Ernährung im Gehen: Was der Kaffee to go verrät

Woher kommt die Angewohnheit, Essen auf die Straße hinauszutragen und im Gehen zu verzehren statt zu verweilen?

Eine Hand balanciert einen Einmal-Kaffeebecher

Coffee to go ist völlig normal. Oder vielleicht doch nicht? Foto: Isai Henandez/imageBROKER/imago

Müsste man ein klassisches deutsches, französisches, amerikanisches, sagen wir, westliches Straßenbild beschreiben, wäre eines der wichtigsten Ingredienzen eine Person, die mit einem Kaffeebecher über den Bürgersteig rauscht. Dieser Becher könnte in allerlei Versionen daherkommen. Je nachdem, wo man sich befände, wie alt die Person wäre, wie arm oder reich, wäre der Becher mit grüner Verzierung versehen und würde Dinge umfassen wie Kürbis, Sirups, Lebkuchen und ähnliches ausgedachtes Zeug.

Oder er würde ganz schlicht daherkommen. Er wäre einem der vielen Coffee-Shops entsprungen, die alternativen Milchformen huldigen, und hätte die Trinkerin wahrscheinlich schon frühmorgens zu Diskussionen über die Röstmethode der Bohnen und das Dripping des Kaffees angeregt. In besonders rockiger Version käme er von einem x-beliebigen Bäcker und würde einen banalen Kaffee mit Kuhmilch beinhalten.

Davongetragene Kaffeebecher erzählen etwas über die Menschen, die sie umklammern. Sie sagen etwas darüber aus, wer man sein will, wie man gesehen werden will, ja vielleicht sogar etwas darüber, wie man zum Kapitalismus steht, zum Klimawandel, zu seinem eigenen Körper, seiner Zeit, anderen Menschen, dem öffentlichen und dem privaten Raum.

Zumindest tun sie das in Deutschland, Frankreich und Co. In Italien, besser gesagt in Rom, sagen die wenigen Kaffeebecher, die man zwischen Monti, Trastevere, Parioli und Esquilino je trifft, eigentlich nur eines: Hallo, ich bin nicht von hier. Menschen die „von hier“ sind, machen das eigentlich nicht. Zumindest selten.

Gerüche und anderes

Kaum jemand hält je einen Becher in der Hand und spaziert damit nippend durch die Straßen. Im Laufen zu trinken, erscheint den meisten offenbar ebenso abstrus wie im Laufen zu essen. Keiner tut das. Man kann auf der Straße essen, ja, ein Stück Pizza zum Beispiel, ein Eis, ist ja klar. Nur bleibt man dafür stehen. Man holt, was man will, stellt sich vor den dazugehörigen Ort, isst, trinkt, geht weiter.

Man sitzt nicht, wie in Deutschland, in der U-Bahn und zupft Brezen-Stücke aus einer Papiertüte. Man belästigt seine Sitznachbarn nie, wie in Bayern, mit den Gerüchen einer unterwegs verzehrten Leberkäse-Semmel. Und wenn man abends an einer Ampel steht, bohrt man auch nicht, wie in Frankreich, in seinem Baguette herum. Das Cornetto wird nicht auf dem Weg zur Arbeit verzehrt wie das Croissant, ebenso wenig wie der Cappuccino.

Als ich heute Morgen aus Gewohnheit im Café bei mir um die Ecke einen Cappuccino „da portare via“, also zum Mitnehmen, bestellte, sah mich der Kellner wie jedes Mal, wenn ich das tue, mit einem belustigten, vielleicht auch etwas mitleidigen Blick an. Er sagt nichts und dabei alles. Zumindest stelle ich mir seine Fragen in etwa so vor: Warum kannst du nicht wie alle anderen hier stehen bleiben? Willst du nicht kurz innehalten, bevor der Tag losgeht? Was soll dieser Wahnsinn der Gleichzeitigkeit?

Und vor allem (denn darum geht es ja beim Coffee to go): Wie beschäftigt bist du wirklich, dass du keine fünf Minuten hast, deinen Kaffee hier zu trinken? Länger würde es ja nicht dauern. Sich an den Tresen schieben, dem Barista seine Bestellung zurufen, kurz am Wasser nippen, das einem schon entgegengeflogen kommt, während die Maschine noch pfeift und das Stimmengewirr zunimmt, den Espresso in zwei Zügen runterkippen, an der Kasse zahlen, rausgehen: Drei Minuten sind um. Wenn ein Cornetto involviert ist, sind es maximal zehn.

Allein und kollektiv

Nur geht es vielleicht gar nicht um Zeit, sondern um ein Verhältnis zum Kollektiv, zu anderen Stimmen, anderen Körpern. Statt allein mit seinem Getränk an anderen vorbeizulaufen, stürzt man sich hier jeden Morgen ganz kurz in einen gemeinsamen Tanz: Man steht Schulter an Schulter, biegt sich, rutscht zur Seite, tritt vor, zurück.

Die Bewegungen sind ganz klar und präzise, alles folgt einer gekonnten Harmonie aus Hektik und Ruhe, Chaos und Konzentration. Man fügt sich in den Menschenball ein, zelebriert auch die kleinste Nahrungs- und Getränkezufuhr als einen Moment, den man teilen sollte, und spaltet sich dann wieder ab. Man tritt zurück auf die Straße. Der Kaffee wurde getrunken. Die Hände sind frei.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.