Equal-Pay-Gerichtsprozess: Frau verklagt Daimler
Eine Abteilungsleiterin bekommt 20 Prozent weniger Gehalt als ihr direkter Kollege im gleichen Betrieb. Jetzt wehrt sie sich vor Gericht.
Denn die Frau, die bis zu Prozessbeginn öffentlich nicht identifizierbar sein möchte, will diese Gehaltsunterschiede nicht hinnehmen. Seit 2017 gilt hierzulande das Entgelttransparenzgesetz, das im Kern verspricht, was selbstverständlich klingt: gleiches Gehalt für gleiche Arbeit. Trotzdem ist es bis heute üblich, dass Frauen und Männer für gleiche oder gleichwertige Arbeit verschieden bezahlt werden. Der bundesweite Unterschied zwischen den Geschlechtern liegt bei rund 7 Prozent – für dieselben Jobs, bei demselben Arbeitsumfang, derselben Qualifikation.
Die ehemalige Daimler AG spaltete sich 2021 in Daimler Truck und Mercedes-Benz, die Klägerin arbeitet seitdem bei Daimler Truck. In keinem der beiden Unternehmen existiere ein transparentes und objektiv nachvollziehbares Entgeltsystem für Führungskräfte auf der Stufe der Klägerin, so die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Klage der Frau unterstützt. „Die Vorgesetzten entscheiden frei darüber, wie das vorhandene Budget auf die Abteilungsleiter*innen verteilt wird“, sagt Sarah Lincoln, die Verfahrenskoordinatorin der GFF.
Unterschiede von fast 70 Prozent
Dadurch wiesen die Gehälter der mehr als 200 Abteilungsleiter*innen, die auf der Stufe der Klägerin beschäftigt seien, im Jahr 2022 Unterschiede von fast 70 Prozent auf. Neben der Klägerin gegen Daimler Truck gebe es derzeit sechs weitere Klagen von Frauen aufgrund von Gehaltsdiskriminierung gegen den Konzern, so die GFF. „Lohndiskriminierung ist beim Daimler-Konzern ein strukturelles Problem in allen Entgeltgruppen.“
Das Entgelttransparenzgesetz besagt, dass Beschäftigte in Unternehmen mit mehr als 200 Mitarbeitenden Anspruch darauf haben, den Medianwert des Entgelts der männlichen Vergleichsgruppe zu erfahren. Der Median liegt in der Mitte einer nach Größe sortierten Zahlenreihe. Die Daimler AG ging bei der Veröffentlichung mit gutem Beispiel voran, so die GFF: 2018 richtete das Unternehmen ein Tool ein, mit dem jedeR Beschäftigte das Gehalt der jeweiligen Vergleichsgruppe einsehen kann.
Bei der Klägerin zeigte sich sogar, dass ihr Gehalt, wenn weitere Bezüge wie virtuelle Aktien einberechnet wurden, zum Teil sogar bis fast 40 Prozent unterhalb dem ihrer männlichen Vergleichsgruppe lag. Zudem bestätigte sich, dass sie auch weniger als ihr direkter, gleich qualifizierter Kollege verdient, der noch dazu gleich lang im Unternehmen arbeitet wie sie selbst.
Ein fünfstelliger Betrag
Seit 2021 nun klagt die Frau auf gleiche Entlohnung wie der Kollege, mittlerweile in zweiter Instanz. Im November 2023 verurteilte das Stuttgarter Arbeitsgericht in erster Instanz zwar Daimler Truck: darauf, der Klägerin die Differenz zum Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe zu zahlen – einen fünfstelligen Betrag für einen Zeitraum von fünf Jahren.
Die Differenz zum Gehalt ihres direkten Kollegen sprach das Gericht ihr jedoch nicht zu. Der Grund: Von Lohndiskriminierung betroffene Frauen könnten höchstens eine Anpassung an das Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe fordern, jedoch kein konkretes Gehalt, so das Gericht. Sowohl die Klägerin als auch Daimler Truck hatten gegen dieses Urteil Berufung eingereicht. Seitdem war auch die GFF mit ins Verfahren eingestiegen.
„Daimler gelingt es nicht, die Gehaltsdifferenz stichhaltig zu begründen“, sagt Anwältin Sarah Lincoln. „Unter anderem wird der Klägerin schlechte Leistung vorgeworfen. Allerdings wurde ihre Arbeit sowohl im internen Feedbacksystem wie auch von ihren Vorgesetzten immer als gut bis sehr gut bewertet.“ Erst seitdem die Klägerin versuche, ihren Anspruch auf Lohngleichheit durchzusetzen, stelle das Unternehmen ihre Leistungen infrage, so Lincoln.
Objektiv und nachvollziehbar
Aus Sicht der GFF ist sowohl durch das Entgelttransparenzgesetz als auch durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz klar, dass Gehaltsunterschiede durch objektive und nachvollziehbare Kriterien wie Berufserfahrung begründet sein müssen. „Es ist am Arbeitgeber, zu beweisen, dass es für diese Ungleichbehandlung sachliche Gründe gibt, die nicht ans Geschlecht anknüpfen“, sagt Lincoln. Verhandlungsgeschick oder höhere Lohnforderungen seien dabei keine gültigen Kriterien, ebenso wenig wie eine Beschäftigung in Teilzeit.
Es überrasche sie deshalb nicht, dass die Begründungen von Daimler zum konkreten Fall sehr vage blieben, so Lincoln. So trage das Unternehmen etwa vor, dass das mittlere Entgelt der männlichen Vergleichsgruppe deshalb generell höher sei, weil Frauen bei Daimler schneller aufstiegen und damit kürzer auf den einzelnen Leitungsebenen verbleiben würden. Allerdings könne Daimler nicht belegen, dass es eine besonders hohe Quote von Frauen auf Leitungspositionen gebe – und ebenso wenig, dass die männlichen Vergleichspersonen länger auf Führungspositionen beschäftigt seien als die Klägerin, die seit mehr als 15 Jahren Abteilungsleiterin sei.
Der GFF zufolge steht die bisherige Rechtssprechung des Stuttgarter Arbeitsgerichts nicht in Einklang mit der des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs. Beide hätten bereits dargelegt, dass der Arbeitgeber konkrete Gehaltsunterschiede bei Vergleichspersonen begründen müsse. „Wir streiten hier für die wichtige Klarstellung, dass Frauen sich beim Gehalt nicht mit Mittelmaß zufriedengeben müssen“, so Lincoln. Es brauche eine Klarstellung, dass Gehaltsunterschiede nur mit gerichtlich überprüfbaren Kriterien begründet werden können – auch auf Leitungsebene.
Was sagt Daimler Truck?
Die Daimler Truck AG erklärte auf Anfrage, das Unternehmen äußere sich nicht zu laufenden Verfahren. Generell aber gelte: Die individuelle Bezahlung für außertariflich Beschäftigte richte sich nach „objektiven Kriterien wie zum Beispiel der jeweiligen Ebene und der Aufgabenschwierigkeit“. Damit werde die „Angemessenheit der Vergütung im Marktvergleich“ dargestellt.
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