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Ende der scheinheiligen ZeitHilfe, es weihnachtete zu sehr

Für viele ist Weihnachten keine besinnliche Zeit, sondern das Hochamt für Heuchelei. Zum Glück kommt nun Silvester, das ehrlichere Fest.

Good bye Weihnachtsroutine: Zwischen den Feiertagen ist Platz für das eigene Tempo Foto: Florian Boillot

P uh, es ist geschafft! Weihnachten liegt hinter uns! Die Werbebranche inszenierte Harmonie, Instagram erzählte von Heimkehr, verspäteten Bahnen und Familienglück. Medien verrieten Strategien für Gespräche mit dem AfD-Onkel und Konter gegen die Frage, wann man die Eltern zu Großeltern macht. O du schöne, heile und verdammt stereotype Weihnachtszeit. Denn für viele ist dieses Fest in echt alles andere als besinnlich: ein stilles Trauerspiel.

Geschenke kaufen? Ein Alibiakt, bei dem man lächelnd Geld verbrennt, das im Januar fehlen wird. Oder, noch besser, die Zahl hinter dem Minus auf dem Konto weiter wachsen lässt. Familie? Eher Minenfeld als Rückzugsort. Besinnlichkeit? Eine wiederkehrende Marketinglüge, untermalt von „Last Christmas“ in Dauerschleife.

Während manche freudig in die „Heimat“ düsen, werden andere unfreiwillig an all das erinnert, was fehlt: Eltern, die nicht mehr leben; Verwandte, die man nicht aus ihrer Sucht retten kann; ein Ort, der sich nach Zuhause anfühlt, der Erinnerungen an eine unbeschwerte Kindheit und an lustige Anekdoten aus der Vergangenheit evoziert und nicht den Gedanken „Bin ich froh, dass ich hier weg bin“.

Hätte man wenigstens einen Ort vor Augen, wenn man an Heimat denkt. Oder Erinnerungen an eine Zeit, in der der Haussegen noch nicht schief hing. Doch was, wenn es den Haussegen im eigenen Leben noch nie gab? Das „Fest der Liebe“ lässt viele nicht nur einsam zurück, sondern beschert einem Narrative, die nicht stärker von der Realität vieler Menschen abweichen könnten.

Zwischen den Jahren fühlt sich alles freier, leichter an

Aber jetzt ist es ja geschafft, und die Geschäfte öffnen wieder. Fitnessstudios begrüßen Vorsatzwütige. Freunde kehren aus ihrer Weihnachtsblase zurück. Das Leben geht weiter – ohne Zimt, Lametta und Heuchelei.

Und dann ist ja auch gleich Silvester. Zum Glück! Ein ehrlicheres Fest mit Raum für Individualität. Zwischen den Feiertagen ist Platz für das eigene Tempo, ohne sentimentale Werbespots und Weihnachtsroutine. Man kann sich in die Massen stürzen, allein die Korken knallen lassen oder es ignorieren. Alles fühlt sich freier, leichter an. Und vor allem: wahrlich besinnlich. Vielleicht ist es genau das, was wir uns für das kommende Jahr (und für alle anderen Jahre auch) wünschen sollten: mehr Raum für das, was wirklich zählt – und echt ist.

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Klaudia Lagozinski
Nachrichtenchefin & CvD
Immer unterwegs. Schreibt meistens über Kultur, Reisen, Wirtschaft und Skandinavien. Meistens auf Deutsch, manchmal auf Englisch und Schwedisch. Seit 2020 bei der taz. Master in Kulturjournalismus, in Berlin und Uppsala studiert. IJP (2023) bei Dagens ETC in Stockholm.
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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Tiere hassen Sylvester und die idiotische Knallerei.

  • Ja ja, dieser sozialistisch-kommunistische Traum. Familie stressig und böse, Massen gut und befreiend.



    Garniert mit den richtigen buzzwörtern und trotzdem trifft es nicht. Es geht übrigens auch beides, Weihnachten und Silvester, wenn auch mit verschiedenen Leuten, oder beides verschlafen.

  • Weihnachten liegt mir mehr.



