mit einem wahren Flickenteppich an Vorgaben konfrontiert ist“, sagt auch Carl Dominik Klepper, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Verpackung und Umwelt (AGVU). In der AGVU vereinen sich große Unternehmen und Verbände der Lebensmittel- und Konsumgüter- und Recyclingbranche, etwa Aldi Süd, Coca Cola, Ferrero und der Grüne Punkt. Die Verpackungsverordnung dürfe keinesfalls zum Spielball politischer Interessen werden, so Klepper.
„Nicht im Interesse der Umwelt“
Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft BDE sieht die Branche in „Alarmstimmung“ und hat Lindner am Mittwoch einen offenen Brief geschickt. Demnach liege es „nicht im Interesse der Umwelt, des Europäischen Binnenmarktes, der europäischen Verbraucher und vor allem nicht im Interesse der deutschen Recyclingwirtschaft“, die Verpackungsverordnung zu blockieren.
Das sieht die italienische Regierung anders. In Rom stößt man sich vor allem daran, dass die Normen zur Wiedernutzung von Verpackungen deutlich verschärft und bestimmte Einmalverpackungen verboten werden sollen. In italienischen Supermärkten finden sich häufig in Plastik abgepackte, zum Konsum bereite Salatmischungen, die einfach in die Schüssel gegeben werden müssen, während die Verpackung im Müll landet. Statt auf „riuso“ – erneute Nutzung – setze man in Italien eben auf „riciclo“ – Recycling – heißt es. Mehrweglösungen sind beim Leergut kaum präsent, Mineralwasser wird in Plastiklaschen gekauft. Die Flasche kommt in den Abfall, genauso wie Getränkedosen. Pfandsysteme, ob bei Glas, Metall oder Plastik, gibt es nicht.
Dafür rühmt sich das Land seiner hohen Recyclingquoten. Pro Jahr entstehen 2,3 Millionen Tonnen Plastikmüll, davon werden 1,26 Millionen Tonnen per Mülltrennung erneuter Verwertung zugeführt. 11 Milliarden Euro habe Italien in den Jahren 2002 bis 2021 fürs Recycling investiert, beklagt die EP-Abgeordnete Silvlia Sardone von der rechtspopulistischen Lega, die in Rom die Regierung unter Giorgia Meloni mitträgt.
Mehr noch: Das Verbot von Einwegverpackungen berge Hygienerisiken. Und der Landwirtschaftsverband Coldiretti beschwert sich, es drohe ein die Volksgesundheit bedrohender Rückgang des Verbrauchs von Obst und Gemüse, wenn die Produkte nicht verzehrfertig in Plastik eingehüllt werden dürften. Aber es ist keineswegs nur Italiens Rechte, die sich gegen die EU-Verordnung stellt. Auch Achille Variati, EP-Abgeordneter der gemäßigt linken Partito Democratico, will vom Umswitchen weg von Einmal- hin zu Mehrwegpackungen nichts wissen.
Er behauptet, Mehrweg sei umweltschädlich, „wegen des hohen Wasserverbrauchs“. Auch künftig will das Land laut Umweltminister Gilberto Pichetto Fratin, der von einem „erfolgreichen italienischen Modell“ spricht, weiter auf Recycling setzen. Schließlich ist von einem Wirtschaftssektor die Rede, der 236.000 Menschen beschäftigt und eine Wertschöpfung von jährlich 10.5 Milliarden Euro aufweist.
Die nächste, vermutlich finale Verhandlungsrunde im Trilogverfahren ist auf den 4. März terminiert. Danach müssen dem Gesetzestext Rat und Parlament zustimmen. Inhaltlich zuständig in der Bundesregierung ist Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Zuletzt hatten FDP-geführte Ministerien aber immer wieder EU-Vorhaben auf den letzten Metern gestoppt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel