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Durchhalten in der PandemieIn Lagerhaft cool bleiben

Weniger Kontakte, unsichere Schnelltests, Omikron trotz Booster: Nun kommt es darauf an, die Nerven zu behalten. Das geht.

„Ich bin raus“: Mit Schutzmaske auf dem Sessellift Foto: Gian Ehrenzeller/dpa

Man kann natürlich einfach die Nachrichten nicht mehr einschalten. „Ich bin raus“, verkündete der Focus-Kolumnist Jan Fleischhauer klickwirksam, sagte sich vom Nachrichtenstrom zu Corona los und schwärmte von seinem Weihnachtsurlaub auf Lanzarote, wo man im Restaurant dicht be­ein­an­der saß und über das Wetter sprach, nicht über die Pandemie. Hm.

Wer in der Jugend Bücher über Survivaltraining in Grenzsituationen gelesen hat, der weiß allerdings, dass es eine Verschärfung einer Krise bedeuten kann, wenn man die Wirklichkeit ignoriert. Wenn man zum Beispiel doch rausgeht aus der eingeschneiten Hütte, obwohl draußen Lawinengefahr droht. Wenn man sich hängen lässt und keine Tagesstruktur hat, nur weil die Lagerhaft schon so lange dauert.

Auch die Pandemie dauert an und Omikron verändert jetzt noch mal vermeintliche Gewissheiten, das ist die Herausforderung. Freun­d:in­nen und Bekannte stecken sich mit dem Coronavirus an, obwohl sie doch geboostert waren, herrgottnochmal. Ein privates Treffen mit zehn jungen Leuten im Restaurant in Berlin, alle doppelt geimpft, die meisten auch geboostert, jeder mit einem negativen Selbsttest in der Tasche vom selben Tag – dieses Treffen endet mit acht Infektionen.

Eigentlich gilt es als vertrauenswürdiges Verfahren, sich am Morgen zu testen, bevor man sich mit Freun­d:in­nen oder Verwandten trifft. Doch wie zuverlässig sind die Selbsttests bei Omikron? Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat das Paul-Ehrlich-Institut dazu angehalten, umgehend eine Liste derjenigen Antigen-Tests zu erstellen, die auch die Omi­kron-Variante und damit eine positive Infektion sicher identifizieren. Das Bundesgesundheitsministerium ließ am Montag verkünden, dass nach bisheriger Erkenntnislage 80 Prozent der überprüften Antigen-Schnelltests die Omikron-Variante erkennen.

Besser testen als nicht testen

Zur ohnehin bestehenden Unsicherheit der Schnelltests, etwa, ob man die Probe in der Nase tief genug entnimmt, ob man zu früh testet bei einer Infektion, kommt jetzt also noch die weitere Unsicherheit hinzu, ob die Omikron-Variante vielleicht von dem Test übersehen wird. Umsichtige schauen sich ohnehin schon die lange Dezemberliste des Paul-Ehrlich-Instituts mit einigermaßen zuverlässigen, aber noch nicht durchgehend Omikron-erprobten Selbsttests an. Ah, der Genrui-Test von Lidl schneidet gut ab! Aber der Test von Bsway, über Amazon bestellt, der steht da gar nicht erst drauf.

Einen Selbsttest zu machen, bevor man jemanden trifft, ist immer noch besser, als keinen Test zu machen. Klar. Dasselbe gilt für die Impfung und das Boostern. Eine gerade erst von der britischen Gesundheitsbehörde UKHSA vorgestellte Analyse kommt zu dem Schluss, dass eine Booster-Impfung bei Menschen über 65 Jahren auch noch nach drei Monaten bei einer Omikron-Infektion zu 95 Prozent vor einer Einlieferung ins Krankenhaus schützt. Der Schutz vor einer Corona-Infektion mit milden Symptomen liegt zwar bei dieser Gruppe nur noch bei rund 30 Prozent, entscheidend aber ist, dass der Worst Case durch die Impfung meist vermieden wird.

Infektionsschutz wirkt, das gilt erwiesenermaßen auch für die FFP-2-Masken im Supermarkt und in der U-Bahn. Es besteht also kein Grund, die Nerven zu verlieren und etwa auf die Idee zu kommen, jetzt sei doch ohnehin alles wurscht, Boostern helfe nicht, Selbsttests trügen, Abstandhalten sei sinnlos, wir bekämen sowieso alle Omikron irgendwann mal, also bitte, auf zur nächsten Großparty, auf in den nächsten Urlaub. So ähnlich dachten viele auch schon zu Anfang der Covid-19-Pandemie vor zwei Jahren. Man verharmloste die Gefahr der Infektion, bis die Bilder aus Bergamo kamen.

