Dritter Jahrestag des Halle-Anschlags: Gedenken im Marathontrubel
Vor drei Jahren griff ein Attentäter die Synagoge in Halle an. Initiativen kritisieren, dass das Gedenken parallel zu einem Marathon stattfindet.
An das Attentat soll am Sonntag an der Synagoge gedacht werden, Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) reist an. Gleichzeitig soll um 12.03 Uhr stadtweit innegehalten werden: Der Verkehrsverbund Havag will seine Fahrzeuge stoppen, Kirchenglocken sollen läuten, eine Andacht in der Marktkirche wird folgen.
Ob es aber wirklich still wird, ist fraglich. Denn gleichzeitig wird in der Stadt der Mitteldeutsche Marathon stattfinden – was mehrere zivilgesellschaftliche Initiativen, der Evangelische Kirchenkreis, die Freiwilligenagentur und die Mobile Opferberatung deutlich kritisieren.
„Gedenken, Anteilnahme, Innehalten und Solidarität zur gleichen Zeit und ein großes, lautes Sportereignis in der Mitte der Stadt passen nicht zusammen“, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung. Umso mehr, da der Marathon auch über den Marktplatz führen werde, wo in den vergangenen Jahren tausende Menschen Blumen und Kerzen im Gedenken an Anschlag ablegten.
Stadt und jüdische Gemeinde weisen Kritik zurück
Dass kein anderes Datum für den Marathon gefunden werden konnte, sei „kaum nachvollziehbar“, kritisieren die Initiativen. Dabei habe man sich seit dem Frühjahr über den Gedenktag ausgetauscht. In der letzten Sitzung habe die Stadt „überraschend“ den Marathonplan bekanntgegeben. Nun sei ein Verzicht auf Musik und einer Kommentierung des Marathons im Gedenkzeitraum zwischen 12 und 13 Uhr „ein erwartbares Minimum“.
Die Stadt verteidigt sich. Der Marathon sei seit Monaten bekannt, erklärt diese auf taz-Anfrage. Mit den jüdischen Gemeinde habe man vereinbart, dass das Gedenken diesmal vor allem an der Synagoge stattfinden werde. Auch an anderen Orten werde es Möglichkeiten geben, an dem Tag „angemessen zu gedenken“.
Zudem hätten die Marathonveranstalter versprochen, ihre Lautstärke während der Gedenkminute und der Andacht in der Marktkirche „stark“ zu drosseln und den Marktplatz bis zum späten Nachmittag zu räumen. Dann sei am Abend auch dort ein „individuelles Gedenken und Erinnern“ möglich.
Max Privorozki, Vorsteher der jüdischen Gemeinde, springt der Stadt bei. Er habe mit dem Marathon „überhaupt kein Problem“ und verstehe die Aufregung nicht, sagte er der taz. „Das Leben geht doch weiter. Menschen treiben Sport, heiraten, bekommen Kinder, gehen ins Kino, feiern Geburtstage – auch an Gedenktagen.“ Auch die jüdische Gemeinde werde am Sonntagabend den Beginn des Laubhüttenfestes feiern.
Der Kiezdöner ist geschlossen – noch?
Privorozki appellierte, den Jahrestag „nicht zu politisieren“. Es gebe genügend Gelegenheiten, außerhalb dieses Tages Kritik zu üben oder sich mit der menschenfeindlichen Ideologie des Täters auseinanderzusetzen. Der Sonntag aber müsse „wirklich ein Tag des Gedenkens an die Mordopfer und die Schwerverletzten bleiben“, forderte Privorozki. An diesem Tag wolle man an diese erinnern und beten.
Die Initiativen, die ebenfalls in Kontakt mit Anschlagsbetroffenen stehen, sehen aber ein grundsätzliches Problem: Der Umgang mit dem Gedenken sei „ein Zeichen dafür, dass sich die Tragweite des Anschlags immer noch nicht ausreichend im städtischen Gedächtnis manifestiert hat“, kritisieren sie. Das Bündnis Halle gegen Rechts fordert künftig „ein offenes Angebot an alle Angehörigen, Überlebenden und Betroffenen des Anschlags, die Gestaltung des Jahrestags mitzubestimmen, anders als in diesem Jahr“.
Empfohlener externer Inhalt
Außer an der Synagoge wollen sich am Sonntagnachmittag Betroffene des Anschlags auch zu einer Kundgebung vor dem Tekiez, dem früheren Kiezdöner, treffen. Angekündigt sind auch Betroffene weiterer rechtsextremer Anschläge in Deutschland. Man stehe „in Solidarität und Verbundenheit mit allen Betroffenen rechter Gewalt“, heißt es in einem Aufruf.
Das Tekiez, das als Frühstückscafé neu eröffnete, musste im Mai schließen. Nach dem Anschlag blieben Gäste aus, die Corona-Pandemie wurde zur zusätzlichen Belastung. Das Lokal besteht aber als Veranstaltungsraum fort und hofft derzeit auf eine staatliche Förderung als Gedenk- und Erinnerungsort.
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