Entscheidung zu strengeren Corona-Regeln: Merkel schlägt Freizeit-Lockdown vor
Ab 13 Uhr debattieren die Ministerpräsident*innen und die Kanzlerin über schärfere Coronamaßnahmen. Ein Positionspapier aus dem Kanzleramt liegt der taz vor.
Noch sind die Maßnahmen allerdings nur Vorschläge: Heute ab 13 Uhr schaltet sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) per Videokonferenz mit den Ministerpräsidenten zusammen, die über Maßnahmen in ihren jeweiligen Bundesländern entscheiden. Unterschiedliche Regeln in einzelnen Ländern sind, wie bisher, also weiterhin denkbar. Laut Robert-Koch-Institut meldeten die Gesundheitsämter am Mittwoch 14.964 neue Corona-Infektionen, das ist ein neuer Höchstwert.
Die Gesamtzahl der Fälle in Deutschland wurde auf der Webseite des RKIs zunächst nicht aktualisiert. Am Dienstag lag sie bei 449.275 Fällen. Die Zahl der Toten wurde auch nicht aktualisiert, sie lag am Dienstag bei 10.098 Fällen.
Zuletzt sprachen sich auch einige Bremser für schärfere Maßnahmen aus, etwa Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff (CDU). Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte allerdings noch am Dienstag der Thüringer Allgemeinen, vor der Veröffentlichung des aktuellen Papiers, einem Beschluss für einen neuen Lockdown werde er aus grundsätzlichen Erwägungen nicht zustimmen. „Wir reden hier von massiven Eingriffen in die Grundrechte“, sagte Ramelow.
Die Bundesregierung schlägt vor, dass die neuen Maßnahmen ab 4. November deutschlandweit in Kraft treten und bis Ende des Monats gelten. Nach Ablauf von zwei Wochen sollen Kanzlerin und Länderchefs die erreichten Ziele beurteilen und notwendige Anpassungen vornehmen. „Familien und Freunde sollen sich auch unter Coronabedingungen in der Weihnachtszeit treffen können. Dazu bedarf es jetzt erneut, wie schon im Frühjahr, einer gemeinsamen Anstrengung“, heißt es in dem Papier. Einige geplante Maßnahmen gleichen den Einschränkungen, die es bereits im Frühjahr während der ersten Corona-Welle gegeben hat.
Die geplanten Maßnahmen im Einzelnen
Öffentlichkeit, Feiern: Nur noch Angehörige des eigenen und eines weiteren Hausstandes sollen sich gemeinsam in der Öffentlichkeit aufhalten dürfen. Verstöße gegen diese Kontaktbeschränkungen sollen von den Ordnungsbehörden sanktioniert werden. Gruppen feiernder Menschen auf öffentlichen Plätzen, in Wohnungen sowie privaten Einrichtungen seien angesichts der ernsten Lage inakzeptabel.
Schulen und Kindergärten: Diese Einrichtungen sollen offen bleiben. Die Länder sollten aber weitere Schutzmaßnahmen einführen.
Einzelhandel: Einzelhandelsgeschäfte sollen unter Auflagen zur Hygiene, zur Steuerung des Zutritts und zur Vermeidung von Warteschlangen insgesamt geöffnet bleiben. Es müsse aber sichergestellt werden, dass sich in den Geschäften nicht mehr als ein Kunde pro 25 Quadratmeter aufhalte.
Unterhaltungsveranstaltungen: Theater, Opern oder Konzerthäuser sollen schließen. Dies gilt auch für Messen, Kinos, Freizeitparks, Spielhallen, Spielbanken und Wettannahmeeinrichtungen. Auch Bordelle und andere Prostitutionsstätten sollen geschlossen werden.
Sport: Freizeit- und Amateursportbetriebe sollen auf und in allen öffentlichen und privaten Sportanlagen geschlossen werden, ebenso Schwimm- und Spaßbäder sowie Fitnessstudios. Über Spiele der oberen Fußball-Ligen wird in dem Papier nichts Konkretes gesagt.
Gastronomie und Hotels: Bars, Clubs, Diskotheken, Kneipen und ähnliche Einrichtungen sollen geschlossen werden. Ausgenommen werden sollen die Lieferung und Abholung von Speisen für den Verzehr zu Hause. Touristische Übernachtungsangebote im Inland sollen untersagt werden. Angebote sollten nur noch für notwendige Zwecke gemacht werden. Die Bürger werden aufgefordert, generell auf private Reisen und auf Verwandtenbesuche zu verzichten.
Körperpflege: Kosmetikstudios, Massagepraxen oder Tattoostudios sollen schließen, medizinisch notwendige Behandlungen wie Physiotherapien aber möglich sein. Friseursalons bleiben – anders als im Frühjahr – aber unter den bestehenden Hygienevorgaben geöffnet.
Wirtschaft: Industrie, Handwerk und Mittelstand solle sicheres Arbeiten umfassend ermöglicht werden, heißt es im Entwurf. Die Arbeitgeber müssten ihre Mitarbeiter vor Infektionen schützen. Wo immer umsetzbar soll Heimarbeit ermöglicht werden.
Hilfe für Unternehmen: Der Bund will Hilfen verlängern und die Konditionen etwa für die Kultur- und Veranstaltungswirtschaft verbessern. Außerdem soll der Schnellkredit der staatseigenen KfW Bankengruppe für Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten geöffnet und angepasst werden.
Risikogruppen: Für Kranke, Pflegebedürftige, Senioren und Behinderte solle es zügig und prioritär Coronaschnelltests geben. Der besondere Schutz in diesem Bereich dürfe aber nicht zu einer vollständigen sozialen Isolation führen.
Kontrollen: Zur Einhaltung der Maßnahmen sollen flächendeckend die Kontrollen verstärkt werden. Zudem sollen Bund und Länder Bürgerinnen und Bürger verstärkt über die Coronamaßnahmen informieren „und durch möglichst einheitliche Maßnahmen die Übersichtlichkeit erhöhen“, heißt es in dem Papier.
Bisherige Reaktionen und Stimmen
FDP-Partei- und -Fraktionschef Christian Lindner twitterte, die Kanzlerin wolle „unter anderem die Gastronomie komplett stilllegen. Das hielte ich für unnötig und deshalb auch für verfassungswidrig.“ SPD-Chef Norbert Walter-Borjans signalisierte Zustimmung, der Präsident des Bundesverband mittelständische Wirtschaft Mario Ohoven warnte vor einem „Todesstoß“ für zehntausende Unternehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül