Ertrunkene Flüchtlinge vor Italien: Die EU ist mitschuldig
Wieder sind Menschen auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer ertrunken. Aus Brüssel und Rom sind nur scheinheilige Trauer-Floskeln zu hören.

N ur hundert Meter entfernt war die Insel Lampedusa – und doch starben, am 3. Oktober 2013, 368 Menschen, als ihr Boot kenterte. Entsetzen äußerten damals nicht nur die italienischen, sondern auch zahlreiche europäische Politiker*innen, sprachen davon, dass eine solche Tragödie „sich nie wiederholen“ dürfe.
Am Sonntagmorgen hat sie sich fast deckungsgleich wiederholt. Wieder war, im süditalienischen Kalabrien, die Küste zum Greifen nah, wieder aber ertranken mehr als 60 Menschen in den Fluten. Und wieder vernehmen wir Äußerungen, aus Rom ebenso wie aus Brüssel, in denen von „tiefem Schmerz“ die Rede ist und davon, dass Europa „entschlossen“ antworten müsse.
Wie es um diese Entschlossenheit in Italien bestellt ist, hat die Rechtsregierung unter Giorgia Meloni zuletzt hinreichend demonstriert. Ginge es nach ihr, so würden die NGOs ihre Rettungsmaßnahmen im Mittelmeer ersatzlos einstellen, und mit gezielten Schikanen arbeitet sie auf diese Lösung hin. Und „Europa“ ist für Meloni nur die Chiffre, um ein gemeinsames Vorgehen bei der rabiaten Flüchtlingsabwehr einzufordern.
Jenes Europa allerdings macht es auch nicht besser. Legale Zugangsmöglichkeiten für Flüchtlinge bleiben eine Schimäre, und Gezerre gibt es allein um die Frage, ob auch die Länder im Norden und Osten Europas einen Teil der übers Mittelmeer kommenden Flüchtlinge übernehmen sollen. Nicht einmal zu gemeinsamen Rettungsmissionen im Mittelmeer wie noch nach der Katastrophe vor Lampedusa zeigt sich die EU willens und in der Lage.
Viel leichter dagegen ist es, sich – wie auch jetzt wieder – über „kriminelle Schleuser“ aufzuregen. Deren Geschäftsmodell allerdings beruht darauf, dass es andere, legale Möglichkeiten, um als Flüchtling nach Europa zu gelangen, schlicht nicht gibt. Die Abschottungspolitik der EU sorgt für zweierlei: für die ebenso sicheren wie konstanten Einnahmen der Schlepper ebenso wie für Katastrophen, wie sie jetzt wieder vor Kalabrien zu beklagen sind: Mehr als 26.000 Menschen ertranken in den vergangenen Jahren im Mittelmeer.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Geiselübergabe in Gaza
Gruseliges Spektakel
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Russland und USA beharren auf Kriegsschuld des Westens