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Drohmail-Affäre „NSU 2.0“Angeklagter weist Vorwürfe zurück

Der Beschuldigte Berliner bestreitet, 116 Drohschreiben verschickt zu haben – eine Darknetgruppe stecke dahinter. Die Indizien sprechen gegen ihn.

Seit Mittwoch steht Alexander M. vor Gericht Foto: Boris Roessler/dpa

Frankfurt am Main taz | Er gibt sich als Unschuldiger. Die Vorwürfe gegen ihn seien „unsäglich“, erklärt Alexander M. am Donnerstag vor dem Frankfurter Landgericht. Er werde hier als „nützlicher Idiot“ hingestellt, dem man aufgrund seiner Vorstrafen „alles in die Schuhe schiebt“. Dabei habe er kein einziges NSU 2.0-Schreiben verschickt, kenne keine der Bedrohten. „In keinem einzigen Fall habe ich eine Straftat begangen.“

Dabei sind die Vorwürfe und Indizien gegen Alexander M. massiv. Fast drei Jahre lang soll der 54-jährige Berliner als selbst ernannter „NSU 2.0“ 116 Drohschreiben an zumeist Engagierte gegen Rassismus verschickt haben, an die NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız, Linken-Chefin Janine Wissler oder die Kabarettistin Idil Baydar. Wüste, rassistische Beschimpfungen, mit expliziten Todesdrohungen, oft gespickt mit privaten Daten – die in den Fällen von Başay-Yıldız, Wissler und Baydar zuvor auf Polizeirevieren abgerufen wurden. Bis Alexander M. am 3. Mai 2021 in Berlin festgenommen wurde.

Er sagt, er habe „Polizeiinsiderwissen“

Seit Mittwoch steht der Erwerbslose nun vor Gericht, am zweiten Prozesstag zückt er einen Zettel mit einer Erklärung, setzt seine Lesebrille auf und legt aufgeregt berlinernd los. Nicht er, sondern eine Gruppe in einem Darknetforum, zu der auch Polizisten gehörten, habe die „NSU 2.0“-Schreiben koordiniert, behauptet er. Er selbst sei dort über einen Bekannten Mitte 2019 Mitglied geworden, ein Jahr später aber wieder ausgestiegen. Es sei um „rechte Politik“ gegangen, mit „lustigen“ Chats, der Umgangston sei aber „unter aller Sau“ gewesen. Başay-Yıldız sei bedroht worden, weil sie für Ärger in der hessischen Polizei gesorgt habe, sagt M. Dass ihre kleine Tochter bedroht wurde, sei „eine Sauerei“. „Ich wars jedenfalls nicht.“

Aber: Der Ärger für die hessische Polizei ging überhaupt erst nach den ersten Drohschreiben an Başay-Yıldız los. Und Alexander M. nennt weder den Namen des Forums, noch die von Mitgliedern. Das brächte ihm Nachteile, er bräuchte ein Zeugenschutzprogramm, sagt er im Gericht. Dass er laut Anklage über fingierte Anrufe an Polizeidaten kam, weist er als „hanebüchenen Unsinn“ zurück. Kein Polizist würde einfach so am Telefon Daten herausgeben. Und die Diktion der Schreiben spreche eher für „politisch frustrierte Polizeibeamte“. Aber M. raunt, er habe aus der Darknetgruppe „Polizeiinsiderwissen“, etwa über den Suizid eines hessischen Polizisten. Der Staatsanwalt kontert prompt: Der Fall habe auch in der Zeitung gestanden.

Nachfragen des Gerichts will er nicht beantworten

Wozu Alexander M. indes fast nichts sagt, sind die „NSU 2.0“-Drohschreiben oder Fragmente davon, die auf seinem Computer gefunden wurden. Oder die Zugriffsdaten auf ein Yandex-Emailpostfach, von dem fast alle Schreiben verschickt wurden. Da habe er sich mal was aus dem Darknetforum runtergeladen, sagt er nur. Und auch seine vielen Vorstrafen „sagen gar nichts“.

