Epidemiologe über Corona-Dunkelziffer: „Wir müssen noch mehr testen“
Das Bremer Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie will mit mindestens 10.000 Tests die Dunkelziffer der Corona- Infizierten aufhellen.
taz: Herr Zeeb, was ist aus Ihrer Sicht von den offiziellen Zahlen der Corona-Infizierten zu halten?
Hajo Zeeb: Das sind die Ergebnisse der Tests, die bei Ärzten und bei den Teststellen ablaufen und dann gemeldet werden. Das sind Tests von Risikopersonen oder solchen, die Erkrankungszeichen haben.
Das heißt, es ist anzunehmen, dass es eine sehr hohe Dunkelziffer von Infizierten gibt?
Viele Menschen lassen sich ja auch testen, obwohl es eigentlich keinen echten Anlass gibt. Insofern ist die Dunkelziffer vielleicht doch nicht so dramatisch wie viele annehmen, sie ist aber bestimmt trotzdem hoch.
RückkehrerInnen aus Risikogebieten beispielsweise werden nicht in jedem Fall getestet – wie erklären Sie sich das?
Wir haben das Problem, dass sich die Risikogebiete nahezu täglich ändern und auch die Informationen dazu nicht alle zeitnah ankommen. Aber es stimmt, dass einige, denen man einen Test normalerweise angedeihen lassen würde, ohne Test ausgehen – und das ist etwas, was wir eigentlich hinbekommen müssen: Noch mehr testen und noch mehr Testkapazitäten bereitstellen, um einen Überblick darüber zu bekommen, wie es eigentlich in der Bevölkerung insgesamt aussieht.
Also flächendeckend und dann gezielt infizierte Menschen isolieren, statt potenziell Infizierte auch weiterhin in Supermärkte und zur Arbeit gehen zu lassen?
Die Testkapazitäten müssen gezielt erhöht werden, denn wir haben keine Möglichkeiten, jede einzelne Person zu testen, das kann das System nicht leisten. Aber Gruppen besser zu erkennen und damit zu erreichen, Möglichkeiten des Austauschs des Virus konkret zu vermindern, sollte das Ziel sein.
Wird zu wenig auf Tests und zu viel auf „Social Distancing“ gesetzt?
Es sollte auf beides gesetzt werden. Wenn ich weiß, dass ich jemanden infizieren könnte, sollte ich schon so klug sein, mich in Isolation zu begeben. Aber es braucht auch klare Vorgehensweisen und da muss der Kreis weiter gezogen werden als momentan. Aber ich denke, dass man dann, wenn die jetzigen Maßnahmen gelockert werden sollen, auch zu anderen Strategien kommen wird, mit denen man sagen kann: Da sind wirklich alle infiziert und dort niemand, also können wir an dieser Stelle die Maßnahmen auch lockern oder müssen weiterhin Kontakte extrem gering halten. So lassen sich Regelungen finden, wo und wie Menschen ihre Arbeit wieder aufnehmen können, ob die Schulen wieder öffnen können und so weiter.
Hajo Zeeb, 56, ist promovierter Mediziner und seit 2010 Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation am Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS). Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die evidenzbasierte Prävention und Evaluation chronischer Erkrankungen sowie die epidemiologische Forschung zur Gesundheit von Migranten.
Und deswegen wollen Sie nun herausfinden, wie hoch die tatsächliche Zahl der Corona-Infizierten in Bremen und anderen Regionen ist?
Genau, das ist jetzt eine der großen Fragen, die im Raum steht und zügig beantwortet werden muss, um wirklich noch etwas zu beeinflussen. Und genau da wollen wir nun ansetzen. Bei unserer geplanten Studie handelt sich um eine Initiative der Leibniz-Gemeinschaft, der wir als BIPS ja angehören. Wir treiben das voran, aber verschiedene Leibniz-Institute mit Schwerpunkt Gesundheitsforschung bis hin zum Institut für Weltwirtschaft in Kiel sind daran beteiligt.
Welche Personen wollen Sie testen und und wo kommen die her?
Das sind Menschen, die jetzt schon in großen Studien drin sind und die wir kennen. In Bremen sind das 10.000 Teilnehmer aus der Nako-Gesundheitsstudie, Personen wie Sie und ich, die also keine Besonderheiten gerade in Hinsicht auf das Corona-Virus aufweisen. Vielleicht, und darüber diskutieren wir momentan noch, werden wir auch noch weitere Personen aus deren Umfeld, also konkret deren Familie, die Testung anbieten, aber das sind noch ungefangene Fische.
