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Europäisches Asylsystem (Geas)Warum Merz' Ankündigung kein Grund zur Freude ist

Frederik Eikmanns

Kommentar von

Frederik Eikmanns

Der Kanzler will Grenzkontrollen beenden, wenn die europäische Reform der Grenzpolitik in Kraft tritt. Dann droht ein neues Kapitel der Abschottung.

Kontrollen in Pomellen an der Deutsch-Polnischen Grenze, Mecklenburg – Vorpommern, am 20.5.2025 Foto: Andy Buenning/imago

D ie Grenzkontrollen und die Zurückweisungen Asylsuchender werden in absehbarer Zukunft beendet. So kündigte es Kanzler Friedrich Merz kürzlich an. Dann nämlich, wenn die Reform des Gemeinsamen europäischen Asylsystems (Geas) greift. Das wird Mitte 2026 der Fall sein. Darüber kann man aus guten Gründen erleichtert sein. Die Kontrollen mögen zwar nicht direkt rechtswidrig sein, sie waren aber eindeutig ein Verstoß gegen die Idee des Schengenraums mit offenen Grenzen.

Eindeutig illegal indes waren die Zurückweisungen von Schutzsuchenden. Wie offen die Bundesregierung hier das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts aus dem vergangenen Sommer ignoriert, ist nach wie vor ein Skandal. Nun könnte folgendes Fazit ziehen: Ungut, dass es so weit gekommen ist, gut, dass es jetzt eine Ausstiegsperspektive gibt. Allerdings sagt es einiges über die Geas-Reform, wenn Innenminister Alexander Dobrindt, CSU, und Kanzler Merz dazu bereit sind, ihre nationale Abschottungsstrategie gegen die Geas-Reform zu tauschen.

Schon in ihrer ursprünglichen Form war die Reform eine Zumutung: Schnellverfahren in Haftlagern an den EU-Außengrenzen ohne An­wäl­t*in­nen und die Zivilgesellschaft, undurchsichtige Ausnahmeregelungen für Krisenfälle, bessere Möglichkeiten, illegale Pushbacks zu verschleiern. Das ist aber noch nicht alles. Am 8. Dezember einigten sich die EU-Innenminister auf eine Neufassung der Rückführungsverordnung.

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Dieser Schritt war überhaupt erst der Anlass für Merz’ Ankündigung, die nationalen Kontrollen bald beenden zu wollen. Was die Innenminister da beschlossen haben, macht den Weg frei für ein ganz neues Kapitel der europäischen Abschottung. Neben allerlei neuen Pflichten für Abzuschiebende und harten Strafen für alle, die sich widersetzen, kippt der Beschluss auch das sogenannte Verbindungselement.

Sollte das so vom EU-Parlament beschlossen werden, könnten abgelehnte Asyl­be­wer­be­r*in­nen bald in sogenannten Rückführungslagern interniert werden, in jenen Ländern, die die Betroffenen noch nie zuvor betreten haben. Fernab der Öffentlichkeit können sie dort festgehalten werden, bis sie freiwillig in ihr Herkunftsland zurückgehen oder dorthin abgeschoben werden.

Das gekippte Verbindungselement ist ein Schritt in Richtung einer noch drastischeren Lösung: der des sogenannten Ruanda-Modells. Nach diesem werden nicht nur abgelehnte Asylbewerber*innen, sondern auch die neu ankommenden Geflüchteten in ein fremdes Nicht-EU-Land verfrachtet.

Am Beispiel der USA, die bereits ähnlich vorgehen, zeigt sich, dass sich mit ausreichend politischem und wirtschaftlichem Druck durchaus Aufnahmeländer finden lassen. Nur kann man sich eben nicht sicher sein, dass Staaten wie der Südsudan die ihnen aufgezwungenen Menschen gut behandeln – oder sie nicht direkt dorthin abschieben, woher sie einst flohen. Mit diesem Szenario im Hinterkopf klingt Merz’ Ankündigung zum Ende der nationalen Grenzkontrollen eher wie eine Drohung.

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Frederik Eikmanns
Fachredakteur für Innere Sicherheit und Migration
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9 Kommentare

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  • Was ist daran nicht zu verstehen, dass ein Europa mit offenen Grenzen im Innern nur mit kontrollierten Außengrenzen möglich ist?