Nachfragen des Gerichts aber will Alexander M. nicht beantworten. Seine Verteidiger wollten das nicht, sagt er. Ob er denn seine teils noch verschlüsselte Rechnerfestplatte freigeben würde, fragt Richterin Corinna Distler. Alexander M. lehnt auch das ab. „Ich verspreche mir daraus keine Verbesserung meiner Verhandlungsposition.“ Als Antonia von der Behrens, die Anwältin von Başay-Yıldız, M.s Erklärung für leicht zu widerlegen erklärt, wird dieser aufbrausend. Immer wieder fällt er ihr ins Wort. „Die spinnt ja“, schimpft der 54-Jährige. „Mit Frauen wie Ihnen hab ich ein Problem.“ Die Richterin weist M. zurecht: „Mäßigen Sie sich bitte!“

Auch einige der Betroffenen gehen davon aus, dass Alexander M. tatsächlich im Darknet unterwegs war. „Aber die Drohschreiben hat er schon selbst verschickt“, ist von der Behrens überzeugt. Dafür lägen ausreichend Indizien vor. Nur wie M. an die Polizeidaten kam und ob er auch das allererste Drohfax an Başay-Yıldız verschickte, bleibe ungeklärt. Hier spreche viel für eine Kooperation von M. mit Beamten, vielleicht ja im Darknet, glaubt die Anwältin.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt hier tatsächlich weiterhin gegen zwei Beamte. Die Aussage von Alexander M. aber brachte dazu keine Aufhellung. Ein Urteil gegen ihn wird nicht vor Ende April erwartet.

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8 Kommentare

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  • taz-Zitat: “(...) Kein Polizist würde einfach so am Telefon Daten herausgeben. (...)“



    Auf einigen hessischen Polizeidienststelle soll es in der Vergangenheit zugegangen sein wie in öffentlichen Internetcafes; nicht selten wurden (privaten) Auskunftsersuchenden z. B. “POLAS-Daten“ (polizeiliches Auskunftssystem) von hessischen Revieren telefonisch übermittelt. Bspw. Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste und auch gesetzliche Betreuer bekamen fast immer die Informationen, welche sie von den Beamten telefonisch einforderten: “Hausverbot“, “Leistungserschleichung“ & “Aufenthaltsermittlung“ reichten dabei häufig den abfragenden Beamten als Legitimationsgrundlage aus. In Bremen hat die taz bereits vor Jahren nachgewiesen wie einfach der Informationsfluss von der Polizei zu den ÖPNV-Kontrollettis funktioniert, wenn es um “Schwarzfahren“ geht.



    taz.de/Luigi-Contr...Kontrolle/!764115/



    In Hessen machte vor einiger Zeit “110, die Telefonauskunft“ (FAZ, 9.5.21) der Polizei die Runde; hessische Polizeibeamte berichteten davon, dass sich manche Kollegen am Telefon um “Kopf & Kragen“ reden würden.



    ddrm.de/110-die-te...nft-fuer-neonazis/



    Wie der hessische Innenminister Peter Beuth gegenüber der Frankfurter Rundschau (7.5.21) erklärte sollen telefonische Auskünfte hessischer Polizeidienststellen auch weiterhin möglich sein.

  • Alles Digital

    Denkt an Pegasus u.a. Spyware

  • Man sollte hier wirklich unterscheiden.



    Klar klingt die Aussage wie das üblich feige-taktische Verhalten dieser Pseudo-Patrioten, "Widerstandskämpfer" aus dem Sumpf Deutschland ganz rechts unten.

    Andererseits ist die Aussage plausibel. Und wird vielleicht nur deshalb abgewertet, weil es halt die notorische Einzeltäterthese von Polizei, Staatsanwaltschaft und verantwortlicher Politik in Gefahr bringt.

    Ansonsten kann man dem Herrn ja nur sagen: Was hast Du gedacht unter welchen Freunden und Kameraden du bist? Na klar hängen die dich hin. So ist das halt in den Lameradschaften Deutschland ganz rechts unten.

  • Sorry, aber bevor man Aussagen in Zweifel zieht, sollte man sich mit deren Hintergrund befassen.



    Basay-Yildiz wurde sowohl Von Polizisten, Al's auch deren Gewerkschaften I'm Vorfeld schon angegriffen, Weil sie eine Der wenigen Personen Der hessischen Politik war, welche Immer und Immer wieder an Der Aufklarung Der extrem weitreichenden Verstrickungen Der Polizei und des NSU in Hessen festhielt.

