Einverleibung Westsaharas durch Marokko: Kurzsichtige Interessenpolitik
Selbstbestimmung der Völker – das zählt nicht mehr. Jetzt geht es um strategische Deals, woran aber nicht nur Donald Trump beteiligt ist.
F ahnenschwenkend feierten am Wochenende viele Marokkaner das vermeintliche Ende des Westsahara-Konflikts – und den diplomatischen Sieg gegen Erzfeind Algerien, das die Polisario-Rebellen in der umstrittenen Region seit bald 50 Jahren unterstützt. Mit überraschend klarer Mehrheit hat der UN-Sicherheitsrat am Freitag einem 2007 von Marokko vorgelegten Autonomieplan für das annektierte Gebiet zugestimmt.
Demnach soll die Westsahara ein autonomes Gebiet unter alleiniger Souveränität Marokkos werden. Algerien, die Polisario und das benachbarte Mauretanien seien zu einem regionalen Abkommen bereit, so Trumps Sondergesandter Steve Witkoff, der den Kalten Krieg zwischen Algerien und Marokko beenden soll.
Was wie der nächste Erfolg unorthodoxer US-Diplomatie aussieht, ist auch das Resultat der neuen interessengeleiteten Strategie Europas auf dem afrikanischen Kontinent. Frankreich, Spanien und zuletzt die britische Regierung haben die völkerrechtlich illegale Annexion der Westsahara mit einem spektakulären Kurswechsel bereits abgesegnet. Weil sie Marokko als strategischen und wirtschaftlichen Partner sehen, pfeifen sie auf das Selbstbestimmungsrecht der Sahrauis.
Rabat soll nun das Bollwerk gegen die Expansion islamistischer Gruppen im Sahel und gegen Migration von Westafrika nach Europa werden. Die Aufrüstung mit israelischen Drohnen und massiven Investitionen in diverse Freihandelszonen machen sich für Rabat nun bezahlt. Chinesische und europäische Autoproduzenten strömen ins Land. Zusammen mit der Westsahara verfügt Marokko über mehr als die Hälfte der weltweiten Phosphatvorkommen. Marokko ist ein guter Deal, folglich sieht auch Trump die Westsahara als Teil Marokkos.
Mit dem Versuch, den Dauerkonflikt in Nordafrika zu beenden, verfolgt Trump aber noch ein anderes Ziel: weitere arabische Länder von der Normalisierung der Beziehungen mit Israel zu überzeugen, so wie es Marokko bereits 2020 tat. So absurd diese Idee angesichts der Wut in der Region über israelische Kriegsverbrechen in Gaza sein mag – mit seiner Initiative hat Trump Bewegung in eine Region gebracht, die von der EU zuletzt sträflich vernachlässigt wurde.
Doch Brüssel muss sich für die Zivilgesellschaft in Nordafrika und dem Sahel und das internationale Recht einsetzen, auch aus eigenem Interesse. Denn Trump wird Algerien eine enge Sicherheitspartnerschaft anbieten, um die vermeintliche Niederlage zu akzeptieren. Die Straßenproteste der Generation Z in Marokko für mehr Bürgerrechte zeigen: Ausschließlich von Eigeninteresse geleitete Außenpolitik wie im Fall Westsahara ist kurzsichtig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert