Erfolg der AfD: Die Illusion von Souveränität
Rechte Gesinnungen sind nicht nur in Ostdeutschland beliebt. Eine Betrachtung von außen, die sich einer anderen Dimension als der Realität zuwendet.
W enn man den Erfolg der AfD von außen betrachtet – etwa von Österreich aus, wo man in Fragen der Rechten eine traurige Expertise hat, dann stellt sich dieser etwas anders dar. Anders als in der deutschen Debatte, deren Erklärungen auf die spezifisch ostdeutsche Situation fokussiert erscheint. Das Fortschreiten der Rechten findet auch andernorts statt, wo es diese Situation nicht gibt. Die Betrachtung von außen kann vielleicht eine andere Perspektive auf diesen Erfolg eröffnen.
In Österreich hat man die Erfahrung gemacht, dass selbst ein Desaster wie das bekannte Ibiza-Video die FPÖ nicht anhaltend desavouiert hat. Keine Aufklärung, keine Enthüllung, kein Skandal hat sie nachhaltig geschwächt. Kein Dementi der Realität vermochte ihre Position zu erschüttern. Vielleicht sollte man sich deshalb einer anderen Dimension als der Realität zuwenden.
Es gibt da ein Motiv, das gerade mit den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Pandemie an Fahrt aufgenommen hat: die Sehnsucht nach der eigenen Handlungsmacht. Solche Vorstellungen finden sich zuhauf in den sozialen Medien. Sie haben weite Verbreitung in der Formel gefunden: „Wenn wir an der Macht sind, dann …“ – gefolgt von Fantasien der Säuberung, der Rache, des Rechthabens. Getrieben von einer Obsession der Bestrafung.
Das ist nicht: „unterm Hitler hätte es das nicht gegeben“ – kein Führer wird in Anschlag gebracht. Hier wird vielmehr ein diffuses „Wir“ behauptet. Dieses steht vor allem für den, der das jeweils schreibt. Es ist sozusagen eine persönliche Säuberungs- und Diktaturfantasie, eine persönliche autoritäre Ermächtigung. Die Vorstellung, die eigene Position, das eigene Denken, das eigene Urteilen zum Souverän zu machen. Auch über die Fakten.
Gesinnungsdiktatur statt Meinungsfreiheit
Da geht es nicht um eine andere Meinung. Ob zur Pandemie oder zum Ukrainekrieg. Die Themen sind beliebig. Austauschbar. Denn es geht nicht um Meinungen. Es geht vielmehr darum, die eigene Position eben nicht mehr als Meinung zu verstehen. Sie nicht mehr ins Register der Meinungsfreiheit einzuordnen. Denn diese wird nicht als Form, sondern als Inhalt verstanden: nicht als eine Möglichkeit, als eine Freiheit, sich zu äußern – sondern als ein Macht-, ein Zwangsverhältnis, als eine Gesinnungsdiktatur.
Dieser soll eine andere Gesinnung „ebenso“ autoritär entgegengestellt werden. Da geht es nicht um Hegemonie im Sinne einer Meinungsvorherrschaft – weil es keinen gemeinsamen Boden gibt, keine geteilte Realität, auf der man darum ringen könnte. Da geht es nicht um eine Gegenmeinung, sondern um eine Machtübernahme, die alles verkehren soll.
Aber diese Vorstellung einer neuen, grenzenlosen Souveränität, die politische Säuberungen durchführt, ist eine Fantasie.
Und da kommen die Rechten ins Spiel. Sie bedienen allerorts einen erneuerten Glauben an die eigene Handlungsmacht. Das ist ihr Versprechen. Dass dieses real nicht einzuhalten ist, schmälert die Verlockung nicht. Denn es bietet das Überschreiten der Gegenwart nicht als glorreiche Zukunftsperspektive. Es spielt sich vielmehr alles im Hier und Jetzt ab.
Die Fantasie bedienen
Man denke an Trumps „Make America Great Again“. Das Versprechen „erfüllt“ sich bereits, wenn man es ausspricht. Es löst sich bereits im Bierzelt ein. Oder bei Wahlveranstaltungen. Es ist eine Beschwörung, eine unmittelbare Bekräftigung der eigenen Stärke. Gefühlt war America schon in der Veranstaltung great again. Genau damit wird die Fantasie bedient.
Die Rechten bieten sich nicht nur für den Ärger, den Zorn gegen das Bestehende an – sondern gleichzeitig auch für die Illusion einer Handlungsmacht, die mit allem aufräumt.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Eine erfolgreiche AfD kann auch ohne brachiale Säuberungsaktionen viel Schaden anrichten. Keine Frage. Zentral aber ist: Erfolgreich sind die Rechten nicht nur qua Ressentiment und Wut. Nicht nur weil sie einer realen Unzufriedenheit einen scheinbaren Ausdruck verleihen. Erfolgreich sind sie auch, weil sie an die Fantasie andocken. Und dagegen hilft kein Dementi der Realität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen