FDP beschließt Wahlprogramm: Ups, Drogen entkriminalisiert
Beim digitalen Parteitag inszeniert sich die FDP als freiheitliche Partei. Beim Thema liberaler Drogenpolitik kommt es aber zu einem Missverständnis.
Dort findet der digitale FDP-Parteitag von Freitag bis Sonntag statt. Genauer gesagt: Die Parteispitze ist vor Ort, die anderen Delegierten schalten sich virtuell zu, um das Parteiprogramm zu verabschieden und Präsidium und Bundesvorstand neu zu wählen.
Doch auch bei der selbsternannten Digitalpartei läuft auf einem Online-Parteitag nicht alles glatt. Für Verwirrung sorgte ein Beschluss zur Drogenpolitik am Samstagabend, die neuen technischen Herausforderungen trugen mit Sicherheit zum Mini-Chaos bei. Zunächst stimmte eine Mehrheit der Delegierten für die Entkriminalisierung aller Drogen nach portugiesischem Vorbild. Sie waren dem Antrag von Roman-Francesco Rogat gefolgt, dem FDP-Bezirksvorsitzenden von Berlin-Marzahn.
Doch dann setzten sich kurz darauf Lindner, Generalsekretär Volker Wissing und Partei-Vize Wolfgang Kubicki dafür ein, den Beschluss wieder zu streichen. Was nach erneuter Abstimmung dann auch passierte. Vielen sei die Tragweite des Beschlusses nicht klar gewesen, so die Parteiführung. Innenpolitiker Konstantin Kuhle beruhigte die Gemüter: „Die deutsche Drogenpolitik ist gescheitert. Wir brauchen eine komplette Neujustierung des Verhältnisses von Strafrecht und Therapie.“ Das Thema will die Partei zu einem späteren Zeitpunkt nochmal ausführlicher besprechen.
Thema Bürgerrechte boomt in Coronazeiten
Von Drogen mal abgesehen – die FDP will sich als Partei profilieren, die Freiheiten und Bürgerrechte verteidigt. „Die Bürgerrechte, meine Damen und Herren, und die Idee der Freiheit sind in den vergangenen Monaten in die Defensive geraten“, sagte Lindner am Freitag. Er machte das selbstsicher, wohl wissend, dass der Unmut in der Bevölkerung über die Politik der Bundesregierung wächst.
Zu Beginn der Pandemie waren die Liberalen in einer misslichen Lage, sie übten zwar Kritik, forderten eine stärkere Beteiligung der Parlamente, fragten nach der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen, klagten in Karlsruhe gegen die Bundesnotbremse, die die umstrittene Ausgangssperre enthält. Gleichzeitig war die FDP darauf bedacht, nicht in die Nähe von Coronaverharmloser:innen gesteckt zu werden. Wurden sie trotzdem manchmal.
Aber jetzt, ein paar Pandemiemonate und Maskenaffären später, hat sich die Lage verändert. Nach einem spannend und zuweilen traurig anzusehenden Machtkampf zwischen Armin Laschet und Markus Söder ist die Union in den Umfragen abgestürzt – und die FDP im Windschatten konsequent nach oben geklettert. Lindner kann also selbstbewusst sagen: „Die Pandemie hat eines bewiesen: Wenn es um Bürgerrechte geht, dann ist auf die Freien Demokraten Verlass.“
Lindner will in die Regierung
In Umfragen liegt die FDP zwischen 10 und 12 Prozent, die Partei gewinnt neue Mitglieder, die Finanzen können sich sehen lassen. Christian Lindner wird mit 93 Prozent Zustimmung in seinem Amt bestätigt. Neu an seiner Seite ist es jetzt Johannes Vogel. Der Sozialpolitiker, der in den Medien immer wieder mal mit sozialliberalen Gedanken auftaucht, wird zu einem von drei stellvertretenden Bundesvorsitzenden gewählt.
„Ich war niemals motivierter als jetzt, die FDP zurückzuführen in Gestaltungsverantwortung für unser Land“, sagt Lindner. Er will regieren, es ist seine letzte Chance. Das Trauma sitzt tief. Als die FDP nach der Bundestagswahl 2017 die Jamaika-Verhandlungen abbrach, waren sie lange der politischen Bedeutungslosigkeit nahe.
Im Ergebnis heißt das nun: Lindner äußert sich zurückhaltender, staatstragender, er sendet neue Signale und überlässt bissige Töne Parteivize Wolfgang Kubicki. Schließlich muss Lindner als Regierungsmitglied in spe breitere Bevölkerungsgruppen ansprechen. Zu Beginn seiner Rede verurteilt er den Terror der Hamas und erinnert daran, dass das Existenzrecht Israels Teil der deutschen Staatsräson ist. Redet über die Gefahr des Antisemitismus in Deutschland. Das Desaster in Thüringen, als sich FDP-Mann Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ, erwähnt er lieber nicht. Die FDP hat da keine gute Figur abgegeben.
Beschäftigte mit Steuererleichterungen locken
Selbstverständlich beschwört Lindner auch die Kraft des Marktes, will Innovationen, den Gründergeist entfesseln, alles entbürokratisieren und Steuern senken. Aber auf dem Parteitag bemüht er eben auch den Markenkern der FDP als Bürgerrechtspartei und präsentiert sich zurückgenommener. Keine Altherrenwitze. Keine Häme gegenüber Bewegungen wie Fridays for future, denen er einst riet, man solle Klimapolitik „doch den Profis überlassen.“
Jetzt verteilt er zwar die ein oder andere Spitze gegen die anderen Kanzlerkandidat:innen, aber alles in allem sehr moderat. CDU-Chef Armin Laschet solle man nicht mit den Grünen alleine lassen, „denn am Ende fusionieren die noch.“ An die Grüne-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat er vor allem viele Fragen: Wie das Verständnis der Grünen von privatem Eigentum ist zum Beispiel. Oder ob sie sich von der Linkspartei in das Kanzleramt wählen ließe. Olaf Scholz nennt er eine „respektable Persönlichkeit“, aber bedauert, dass das Programm von Saskia Esken und Kevin Kühnert stammt.
Die FDP will nun vor den Werkstoren stehen, „um die stolze leistungsorientierte technisch gebildete Belegschaft zu werben.“ Linder will den „Facharbeiter“ ebenso wie „die Pflegerin“ ansprechen. Zuweilen wirkt es fast unfreiwillig komisch, seine FDP ist nun wirklich nicht dafür bekannt, für höhere Löhne und Arbeitsschutz von Arbeitnehmer:innen zu kämpfen. Aber darum geht es auch nicht. Er will sie mit Steuererleichterungen locken. Und er kämpft gegen das Image, dass die FDP eine kaltherzige Partei ist, die nur die Reichen noch reicher machen will. Dabei will sie genau das.
Zwar will die FDP für alle Einkommensschichten mehr Netto vom Brutto. Aber während SPD, Grüne und Linke Einkommensmillionäre steuerlich stärker belasten möchten, würde die FDP sie gerne entlasten. Den Spitzensteuersatz will sie nach rechts verschieben, er soll erst bei einem Jahreseinkommen von 90.000 Euro greifen. So steht es im Parteiprogramm, das die Liberalen an diesem Wochenende verabschieden. Der Solidaritätszuschlag soll ganz weg, die steuerliche Belastung von Unternehmen soll auf rund 25 Prozent gesenkt werden.
Liberale wollen Rundfunkbeitrag senken
„Leistung darf nicht wegbesteuert werden, das gilt gerade auch in schwierigen Zeiten, weil es die Leistung der Menschen ist, die unseren Staat trägt und auf die wir angewiesen sind, wenn wir die großen Herausforderungen unserer Zeit stemmen wollen“, findet auch Generalsekretär Volker Wissing. Nötig seien solide Staatsfinanzen, keine Generation dürfe von Schuldenbergen erdrückt werden. „Deshalb ist neben der Frage der Steuerbelastung auch die Frage solider öffentlicher Haushalte für die Freien Demokraten nicht verhandelbar“, betonte Wissing. Eine Aufweichung der Schuldenbremse lehnt er ab. Die Antwort, wie diese umfassenden Steuererleichterungen nach den ganzen Coronaschulden finanziert werden sollen, bleibt die Partei den Wähler:innen schuldig.
Beim Klimaschutz setzt die FDP vor allem auf innovative Technologien und marktwirtschaftliche Instrumente wie den Emissionshandel, die zulässige CO2-Emissionsmenge soll gesetzlich festgelegt werden.
Zum vorgelegten Entwurf des Wahlprogramms standen über 540 Änderungsanträge zur Abstimmung, die stoisch abgearbeitet wurden, allein Sonntag früh waren noch mehr als 300 übrig.
Ein weiterer Aufreger: Die Liberalen einigten sich darauf, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu beschneiden und den Rundfunkbeitrag zu senken. Der entsprechende Antrag wurde mit knapper Mehrheit (185 zu 179) angenommen. Im Programm heißt es nun: „Wir Freie Demokraten wollen einen moderneren und schlankeren öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR), der sich primär auf Nachrichten, Kultur, politische Bildung und Dokumentationen konzentrieren soll. Damit wollen wir den Rundfunkbeitrag absenken.“ Vorher war vom Dämpfen die Rede. FDP-Generalsekretär Volker Wissing riet noch vergeblich, den Antrag abzulehnen.
Der Streit um die Höhe von Rundfunkgebühren, so zeigt es sich auch in Sachsen-Anhalt, ist ein brisantes Thema. Und das Ergebnis auf dem Parteitag macht deutlich, dass es auch in der FDP Kräfte gibt, die in manchen Fragen weit auseinanderdriften.
Korrekturhinweis: In einer früheren Version wurde von einer „Freigabe aller Drogen nach portugiesischem Vorbild“ geschrieben. Das Wort Freigabe ist so nicht korrekt. In Portugal gilt der Besitz von bis zu zehn Tagesdosen Drogen zum persönlichen Gebrauch nicht als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit. Die portugiesische Drogenpolitik setzt auf Therapie und Aufklärung statt auf harte Bestrafung. Drogenhandel ist aber nach wie vor strafbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid