EU plant mehr Schutz für Nutzer:innen: Digital ist noch zu unfair
Wer im Netz unterwegs ist, ist ständig Zielscheibe von Werbung und Manipulationen. Die EU-Kommission will das mit einem neuen Gesetz verbessern.

Es sind Muster, die praktisch alle, die im Internet unterwegs sind, zur Genüge kennen: Dark Patterns heißen sie, dunkle Muster. Denn sie sollen durch geschicktes Design die Nutzenden zu einer bestimmten Handlung bewegen, die im Sinne des Anbieters ist: das Apartment jetzt buchen, möglichst oft auf die Seite des Shopping-Portals surfen und bei den Cookies alles abnicken.
Eigentlich sind Dark Patterns bereits verboten. Der Digital Services Act (DSA) der EU legt fest, dass Betreiber von Webseiten die Nutzer:innen nicht täuschen oder manipulieren dürfen. Dass die Webseiten-Betreiber Dark Patterns dennoch häufig einsetzen, liegt laut den Verbraucherzentralen daran, dass bisher die Rechtsprechung fehlte: Die Gerichte müssten entscheiden, welche Praktiken als Dark Patterns einzustufen sind.
Die EU-Kommission jedenfalls hat Dark Patterns als eines der großen Probleme ausgemacht, unter denen Verbraucher:innen im Netz leiden – und will aktiv werden über den DSA hinaus. Die Logik dahinter ist ganz im Sinne der Tradition der EU. Zu deren Kernaufgaben gehört die Förderung des Binnenmarktes.
Wenn nun aber Unternehmen in der Breite Nutzer:innen manipulieren und so zu Entscheidungen bewegen, die mehr im Interesse der Firmen als der Verbraucher:innen sind, dann könnte das „zu einem Vertrauensverlust seitens der Verbraucherinnen und Verbraucher führen“. So heißt es in einer Arbeitsunterlage der EU-Kommission, mit der sie ein neues Verbraucherschutzgesetz anstößt: den Digital Fairness Act.
Digital Fairness Check
Es sind nicht nur Dark Patterns, die die Kommission in dem neuen Gesetz adressieren will. Um herauszufinden, wo Nachbesserungsbedarf ist, hatte sie im vergangenen Jahr den Digital Fairness Check gestartet. Dabei wurde untersucht, ob die drei wichtigsten europäischen Verbraucherrichtlinien auch Lösungen für die Probleme des digitalen Zeitalters bieten. Die Antwort: Nicht so richtig.
In einem „Mission Letter“, einer Art grober Aufgabenplan, den EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen an ihre neuen Kommissar:innen verschickt hat, skizziert sie das Vorhaben für den neuen Justiz-Kommissar Michael McGrath folgendermaßen: „Sie werden ein Gesetz zur digitalen Fairness entwickeln, um gegen unethische Techniken und Geschäftspraktiken im Zusammenhang mit Dark Patterns vorzugehen, gegen Marketing von Social-Media-Influencern, gegen die süchtig machende Gestaltung digitaler Produkte und Online-Profiling, insbesondere wenn die Schwächen der Verbraucher für kommerzielle Zwecke ausgenutzt werden.“ Auch wenn die Details noch unklar sind: Es soll schnell gehen. Noch für dieses Jahr ist die öffentliche Konsultation geplant, Ende des Jahres könnte dann der Gesetzentwurf stehen.
Widerstand aus der Wirtschaft
In der Wirtschaft wird das Vorhaben nicht gerade mit Begeisterung aufgenommen. So fordert etwa der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (bevh), von neuen Regeln abzusehen. Stattdessen solle die EU das geltende Recht konsequenter umsetzen – und zum Beispiel stärker gegen Verstöße von Händlern in Nicht-EU-Staaten vorgehen. Ähnlich sieht man das beim Digital-Verband Bitkom: Neue Regeln würden die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Plattformen beeinträchtigen.
„Die EU hat tatsächlich in der letzten Legislaturperiode einige Digital-Regulierungen gemacht – aber davor eben sehr lange nichts“, sagt Stefanie Grunert, Expertin für Handel und Recht beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Dass die EU-Kommission nun Nachbesserungsbedarf in Sachen Verbraucherrecht erkenne, sei erst einmal sehr gut. Nun komme es einerseits darauf an, dass auch die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes für alle Beteiligten Klarheit schaffe. Und andererseits darauf, nicht nur gegen die von der Kommission ins Spiel gebrachten Punkte wie manipulative Designs und Influencer-Marketing vorzugehen. Sondern weitere Bereiche in den Blick zu nehmen.
Dazu gehöre etwa, dass Online-Plattformen immer noch nicht ausreichend haftbar seien für die Produkte, die über sie verkauft werden. Und dass bei Bewertungen von Nutzer:innen längst nicht immer unterschieden werde zwischen Bewertungen von echten Kund:innen – und solchen, die ein Produkt kostenlos zugeschickt bekommen haben und es daher tendenziell wohlwollender bewerten.
Was ist mit dem Klimaschutz?
Noch weiter geht die NGO Campact. Sie fordert: digitale Fairness müsse auch den Klimaschutz berücksichtigen. „Die Digitalisierung als Ganzes schadet dem Klima momentan mehr als sie nutzt“, sagt der Aktivist und Kommunikationsberater Friedemann Ebelt. „Müllfluencing“ sei es, was im Internet heute Standard sei: „Unser Verhalten wird gelenkt in Richtung schnelles Kaufen und schnelles Konsumieren von Inhalten.“
Ebelt zufolge müsse die EU den Anbietern im ersten Schritt Transparenz verordnen. Was verbraucht eine Webseite, eine Plattform, eine KI und die dahinterstehende Infrastruktur an Strom? Und aus welchen Quellen kommt dieser? Dabei glaubt Ebelt gar nicht unbedingt, dass Nutzer:innen sich großartig daran orientieren würden. Aber eine entsprechende Transparenzpflicht würde Anbieter dazu verpflichten, genauer hinzuschauen – und darüber hinaus belastbare Zahlen zu liefern, die Aufschluss darüber geben könnten, wie weit die Digitalisierung eigentlich von ökologischer Fairness entfernt ist.
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