Vor Prozessstart zu NSU 2.0-Drohserie: Doch Polizisten beteiligt?

Am Mittwoch beginnt der Prozess zur „NSU 2.0“-Drohserie. Nun wird bekannt: Die Polizeiabfragen zu Anwältin Başay-Yıldız waren weit umfangreicher.

Die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz auf einer Podiumsdiskussion.

Sie sieht die Polizei im Fall der NSU 2.0-Drohserie nicht entlastet: Anwältin Seda Başay-Yıldız Foto: Janine Schmitz, imago

BERLIN taz | Fast drei Jahre lang erreichten die „NSU 2.0“-Drohschreiben Anwält:innen, Po­li­ti­ke­r:in­nen oder Jour­na­lis­t:in­nen mit wüsten, rassistischen Beschimpfungen. Am Mittwoch nun beginnt der Prozess gegen einen 54-jährigen Berliner, welcher der Verfasser sein soll: Alexander Horst M.

Laut Anklage verschickte er insgesamt 116 „NSU 2.0“-Schreiben an dutzende Betroffene. Das erste ging am 2. August 2018 an die Frankfurter NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız, inklusive privater Daten. Auffällig in ihrem Fall: Nur kurz zuvor gab es zu genau diesen Daten eine Abfrage im 1. Polizeirevier in Frankfurt/Main. Gleiches geschah später auf anderen Polizeiwachen bei Drohschreiben gegen die Linkenchefin Janine Wissler und die Kabarettistin Idil Baydar.

Die Anklage gegen Alexander M. aber glaubt nicht, dass Po­li­zis­t:in­nen wissentlich an der Drohserie beteiligt waren. Vielmehr habe der 54-Jährige die Beamten mit Anrufen, in denen er sich als Behördenvertreter ausgab, ausgetrickst und so die Daten erlangt. Doch Başay-Yıldız, die als Nebenklägerin am Prozess teilnehmen wird, und mehrere andere Betroffene haben daran weiterhin große Zweifel. Die These sei eine bloße „Behauptung“ der Ermittler, sagte Başay-Yıldız der taz. „Und die ist in meinem Fall auch noch ziemlich realitätsfern.“

Polizeiabfrage zu Başay-Yıldız erfolgt gleich 17 Mal

Tatsächlich lässt zumindest das erste Drohschreiben an Başay-Yıldız Zweifel an der Einzeltäterthese aufkommen. Denn nach taz-Informationen war die Polizeiabfrage am 2. August 2018 deutlich akribischer als bisher bekannt: Sie erfolgte über sechs Minuten lang in gleich mehreren Datenbanken und mit einer Vielzahl an Abfragen zu Başay-Yıldız – nach ihrer Adresse, den dort gemeldeten Personen oder dem Auftauchen der 46-Jährigen als Beschuldigte oder Geschädigte von Straftaten.

Başay-Yıldız selbst bestätigte den Vorgang der taz und spricht von insgesamt 17 Abfragen zu ihrer Person in drei Polizeidatenbanken an diesem Tag. Für sie ist das ein Hinweis, dass zumindest an dem ersten Drohfax an sie doch auch Polizisten mitwirkten. „Eine solch detaillierte Abfrage ist auf telefonischen Zuruf sowohl faktisch als auch zeitlich ausgeschlossen“, glaubt Başay-Yıldız. „Das wirkt vielmehr, als hätten die Beamten all ihre Daten durchsucht, um gezielt etwas über mich herauszufinden.“

Für Başay-Yıldız bleibt zudem unerklärlich, wie der Drohschreiber später auch an ihre neue, geheimgehaltene Adresse kam. Zudem habe auch nach der Festnahme von Alexander M. keiner der befragten Frankfurter Polizeibeamten von fingierten Anrufen berichtet. Nach taz-Informationen beteuerten die Po­li­zis­t:in­nen allesamt nur, sich nicht mehr an den damaligen Tagesablauf erinnern zu können. Başay-Yıldız erinnert zudem daran, dass einige Beamte des Reviers nachweislich in einer rechtsextremen Chatgruppe waren.

Staatsanwaltschaft ermittelt noch gegen zwei Beamte

Tatsächlich hat auch die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main den Verdacht gegen die Frankfurter Polizeibeamten nicht gänzlich aufgegeben. Eine Sprecherin bestätigte der taz, dass weiterhin gegen zwei Beamte wegen der Datenabrufe zu Başay-Yıldız und des Vorwurf des Geheimnisverrats ermittelt wird. Gegen eine Polizistin, an deren Dienstrechner die Abfrage zu Başay-Yıldız erfolgte. Und gegen einen Beamten, der im Revier mit rechten Chats auffiel. Bislang hätten die Ermittlungen aber keinen hinreichenden Tatverdacht ergeben, so die Sprecherin. Man wolle aber noch abwarten, ob der Prozess gegen Alexander M. neue Erkenntnisse bringe.

In einer am Montag veröffentlichten Erklärung nannten es auch die Linken-Politikerinnen Janine Wissler, Martina Renner, Baydar sowie die taz-Autorin Hengameh Yaghoobifarah, die allesamt ebenfalls Drohschreiben erhielten, einen „Skandal“, dass sich die Ermittlungen bisher auf einen Einzeltäter konzentrierten. „Der NSU 2.0-Komplex ist mit der Festnahme des Angeklagten nicht aufgeklärt“, erklärten die Betroffenen.

Vielmehr gebe es Hinweise auf eine „mindestens gezielte Datenweitergabe aus Polizeikreisen“. Erst durch die Verwendung der privaten Daten in den Schreiben habe die Drohserie eine „besondere Brisanz“ bekommen. Es müsse daher weiter „nachdrücklich“ auch zu den Abrufen der Polizeidaten ermittelt werden.

Wurden Daten im Darknet ausgetauscht?

Başay-Yıldız will im nun beginnenden Prozess gegen Alexander M. darauf drängen, dass die Frage, ob und wie die Polizisten an den Drohungen beteiligt waren, dort aufgeklärt wird. So müsse geprüft werden, ob es etwa im Darknet Verbindungen von M. zu Polizeikräften gab. Auch sei offen, ob Verbindungen zu anderen Drohserien existierten und wie gefährlich der Angeklagte wirklich war. Bei seiner Festnahme waren auch eine Schusswaffe und zwei Würgehölzer gefunden worden.

Alexander M. war – nach langen, zunächst erfolglosen Ermittlungen – im Mai 2021 verhaftet worden. Fahnder hatten Kommentare eines Nutzers auf dem rechtsextremen Internetportal „PI News“ gefunden, die dem Duktus der „NSU 2.0“-Drohschreiben ähnelten. Unter gleichem Namen fand sich auch ein Account auf einem Schachportal – über dessen Bestandsdaten Alexander M. identifiziert werden konnte. Der vielfach Vorbestrafte sitzt seitdem in U-Haft und bestreitet nach taz-Informationen die Vorwürfe. Der Prozess gegen ihn ist vorerst bis Ende April terminiert.

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