Ergebnisse von neuer Raubtierzählung: Viel mehr Wolfsrudel – und Fragen
28 Prozent mehr „Familien“ des Raubtiers binnen eines Jahres. Doch wie viele Wölfe das sind, sagt das zuständige Bundesamt nicht.
Die Wölfe sind im Jahr 2000 nach ihrer Ausrottung vor 150 Jahren dauerhaft nach Deutschland zurückgekehrt. Seitdem wächst der Bestand der nun streng geschützten Art. Auch die Zahl der von Wölfen gerissenen Nutztiere steigt. Viele Bauern sehen dadurch die vergleichsweise tier- und naturfreundliche Viehhaltung auf der Weide gefährdet. Zudem nehmen Sorgen zu, dass Wölfe Menschen gefährden könnten.
Kritiker fragen aus diesen Gründen immer wieder, ab wann die Ausbreitung des Wolfs etwa durch Jagd begrenzt werden dürfe. Dazu müssten die Naturschutzbehörden feststellen, dass der Erhaltungszustand „günstig“ ist. Eine Bedingung dafür wäre, dass die Population, die sich auf Deutschland und Westpolen erstreckt, groß genug und damit stabil ist. Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Till Backhaus (SPD) sagte kürzlich in der taz: Ja, sie ist groß genug. Wenn jedes Rudel im Schnitt 10 Tiere habe und in Deutschland und im Westen Polens insgesamt 130 Rudel leben, bestehe die Population aus 1.300 Tieren. Das reiche Wissenschaftlern zufolge.
Doch Jessel konterte, die Zahl der Wölfe lasse sich gar nicht seriös bestimmen, weil „die Unsicherheiten zu groß sind“. Die Größe der Rudel schwanke zu stark – zwischen 3 und 11 Tieren. Zudem sei die Sterblichkeit junger Wölfe sehr hoch. Bestätigt ist laut BfN nur die Zahl der erwachsenen Tiere in Deutschland: 150 bis 160 (Vorjahr: 140).
Obergrenze für Wölfe?
Eine hohe Populationsgröße reiche auch nicht, um den günstigen Erhaltungszustand zu erklären, so Jessel weiter. Deshalb habe es keinen Sinn, eine Obergrenze festzulegen. Als Gründe, weshalb der Wolf den günstigen Erhaltungszustand noch nicht erreicht habe, nannte sie, dass „Gefährdungsfaktoren weiterhin wirken und potenzielle Habitate des Wolfes bisher noch nicht besiedelt sind“. Von den in Deutschland seit dem Jahr 2000 insgesamt 201 tot aufgefundenen Wölfen seien 70 Prozent durch den Straßenverkehr ums Leben gekommen und 13 Prozent illegal getötet worden. Die Frage, welcher Anteil des Landes vom Wolf mindestens besiedelt sein muss, beantwortete Jessel aber nicht.
Sie wies mithilfe genetischer Untersuchungen auch Backhaus’ Behauptung zurück, die deutsch-westpolnische Population tausche sich mit der ostpolnischen aus. Dann könnte man die Bestände als eine Population betrachten und möglicherweise früher den günstigen Erhaltungszustand feststellen.
Demnach wurden 2016 insgesamt 285 Übergriffe auf Vieh gemeldet, bei denen Wölfe als Verursacher nicht ausgeschlossen werden konnten. Dabei kamen rund 1.100 Tiere ums Leben, vor allem Schafe und Ziegen. Die Länder zahlten 135.000 Euro Entschädigung. Jagd auf Wölfe würde nicht dazu führen, dass sie weniger Nutztiere reißen, teilte die Behörde mit. Das Einzige, was helfen würde, sei der Schutz der Herden. Dazu empfiehlt das BfN höhere Elektrozäune und häufiger speziell trainierte Herdenschutzhunde, als die Länder verlangen, bevor sie Entschädigungen zahlen. Solche Maßnahmen wurden mit 1,1 Millionen Euro bezuschusst.
Derweil haben sich die Wolfsbestände – entgegen vielen Vorhersagen – in einem Band von der Lausitz im Osten bis in den Nordwesten verdichtet. Das Verbreitungsgebiet habe sich nicht in dem Maße ausgeweitet, wie es die Rudelzahlen vermuten ließen, sagte Jessel. Warum – auch das konnten die Experten nicht beantworten.
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