Wie viele StudienteilnehmerInnen wären wünschenswert?
Es sind sicher zehn- bis 30.000 Menschen, die wir insgesamt brauchen. Die Nako-Gesundheitsstudie hat bundesweit 200.000 Teilnehmer, die sind alle schon einmal untersucht worden. Und den Zentren, mit denen wir momentan präferenziell diskutieren, stehen mindestens 30.000 Menschen zur Verfügung, die mitgemacht haben. Ich hoffe da auf eine sehr gute Resonanz, weil das ja wirklich alle betrifft und weil das auch bisher Personen waren, die sehr willens waren, der Gesellschaft ihre Daten zur Verfügung zu stellen. Es kann auch sein, dass wir noch weitere Zentren der Nako-Studie mit ins Boot nehmen, aber das entscheidet sich erst noch.
Aber erst einmal planen Sie nur für Bremen?
Wir vom BIPS planen für Bremen und machen ein Design, das an anderen Stellen ganz genauso eingesetzt werden kann. Wir würden dann vermutlich mit dem Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg oder anderen Zentren mit großen Laboren zusammenarbeiten, um die nötigen Tests durchführen zu können. Das heißt, wir benötigen Laborkapazitäten, die weit über das hinausgehen, was wir hier jetzt haben, aber das scheint machbar zu sein.
Inwiefern sind Ihre Corona-Tests spezifisch?
Wir würden einen Bluttest machen und keinen Virustest aus der Mundschleimhaut. Denn ein solcher Abstrich zeigt zwar ein positives Ergebnis an, wenn man mit dem Virus infiziert ist, aber er zeigt nicht an, wenn man bereits geheilt ist. Wir würden eine Testung machen, die Antikörper auf den Virus anzeigt. Das heißt, wir können damit sehen, ob jemand momentan infiziert ist, aber auch, ob jemand infiziert war und geheilt ist – und damit auch immun.
Wie sind Sie angesichts der jetzt schon begrenzten Testkapazitäten in der Lage, so viele Menschen zu testen?
Bei der großen Zahl, allein 10.000 Menschen in Bremen, wäre es nicht so, dass die Testungen an einem Tag gemacht würden, das geht nicht. Das Ganze wird nach und nach laufen und auch die Testkapazitäten werden nicht auf einen Schlag da sein. Auch, wenn das zeitlich eng getaktet sein sollte, werden wir natürlich eine gewisse Zeit brauchen.
Das bedeutet, mit Ergebnissen kann erst gerechnet werden, wenn wir das Gröbste bereits hinter uns haben?
Wir wissen zwar nicht, wann das sein wird, aber ja, wahrscheinlich. Denn die Behörden haben ja nun drastische Maßnahmen ergriffen und die scheinen auch zu greifen: Es gibt ja ein paar Hinweise darauf, dass die Infektionskurve langsam flacher wird. Die Dynamik wird aber trotzdem interessant bleiben und es wird wichtig sein zu sehen: Wie hat sich denn nun die Infektionsrate entwickelt? Wenn wir wissen, wie viel Prozent der Bevölkerung die Infektion durchlaufen hat, dann können wir etwas zur Immunität sagen. Und wenn die hoch genug ist, kann man sagen: Jetzt konzentrieren wir uns vordringlich auf die besonders gefährdeten Gruppen. Wir können im Rahmen der Nako-Studie Personen später auch weiter kontaktieren und somit sowohl körperliche als auch psychische Folgen über längere Zeit erfassen. Was aber darüber hinaus ganz wichtig ist: Wie immer beim Thema öffentliche Gesundheit müssen wir auch jetzt danach schauen, wer eigentlich am meisten leidet und betroffen ist: Obdachlose, Flüchtlinge, Personen, die zu den Informationen nicht so gute Zugänge haben – die soziale Ungleichheit ist auch in der Corona-Krise bedeutsam und bleibt eine Aufgabe, die man auf keinen Fall aus den Augen verlieren darf, auch nicht in der Forschung.
Wissen Sie, wann Sie mit der neuen Studie beginnen können?
Wir brauchen natürlich Geld und müssen Personal umschichten, aber über all das werden aktuell Gespräche geführt. Wir haben viel Unterstützung von Seiten der Leibniz-Gemeinschaft, die Studie liegt nun dem Robert-Koch-Institut vor, und wir vom BIPS geben alles dran, dass es recht bald losgeht. Wenn alles so klappt, wie wir uns das wünschen, könnten die Ergebnisse in zwei, drei Monaten vorliegen, aber genau sagen können wir das natürlich jetzt noch nicht.
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