    1. Verschenke ich nichts Materielles



    2. Ich mag die Beleuchtung



    3. Ich mag die Stille



    4. Ich schaue keine Werbung

    Ich verachte Silvester.



    1. Es ist laut.



    2. Es stinkt.



    3. Alkohol.

    Mir ist Weihnachten die bessere Zeit. Auch der Hintergrund ist ein ehrlicher. Man könnte sich darauf besinnen, was Jesus mal sagte.



    Silvester verabschiedet das alte Jahr und feiert das Neue. Ich sehe nicht, was mit den Jahren sehr viel Besser werden sollte? Silvester ist heuchlerisch und naiv.

  • Es muss wohl wirklich schrecklich sein.



    Was für ein pseudointellektues Statement.



    Bei ihnen muss irgendwas im argen liegen wenn ihre Familie so schrecklich ist. Vielleicht liegt das dann auch an der Attitüde mit der man angeblich intellektuell unterbelichteten Verwandten begegnet .



    Übrigens fehlt in der klischeehaften Beschreibung noch der rechtsradikale Onkel.



    Gerade die, die ständig ganzjährig Solidarität und Rücksichtsnahme gegenüber jedem einfordern haben offensichtlich ein Problem mit der eigenen Familie.

  • Danke für die Worte. Es hätten auch meine sein können.

  • Danke!!

  • Es ist natürlich schade, wenn Menschen an Weihnachten scheitern.



    Es zeigt sich im Umgang damit auch ein Erwachsen werden. Niemand ist verpflichtet, an Weihnachten Geschenke zu verteilen, auch Absprachen für Kleinigkeiten bis 10€ , oder Ähnliches, sind möglich. Neben Kartoffelsalat mit Würstchen ist Raclett wohl das stressfreieste Weihnachtsessen, dass auch vegan möglich ist.



    An Weihnachten habe ich gemerkt, wie unterschiedlich die Menschen dieses Fest mittlerweile begehen. Da hat sich viel entwickelt, seitdem, in meiner Jugend, "Anti-Weihnachts Partys", gefeiert wurden.



    "Es kommt drauf an, was man/frau draus macht".



    Es ist tatsächlich die Gelegenheit, über die eigenen Beziehungen, auch zur Familie nachzudenken und evtl. die eigene Wahlfamilie zu treffen. Es ist ein Fest, dass zur Ruhe kommen lassen will und das ist eine besondere Qualität in dieser schnelllebigen Zeit.



    Ich ziehe ein positives Fazit und wünsche auch Anderen, dass sie auf ihre Weise Ruhe und zu sich finden.



    Sylvester ist für mich hingegen bedeutungslos.



    Hier wird Geld verpulvert. Zum Leiden der Tiere und der Umwelt, der "Schöne Schein" kostet ein paar Scheine extra. Schenken ist da eindeutig die schönere Tat.

  • Silvester bzw. Neujahr ist viel scheinheiliger als Weihnachten.

  • Weihnachten ist eben immer so, wie man es sich macht.



    Und wenn es einen unglücklich macht, dann stimmt auch im Rest des Jahres etwas nicht...

  • Endlich Silvester...das Fest der Überstunden für Rettunkskräfte, Polizei und Straßenräumdienst. Endlich wieder Böllern wie blöde, die Tierwelt in Panik versetzen und Geld (das ja so fehlt) sprichwörtlich verpulvern. Endlich Silvester. Das Fest des Selbstbetruges. Geheuchelte Vorsätze die in den meisten Fällen keine 48 Stunden überdauern. Endlich Silvester.

    Und in diesem Sinne einen guten (und hoffentlich gesunden) Rutsch in das neue Jahr.

  • Wo ist denn an Silvester irgendetwas echt?

    "Frohes neues Jahr" ist genauso geheuchelt.

    Die wenigsten Leute, so mein Eindruck, freuen sich ernsthaft auf die Zukunft oder das kommende Jahr.

    Silvester allein zu verbringen, ist ähnlich schwierig zu schaffen wie Heiligabend.

    Nur dass sich viele mit ihrem Knallen noch übergriffiger verhalten.