    Das, was Leuten wie Herrn Eikmanns vorschwebt, nämlich Open Borders für alle, kann niemals funktionieren. Genau so unmöglich wie ein Perpetuum Mobile. Klingt in der Theorie prima und irgendwie sogar auch einleuchtend, ist aber nicht realisierbar.

  • Ich zitiere mal: Geas ist ein altirisches Wort, das ein irrationales Gebot oder Verbot im Gegensatz zur rationalen Rechtssatzung beschreibt.

  • Kontrolle an den Aussengrenzen, Abschiebung von nicht asylberechtigten Personen, ein Verteilmechanismus. Es wurde eine gute Lösung gefunden. Die sogenannte „Zivilgesellschaft“ wird in diesem Prozess nicht benötigt, da es sich um interessensgesteuerte NGOs handelt.

  • "... in jenen Ländern, die die Betroffenen noch nie zuvor betreten haben"

    Für die meisten Flüchtlinge gilt das für EU-Länder genauso.

    Auch Deutschland haben viele vorher noch nie betreten.

    "Nur kann man sich eben nicht sicher sein, dass Staaten wie der Südsudan die ihnen aufgezwungenen Menschen gut behandeln – oder sie nicht direkt dorthin abschieben, woher sie einst flohen,"

    Das kann man sich bei Deutschland und den übrigen EU-Staaten ja, wie diverse taz-Berichte belegen, nun wirklich auch nicht.

    Ich erinnere an einen taz-Artikel von Herrn Jakob, der Uganda als Vorbild für die EU-Länder in der Flüchtlingsaufnahme pries.

    Vielleicht muss man sich wirklich von dem Gedanken verabschieden, nur Deutschland oder die EU-Länder als deutsche Hegemonialzone könnten menschenwürdig Flüchtlinge aufnehmen.

    Diese Vorstellung hat ohnehin etwas unterschwellig Rassistisches und Kolonialistisches.

  • Bin mir eigentlich ziemlich neugierig, wie die Taz Lesern mit abgelehnten Asylbewerbern umgehen möchten. Das ist nicht eine Trick-Frage, ich bin genuin verwirrt, was genau der Autor/die Lesern als angemessen betrachten würde

    Also wenn ich die Artikeln hier lese kommt es mir immer wieder vor, als ob überhaupt der Begriff dass ein Asylantrag abgelehnt sein kann bereits ein Angriff auf die Menschenwürde ist, und diese Kategorie einfach nicht mehr existieren sollte. Aber wie soll man sonst unterscheiden zwischen Leuten die Schutzbedürftig sind oder nicht? Und wenn es festgestellt wird das irgendjemand nicht Schutzbedürftig ist, was ist dann der nächste Schritt?

    • @Raf:

      Ein zu Unrecht abgelehnter Asylantrag ist ein Angriff auf die Menschenwürde. Mit all diesen Maßnahmen werden Menschen daran gehindert, ihr Recht auf Asyl wahrnehmen zu können, gegen unrechtmäßige Entscheidungen vorgehen zu können, weil sie an Orte verbracht werden, an denen mutmaßlich noch weniger als in Deutschland rechtsstaatlich gehandelt wird. Schön weit weg, damit hier möglichst keiner mehr mitbekommt, wie willkürlich und unmenschlich in Asylverfahren gelegentlich entschieden und gehandelt wird, damit die "Zahlen" stimmen.



      Mögen Menschen, die solche Entscheidungen treffen, möglichst nie wieder die Worte "europäische Werte" in den Mund nehmen.

      • @Life is Life:

        Du beantwortest die Frage aber nicht...was würdest du als angemessen betrachten, für Leute deren Antrag nicht zu Unrecht abgelehnt wurde?

      • @Life is Life:

        Und was ist mit zurecht abgelehnten Asylbewerbern?



        Z.B. mit Leuten, die von Basel mit dem Team nach Deutschland einreisen, weil sie dort ein besseres Leben haben, obwohl sie in der Schweiz auch nicht verfolgt werden?



        Oder gilt das nicht?



        Dürften Ihrer Meinung nach Asylanträge überhaupt nicht abgelehnt werden?

  • Die EU kann also endlich etwas richtig stellen und das Gesetz durchwinken? Hoffen wir einmal das es klappt.