Homophobie im Fußball: Schwul sein ist immer noch ein Tabu

Die Fußballszene ist gespalten. Die einen engagieren sich gegen Homophobie in den eigenen Reihen. Die anderen – wie Hertha – halten sich raus.

Vielfalt überall – nur nicht beim Fußball Foto: dpa

Nein, es hat sich in Berlin nicht viel geändert im Jahr zwei nach Hitzlsperger. Vor zwei Jahren hatte der Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger unter riesiger medialer Aufmerksamkeit sein Coming-out als Schwuler. Von nun an würde Homosexualität im Fußball selbstverständlich werden, hieß es, schwule Spieler würden sich in einer Kettenreaktion zum Schwulsein bekennen. Doch zwei Jahre nach dem Hype ist die Bilanz ernüchternd: Nichts von alldem ist eingetroffen. Schwule aktive Profi-Fußballer gibt es in Berlin offiziell nicht – genauso wenig wie im Rest der Welt – und offen schwule Amateurspieler auch kaum.

Torsten Siebert vom Projekt „Soccer Sound“ des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) sagt, er könne etwa eine Handvoll Berliner Amateurspieler aus Hetero-Clubs nennen, die öffentlich über ihre Homosexualität redeten – aber meist nur ein Mal. „Die hatten keine Ahnung, was danach auf sie einprasseln würde.“ Nicht unbedingt an Hetze, sondern vor allem an Hype: Welcher Mittelstürmer möchte schon sein Leben lang damit rumlaufen, der Schwule zu sein? Und macht die zwar wohlwollende, dennoch krampfhafte Suche nach „der nächsten Schwuchtel“ nicht alles nur noch schlimmer?

Für die Berliner Aktivisten gegen Homophobie im Fußball – deutschlandweit die einzige Szene, die so intensiv mit einem Fußball-Landesverband kooperiert – bleibt das ein Konflikt. Bei ihrem jährlichen runden Tisch vergangene Woche trafen sich die Engagierten, um die Frage der Fragen zu diskutieren: Wie viel soll man über etwas reden, was eigentlich selbstverständlich sein sollte?

Die fehlende Resonanz anderer Schwuler nach dem Fall Hitzlsperger hat vor allem eines bewiesen: Es fehlt nicht an Zustimmung, sondern an den Rahmenbedingungen.“Hitzlsperger war das Sensationelle, die große Nachricht im Profisport“, sagt Ex-Spielerin und Sportwissenschaftlerin Tanja Walther-Ahrens. „Das hat mit dem Breitensport nicht viel zu tun.“ Wer auf Amateurplätzen unterwegs ist, weiß, dass „Schwuchtel“ oder „schwule Sau“ wie eh und je zum Standardvokabular gehört. Vor allem in den unteren Ligen werden solche Beschimpfungen zudem selten geahndet, weil der Schiedsrichter oft froh ist, dass er eine Partie überhaupt durchziehen kann.

Deutschlandweit Vorreiter

Dabei ist Berlin noch fortschrittlich: Dass sich jemand wie BFV-Vizepräsident Gerd Liesegang an einen runden Tisch setzt, um über Homophobie im Fußball zu diskutieren, ist bei Weitem nicht selbstverständlich. Andernorts stoßen Schwulen- und Lesben-Verbände schon bei Gesprächsversuchen auf Widerstand: „Der sächsische Landesverband sagt uns, es gebe keine Homophobie auf sächsischen Sportplätzen“, sagt ein Mitarbeiter des LGBT-Projekts „Feiner Fußball“ aus Dresden beim runden Tisch. Dass sich der Berliner Verband seit einigen Jahren gegen Homophobie engagiert, ist ein lobenswerter Schritt, allerdings bei der starken Szene in der Stadt auch nicht gerade verwunderlich.

Auf Vereinsebene stößt man auch nicht überall auf offene Ohren: Während sich die üblichen Verdächtigen wie Union Berlin und TeBe regelmäßig positionieren, fehlte beim runden Tisch etwa der große Hertha BSC. Ein Jahr nach dem Hitzlsperger-Coming-out war Hertha unter den Vereinen, die sich weigerten, an einer ARD-Umfrage zum Thema Umgang mit Homosexualität in ihrem Verein teilzunehmen.

So bleibt viel zu tun – und das nicht nur im Männerbereich. Seltsam unterrepräsentiert ist in Sachen Homophobie oft das Thema Frauenfußball. Das Männlichkeitsimage des Fußballs bringt hier eine bizarre Wendung: Während Homosexualität in Männerteams häufig als Schwäche verpönt ist, wird von Fußball spielenden Frauen oft erwartet, lesbisch zu sein, schließlich müssen sie ja für diesen Männersport besonders hart drauf sein.

Wer einmal in einer Mädchenmannschaft gespielt hat, kennt die Sprüche, die einem Jungs mit auf den Weg geben: „Sind eigentlich alles nur Lesben bei euch in der Mannschaft?“ Manch eine Mutter hatte große Sorge, ihre fußballerisch begabte Tochter könne lesbisch sein, schließlich seien das ja fast alles Lesben auf dem Platz … Tatsächlich scheint – ohne dass jemand das je statistisch gemessen hätte – die Zahl der Lesben im Fußball überproportional hoch. Was zu einer Frage führt: Was macht das Image eines Sports mit der Zusammensetzung der Sportler?

Rückzieher von Türkiyemspor

Niemand hat je untersucht, was es für die Entscheidungen von Jugendlichen bedeutet, wenn Frauenfußballerinnen automatisch als Lesben gelten und männliche Spieler nicht schwul sein dürfen. Dass es einen Einfluss haben dürfte, ist offensichtlich. Selbst in Vorzeigevereinen bleibt das Thema Homophobie ein heißes Eisen, wie das Beispiel von Türkiyemspor zeigt.

Jahrelang hatte der Club mit dem Lesben- und Schwulenverband kooperiert, sogar demonstrativ deren Logo getragen. Dann trat Jörg Steinert, Geschäftsführer des LSVD Berlin-Brandenburg, im Herbst 2014 aus dem Türkiyemspor-Vorstand zurück und warf dem Club Homophobie vor. „Man merkt die homophoben Signale“, sagte damals ein Türkiyemspor-Spieler dem Tagesspiegel. Und: „Immer, wenn der LSVD ins Spiel kommt, wird sehr emotional und sehr abwehrend diskutiert.“

Einen „Rückschlag“ nennt das BFV-Vizepräsident Liesegang heute. Aber zumindest etwas habe man in den vergangenen Jahren geschafft: „Die Sensibilität für das Thema ist gestiegen.“ Um mehr zu erreichen, wird es noch eine Reihe von Aktionen brauchen. Und möglicherweise noch ein paar Hitzlspergers.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.