    In diesem Hintergrund und Der jenseits Von Unglaubwürdigen Darstellung Der Staatsanwaltschaft es wäre über telefonate passiert, muss ich leider sagen, dass ich gespannt bin Wie stark die Staatsanwaltschaft die Beteiligung Der Polizei vertuscht.

    Der Herr scheint AfDler Der ersten Stunde zu sein, wahrlich keinnSympathieträger, Aber seine Darstellung ist nicht Von Logiklücken und Weigerung zu ermitteln gespickt, wie die Der Staatsanwaltschaft.



    Seine Darstellung macht I'm Umfang Der abgefragten Daten Sinn. Seine Darstellung macht insbesondere durch die Erkenntniss, dass auch nach Umzug und besonderer Einstufung wieder die Adresse erlangt wurde, deutlich Mehr Sinn Al's das Einzeltatermarchen Der Staatsanwaltschaft.

    Hier ist das Verhalten Der Staatsanwaltschaft jenseits Von Fragwürdig und Der unsympatische Herr durchaus Glaubwürdig.



    Ist das mit Telefonaten erfolgt, sollte die Staatsanwaltschaft doch die Verbindungsdaten auftreiben können? Oder sind die auch 120 Jahre geheim?

    Hier wird aus den rechtsextremen hessischen Innenbehôrden ein Einzeltäternarrativ gesponnen, das kennen wir doch schon.

    • @Beskar:

      "Ist das mit Telefonaten erfolgt, sollte die Staatsanwaltschaft doch die Verbindungsdaten auftreiben können?"

      Tja, jetzt wünscht man sich die Vorratsdatenspeicherung, was?

    • @Beskar:

      "Der extrem weitreichenden Verstrickungen Der Polizei und des NSU in Hessen festhielt."

      Hochinteressant. Mehrere sehr gründliche Untersuchungsausschüsse haben nichts entdeckt.

      Vielleicht war die Polizei die ständigen Unterstellungen leid? Insbesondere, da auch zwei junge Polizisten Opfer des NSU wurden.

      • @Wonneproppen:

        Hahahaha -bestenfalls und um mit ihnen freundlich zu sein Frau /Herr Wonneproppen: Hahaha.



        Netter Versuch.

        "Mehrere sehr gründliche Untersuchungsausschüsse" haben sehr wohl etwas "entdeckt" Und das nicht nur in Hessen.

        Zu "entdecken" gab es, dass sich Angestellte des Gemeinwesens (auch) auf Weisung leitender Angestellter des Gemeinwesens, gegenüber parlamentarischen Untersuchungsausschüssen verhielten, als seien sie der Staat, das Gemeinwesen. Und nicht Angestellte des Gemeinwesens.



        Also grundsätzlich davon ausgingen, sie seien unseren parlamentarischen Vertretungen gegenüber nicht Auskunftspflichtig. Auf eine Art strukturell verfestigt, die man als höchste Form des "Marsches durch die Institutionen" beschreiben muss.

        Ich habe per Wahl die demokratische Kontrolle von Verwaltung und Institution bestimmt. Ihre Vertreter sind Parlamentarier.



        Subalterne Strukturen, Dienstleister des Rechtsstaates, haben sich gegenüber den von mir gewählten Vertretern nicht zu Verhalten, als kontrollierten sie die Parlamente.

        Also ja Frau /Herr Wonneproppen.



        Es gab "Untersuchungsausschüsse"

        Sie haben "entdeckt" was zu tun ist. Aber nicht getan wird.

        Ansonsten können Sie ja weiter ganz entspannt sein. Hisst eine südhessische Polizeistation zwar weisungsgebunden die Bundesflagge zum Shoah-Gedenktag auf Halbmast...



        ...aber halt auf dem Kopf. Wie man das halt so macht. Im patriotischen Widerstand.

        • @Martinxyz:

          Da... kam wieder nichts als Unterstellungen und Generalverdacht. Das es oft gute Gründe für Geheimhaltung gibt, sehen sie hoffentlich ein? Identitäten und Vorgehen von verdeckten Ermittlern in der rechten Szene zum Beispiel. Weil die sonst getötet werden.

          Also, was genau haben die Ausschüsse denn jetzt endeckt?