Erfolgreiches Referendum: Göttingen stimmt für Radentscheid

Vereine, Verwaltung und Wirtschaft waren dagegen. Doch in Göttingen stimmte erstmals eine Mehrheit in einer Großstadt für Fahrradstraßen.

Eine Fahrradampel zeigt grünes Licht.

Grünes Licht für mehr Sicherheit Foto: Michael Gstettenbauer/imago

GÖTTINGEN taz | Erstmals in einer deutschen Stadt haben die Einwohner per Bürgerentscheid erfolgreich über erhebliche Verbesserungen im Radwegenetz abgestimmt. Rund 27.500 Göt­tin­ge­r:in­nen votierten am Sonntag für den „Radentscheid 1“, das entspricht einer Zustimmung von rund 54 Prozent. Der „Radentscheid II“ wurde dagegen mit etwa 55 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. Weil die Briefwahlstimmen später ausgezählt wurden, gab die Stadt Göttingen das Ergebnis erst am Dienstagabend bekannt.

Im „Radentscheid I“ geht es um eine Priorisierung des Radverkehrs vor dem motorisierten Individualverkehr und auch vor dem ÖPNV. So sollen Fahrradstraßen so gestaltet werden, dass auch Kinder und ältere Menschen dort sicher radeln können, der Durchgangsverkehr von Kraftfahrzeugen wird hier nach Möglichkeit unterbunden.

Auf wichtigen Abschnitten werden bis 2030 abgegrenzte, geschützte Radstreifen, sogenannte Protected Bike Lines, eingerichtet. Kreuzungen werden fahrradsicher gestaltet, Ampel rad- und fußgängerfreundlicher geschaltet und Fahrradabstellanlagen überdacht. Die Stadt ist zur Umsetzung dieser Maßnahmen verpflichtet.

Der Radentscheid II sah eine Vielzahl von konkreten Einzelmaßnahmen vor. Darunter den Umbau einer großen Umgehungsstraße, den Abbau von Pkw-Parkplätzen und die Ausweisung von zwei viel befahrenen Nord-Süd-Achsen zu Einbahnstraßen. Die Klima-Initiative „Göttingen Zero“ hatte die Radentscheide mit einem Bürgerbegehren erzwungen, für das im Winter innerhalb weniger Monate mehr als die notwendigen 9.000 Unterschriften zusammengekommen waren.

Widerstand von vielen Seiten

Das Ergebnis der Abstimmung überrascht, da es gegen den Willen der Verwaltungsspitze, der Koalition aus SPD, CDU und FDP im Stadtrat sowie von Handwerk und Einzelhandel erreicht wurde. Überflüssig sei der Radentscheid, hatte die Verwaltungsspitze um Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD) argumentiert. Sie verwies dabei auf vordere Plätze, auf denen Göttingen in den vergangenen Jahren in Rankings für fahrradfreundliche Kommunen gelandet sei.

Auch operierten die Stadtoberen mit fragwürdigen Kostenberechnungen. Knapp 100 Millionen Euro seien nötig, um die Maßnahmen der beiden Radentscheide umzusetzen, wurde mit Verweis auf die ohnehin klammen kommunalen Kassen geklagt. Zudem suggerierte die eigentlich zur Neutralität verpflichtete Verwaltung, dass die Ausgaben für den Radverkehr zulasten anderer Initiativen im Bereich Sport und Kultur gingen. Nach Berechnungen von „Göttingen Zero“ hat die Verwaltung die Kosten allerdings äußerst großzügig nach oben aufgerundet.

Zum Vorgehen der Stadt passte ein – möglicherweise unabsichtlicher – „Tippfehler“. Im Vorfeld des Bürgerbegehrens hatte die Verwaltung Kostenschätzungen für die beiden Teile des Entscheids abgeben müssen. Dabei kamen für den „Radentscheid I“ 30,9 Millionen Euro heraus. An die Initiatoren des Begehrens wurden diese Daten per E-Mail übermittelt. Im Anschreiben der Mail war allerdings von 39,4 Millionen die Rede. Die falsche Zahl zog sich in der Folge wie ein roter Faden durch alle Vorlagen und Formulare. „Dass die Verwaltungsspitze und das Haushaltsbündnis im Stadtrat so massiv für ein Nein geworben haben, hat uns ehrlich gesagt überrascht, bestätigt aber den hohen Stellenwert unserer Arbeit“, erklärte „Göttingen Zero“ am Mittwoch. „Der Mythos, dass in deutschen Städten grundsätzlich keine Mehrheiten für eine andere Verkehrspolitik erreicht werden können, ist mit diesem Ergebnis widerlegt.“

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