EU stoppt Plan für Pestizidreduktion: Agrarumweltschutz wird Kriegsopfer

Eine Verordnung für weniger Pestizide kommt erst mal nicht, so die EU-Kommission. Wegen des Ukrainekriegs gibt sie Ökoflächen für die Produktion frei.

Ein Landwirt fährt bei der Getreideernte mit seinem Mähdrescher über ein Haferfeld.

Hauptsache, er erntet viel: Ein Landwirt fährt mit seinem Mähdrescher über ein Haferfeld Foto: Christoph Schmidt/dpa

BERLIN taz | Die EU-Kommission will wegen des Ukrainekriegs bis auf Weiteres zentrale Umweltschutzprojekte in der Landwirtschaft stoppen, um die Ernte zu vergrößern. Entgegen früheren Planungen stellte die Behörde am Mittwoch nicht ihren Entwurf einer Verordnung vor, den Pestizideinsatz bis 2030 grundsätzlich zu halbieren. Sie nannte keinen neuen Termin. Sie kündigte aber an, dass die Mitgliedsländer in diesem Jahr den Bauern erlauben dürfen, auf für den Umweltschutz bestimmten Flächen zum Beispiel auch Weizen und Mais anzubauen. Bisher waren auf diesen 5 Prozent der Ackerfläche jedes Betriebs nur Brachen oder etwa Hülsenfrüchte erlaubt, wenn er Agrarsubventionen der EU bekommt.

Außerdem will die Kommission den Bauern 500 Millionen Euro extra zahlen, weil sie auch wegen des Krieges viel mehr für Energie, Futter und Dünger bezahlen müssen. Schweinehaltern wird die Kommission helfen, indem sie Fleisch aufkaufen und für 2 bis 5 Monate einlagern lässt. Das soll die Preise stützen, die lange unterhalb der Produktionskosten lagen.

„Die Weizenterminkontrakte haben sich seit der Invasion um 70 Prozent verteuert“, sagte Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission. Russland erzeugt dem Bundesagrarministerium zufolge 10 Prozent und die Ukraine 4 Prozent des Weizens weltweit. Der Anteil beider Länder an den globalen Ausfuhren beträgt zusammen rund 30 Prozent. Es werden massive Lieferausfälle befürchtet wegen der Kriegshandlungen in der Ukraine und der Sanktionen gegen Russland.

„Es gibt keine unmittelbare Gefahr für die Ernährungssicherheit in der EU, weil sie eine große Produzentin ist und eine Nettoexporteurin von Getreide“, teilte die Kommission mit. Aber die Versorgung etwa in Nordafrika und dem Nahen Osten sei bedroht.

Zwar versicherte eine Sprecherin der Kommission, der Verordnungsentwurf zur Pestizidreduktion werde später veröffentlicht. Dombrovskis ergänzte, die Kommission verfolge ihre „Green Deal“-Umweltstrategie und deren Landwirtschaftsumsetzung in der „Farm to Fork“-Strategie weiter. Die Landwirtschaft ist Studien zufolge ein wesentlicher Treiber des Artensterbens. Ein Grund dafür sind Pestizide.

60 Prozent des Getreides für den Trog

Doch Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, kritisierte, der Verordnungsentwurf könne in dieser Legislaturperiode bis 2024 nicht mehr beschlossen werden, wenn er erst Ende des Jahres vorliegt. „Deshalb ist diese Verschiebung eigentlich eine Beerdigung“, so Häusling. Die EU-Kommission werde wohl auch auf die für ab 2023 geplante Verpflichtung verzichten, dass Bauern 4 Prozent ihres Ackerlandes nicht für die Produktion, sondern die Natur nutzen, warnte der Parlamentarier. „Dabei sind diese Flächen enorm wichtig für die Biodiversität.“

„60 Prozent des Getreides geht in den Futtertrog“, sagte der Grüne. „Man möchte noch weiter die Futtertröge füllen und nicht Menschen versorgen, die jetzt wirklich in Not sind. Und das ist ein wenig zynisch.“ Der Schweinesektor brauche nicht als Erstes Hilfe, „weil die Tiere ja nicht verhungern werden“. Häusling bemängelte auch, dass die Kommission nicht die Agrosprit-Produktion aus Getreide infrage stelle. Die EU müsse weg „von der massenhaften Produktion von Fleisch“, so Häusling, „die Leute brauchen Brot.“ Die Umweltorganisation WWF forderte, auch mehr zu tun gegen die Verschwendung von Lebensmitteln.

Der Deutsche Bauernverband hatte die sich abzeichnende Freigabe der naturnahen Flächen begrüßt und sich gegen die Pläne zur Pestizidreduktion ausgesprochen.

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