Verantwortung für eigenes Handeln

Tatsache ist, dass für Immunsupprimierte, für Menschen mit Vorerkrankungen, besonders an der Lunge, Omikron weiter eine tödliche Gefahr darstellt. Für diese Betroffenen würde ein Nachlassen des allgemeinen Infektionsschutzes eine Art Hausarrest auf Dauer oder eben den Aufenthalt auf der Intensivstation mit ungewissem Ausgang bedeuten. Tatsache ist auch, dass es Hinweise gibt auf mögliche Organschädigungen durch Omikron, auch wenn verlässliche Studien dazu fehlen.

Es ist wie schon seit zwei Jahren in der Pandemie: Eine einfache Lösung zeichnet sich nicht ab, wer das verspricht, lügt. Es gibt nur die tägliche Verantwortung für das eigene Handeln, in allen Details. Die Verantwortung für das Aufziehen der Maske im Supermarkt, für den Selbsttest vor dem Besuch bei der vorerkrankten Freundin und natürlich für jede Impfung, die man kriegen kann. Die Verantwortung für den Kompromiss, vielleicht zum Geburtstag durchaus ein paar Freun­d:in­nen einzuladen, aber eben zum Lagerfeuer, mit Abstand, irgendwo in einem privaten Garten mit heißem Tee mit Rum, was übrigens auch bei 3 Grad plus funktioniert.

Man kann natürlich auch alles sausen lassen. Auf nach Lanzarote. Dort liegt die Inzidenz inzwischen bei 1.572.

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18 Kommentare

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  • "Sagen was ist." Barbara Dribbusch kann das mit ihrem Artikel. Und es ist nun mal so, dass diese Pandemie vor Augen führt,wie schnell Gewissheiten brökeln können:

    "Freun­d:in­nen und Bekannte stecken sich mit dem Coronavirus an, obwohl sie doch geboostert waren, herrgottnochmal."

    Aber alles sausen lassen? Irgend wohin fliehen?

    "Auf nach Lanzarote. Dort liegt die Inzidenz inzwischen bei 1.572."

    Obwohl ich es in der Pandemie leichter habe alls sehr viele andere, ich fühle mich auch oft sehr kümmerlich. Aber irgend ein Hahn oder ein Esel sagen dann: "Komm mit, etwas besseres als die Resignation werden wir überall finden." Und Lanzarote ist NICHT überall!

    Positive Triggerwarnung: Achtung, dieser Artikel wirkt gegen Resignation.

  • Ich bin da eher bei Fleischhauer. Es ist erst dann vorbei, wenn wir‘s alle hatten.

    • @luke5strings:

      Die Aussage ist in zweierlei Hinsicht falsch und problematisch.



      Zum einen muss mensch sich nicht unbedingt anstecken, wenn mensch geimpft ist - auch wenn dies bei der hohen Verbreitungsrate von Omikron wohl herausfordernd wird. Zum anderen hat die Realität gezeigt, dass mensch sich anstecken kann, nachdem mensch genesen ist. Insbesondere eine neue Variante und mit der Zeit nachlassende Immunisierung sind diesbezüglich ausschlaggebend.

      • @Uranus:

        *wenn mensch AKTUELL UND WIRKSAM geimpft ist

  • Besser als Frau Dribbusch kann man die aktuellen Unwägbarkeiten nicht verständlich machen. Dafür erstmal Danke! Von Lagerhaft sollte man/frau trotzdem nicht reden. Im Vergleich dazu ist unsere Situation immer noch easy going.

  • Zuallererst: Unsagliche & unangebrachte Überschrift. Lagerhaft weckt Assoziationen, die nicht mit den derzeitigen Einschränken zu vergleichen sind.

    Zurück zum Thema muss ich ehrlich sagen: Mir langt's. Nach 3 Impfungen, über 125 Tests (als "systemrelevant" verpflichtend) mit trotzdem einer Erkrankung nehme ich mich komplett raus.

    Ich kann und möchte nicht mehr Appelle an Vernunft und Rücksicht hören. Alle Reserven sind aufgebraucht. Ich werde nicht mehr über für die Vorteile einer Impfung im priv. Kreis werben, mich keiner Diskussion stellen und mich vom pol. Diskurs abwenden. Meine Partei -mittlerweile in Regierungsverantwortung- ist mir inzwischen Strunz.



    Es geht vielen Freunden & Bekannten ähnlich: Eine Zuwendung zum Privaten, Ende gesellschaftl. Engagements und der Unwille, weiterhin sich Regeln zu beugen, die Pandemieverantwortung privatisieren. War ich vor der Pandemie von dieser unseren Republik überzeugt, so bin ich mir unsicher, ob ich guten Gewissens überhaupt noch einmal wählen gehen möchte. Es gibt ein politisches "Weiter so" + keine Konsequenzen trotz einer ellenlangen Liste von Fehlern, es kotzt mich einfach alles an.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Tatsache ist auch, dass es Hinweise gibt…“ dass wir uns alle in Laberhaft befinden. Cool bleiben – und heißen Tee trinken.

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Ich möchte auch so gern die Nachrichten mit den Inzidenzen schwänzen. Aber nach Lanzarote? Dort plötzlich den Jan Fleischhauer treffen? Och nö.



      Mondschaf treffen in der Elektrischen Taz ist viel angenehmer. Humor stärkt doch immer wieder. "Laberhaft" - gut getroffen. Darauf einen Schwarzen Kaffee!

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @Moon:

        Danke für die elektrischen Blumen. „Dort plötzlich den Jan Fleischhauer treffen? Och nö.“ Zustimmung. Och mööh. Zynismus will gekonnt sein. Fleischhauer ist aber nur einer von vielen Möchtegern-Zyniker:innen unter den deutschen Kolumnist:innen, die doch nur spätpubertäre Ar*****mleuchter:innen sind. (Schlimmer als Lanzarote wäre Kreuzfahrtschiff.)

  • Omikron lässt sich nicht mehr einbremsen.



    Wir haben alle ein (unsichtbares) Date mit ihm im Kalender.

    Impfungen reduzieren das Risiko schwerer Verläufe.



    Und mit Einschränkungen gewinnen wir Zeit, weitere Impfungen durchzuführen.

    Alternative: Maßnahmen forever.

  • Also ich finde es immer schwerer Verständnis für Menschen aufzubringen, die sich einfach so abseilen und in den Urlaub fliegen, Partys besuchen, gesellig zusammenkommen und feucht fröhlich vor sich hin feiern. Als jemand der sich seit Beginn der Pandemie zurück gezogen hat und Zuhause bleibt ist es schwer zuzusehen, wie andere mit ihren Verhalten die Pandemie anheizen.

    Und dann sind da noch die wirklich schwer verträglichen Aussagen.



    Es seien ja 'eh nur alte Leute' die sterben, als seien diese Leben weniger wert. Das man sich ja nicht das Leben versauen solle wegen so einer Pandemie. Als würde das Leben der Menschen die ihres durch Corona verloren haben nicht zählen. Als würden die vielen Long COVID Verzweifelten nicht existieren.

    Die Berichterstattung negiert die Leiden der Opfer der Pandemie und es wird immer schwieriger damit umzugehen.

    • @curiouscat:

      Das wird beim Klimawandel genauso. nur noch schlimmer.

      Es sei denn, Omikron (oder was danach kommt) sorgt auch hierzulande für US-Verhältnisse, wo das Virus Trumps Wiederwahlchancen gründlich versaut.

      So oder so wird das Thema Long Covid die nächsten Jahre bis Jahrzehnte bestimmen. Das Fass geht 2 Generationen lang nicht wirklich zu, und wer die selbstverschuldet invaliden Virusfreunde durchfüttert, wird noch eine "spannende" Debatte. Man kann nur hoffen, dass es dabei die von Liberalos oft eingeforderte Ergebnisoffenheit geben wird.

      Denn "wie umgehen mit Ichlingen, die nicht nur sich sondern auch ihre Mitmenschen mutwillig gefährden und ihnen das Leben kaputtmachen?" ist die zivilisatorische Schlüsselfrage dieses Jahrhunderts.

  • Ich sehe die Maßnahmen ein, aber es fällt mir immer schwerer, wenn ich sehe wie abends tausende Querdenker und radikale Impfgegner durch die Straßen ziehen und sich an gar keine Regeln halten. Ihr Verhalten lässt die Wellen nur noch länger laufen und geht somit auf Kosten meiner Freiheit.



    Ich halte mich an die Regeln, verlange aber dass die, welche sich nicht daran halten, dafür auch zur Rechenschaft gezogen werden.

    • @Rudi Hamm:

      Tja. Wie umgehen als Demokrat*in mit denen, die sich aus der Demokratie verabschiedet haben und stattdessen die gefühlte Mehrheit der von Wahnideen getriebenen Krakeeler als alleiniges Maß des politischen Handelns machen wollen - eine Tyrannei der Sorte Leute, die geistig auf dem Level des Indiana House Bill #246 steckengeblieben sind?

      Da sind die Deutschen schon einmal krachend dran gescheitert. Die historische Erfahrung ist jedenfalls, dass Mitleid, Nachsicht und Gnade in dieser Situation die größten Fehler sind, die man machen kann.

      • @Ajuga:

        Entschuldigung, aber die Demonstrierenden haben sich nicht von der Demokratie verabschiedet. Ehrlich gesagt finde ich (inzwischen geboostert und mich an die Regeln haltend) gut, dass sich nicht alle duckmäuserisch unterordnen. Das zeugt von einer lebendigen Demokratie. Genauso hatte ich ein gutes Gefühl, als an Silvester doch welche Raketen steigen ließen.

      • @Ajuga:

        Das Demonstrationsrecht steht jedem Menschen mit noch so absurden Meinungen zu. Es ist keine Verabschiedung von der Demokratie nur weil die für oder gegen etwas demonstrieren, das nicht Ihrer Meinung entspricht. Soviel Demokratieverständnis muss schon sein.

  • Ja, bitte alles sausen lassen!!!!

  • Danke