Dokumentarfilm „Alles, was man braucht“: Wo der Laden im Dorf bleibt
Antje Hubert hat sich auf die Suche nach Dorfläden in Norddeutschland gemacht und erzählt angenehm ruhig von den Menschen, die sie betreiben.
Den letzten „Konsum“ in der Uckermark fand Antje Hubert in dem winzigen Dorf Wallmow: Überleben konnte der kleine Laden, weil nebenan eine Schule steht, und Schüler*innen Brötchen und Kuchen kaufen. Ramona Fester hatte dort schon zu DDR-Zeiten als Verkaufsstellenleiterin gearbeitet, und als 1990 sämtliche Konsumläden pleite gingen, übernahm sie ihn in Eigenregie.
Ramona Fester saß immer noch hinter der Kasse, als Antje Hubert sie 2018 besuchte: Zwei Jahre lang reiste die Filmemacherin durch Norddeutschland, um solche „Inseln“ zu finden. So nennt sie selber diese kleinen, von Individualist*innen wie Fester betriebenen Dorfläden, von denen es nur noch wenige gibt – Netto, Aldi oder Edeka versprechen mehr Auswahl, und billiger ist dort auch alles.
Moment: Einiges sei bei ihr schon günstiger, sagt Berit Thomsen aus Delve in Dithmarschen. Sie muss dann aber doch vorrechnen, dass die Ladenketten bei den Großmärkten viel bessere Preise bekämen als kleine unabhängige Läden wie ihr eigener.
Und doch ist das Lebensmittelgeschäft, das sie zusammen mit ihrem Ehemann Knut betreibt, ein Erfolgsmodell: Als vor einigen Jahren der letzte Laden im Ort geschlossen hatte, wollten sich die Einwohner*innen damit nicht abfinden. Sie gründeten eine Genossenschaft, bauten eine alte Dorfschule um, und richteten den Laden dann so ein, dass er zum zentralen Treffpunkt von Delve wurde. Am großen Tisch im Foyer sitzen nun fast immer ein paar Kund*innen mit einer Tasse Kaffee in der Hand.
Als das wegen Corona nicht möglich war, zogen die Thomsens mit einem Holzwägelchen durch das Dorf, darauf Kuchen und Sahne für die älteren Stammkund*innen. Nun mag diese Aktion allerdings auch ein wenig für die Kamera inszeniert worden sein: Dabei entstanden sind idyllische, hoffnungsvolle Bilder für Antje Huberts letzte Einstellungen.
Die Filmemacher*in macht gar keinen Hehl daraus, dass – und wie sehr – sie dem Thema verbunden ist. Wenn sie etwa das Dorf Müden in der Lüneburger Heide besucht, sagt sie: „Hier bin ich aufgewachsen“, und erzählt dann, an wie vielen Läden sie einst auf dem Schulweg vorbeigekommen ist.
Dazu sind Fotos aus Familienalben zu sehen, auf denen sich etwa bei der Eröffnung des ersten Supermarkts im Ort die Kund*innen durch die Verkaufsgänge drängen. Zu diesem Bild gibt es auch ein geschickt arrangiertes Gegenstück: In Müden wurde ein Laden wiedereröffnet – in dem selben Gebäude. Bei der Einweihung war Hubert natürlich dabei und machte ihre Aufnahme ziemlich genau von dort aus, wo einst das Supermarktfoto geschossen worden war.
Auch in Müden waren es Dorfbewohner*innen, die zur Rettung der Nahversorgung aktiv wurden. Sie bekamen Fördermittel, rund 500 Menschen investierten aber auch eigenes Geld. Den Laden leitet nun Thomas Dietz, der nach einer internationalen Karriere als Koch mit 55 Jahren eigenverantwortlich arbeiten – und den Menschen in der Heide gleich noch gute Nahrungsmittel schmackhaft machen will. Vor der Kamera zeigt er die Vorzüge der Spaghetti in seinem Sortiment: Sie halten die Soße besser als die billigen von anderswo. Später bekocht er das Filmteam dann auch noch mit Chili con Carne.
Dabei schaut die Kamera in den Kochtopf: Antje Hubert hat verstanden – oder im Laufe ihrer langen Reise gelernt –, dass die Menschen, die diese Dorfläden aufgebaut haben und sie nun leiten, die wahren Entdeckungen sind. Hinter jedem Geschäft steht jemand, der oder die sich mit Leidenschaft dafür einsetzt, dass die Menschen dort, wo sie leben, auch einkaufen können: Andreas Borchers etwa versorgt die Bewohner*innen der Halligen in Nordfriesland mit seinem Lieferdienst mit Lebensmitteln. Oder Ralf Tiessen, der Bürgermeister von Christiansholm im Kreis Rendsburg-Eckernförde: Der ließ an der Dorfstraße ein Holzbüdchen mit einem Automaten bauen, an dem sich nun „mal Kirschmarmelade und mal Himbeermarmelade“ ziehen lässt, wie er selber stolz erklärt.
„Alles, was man braucht“. R: Antje Hubert, Deutschland 2012, 98 Minuten. Der Film kommt am 28. April in die Kinos. Infos: www.alleswasmb.de
Die Filmreise hat einen angenehm ruhigen Fluss. Das liegt auch an dem organischen Sounddesign von Simon Bastian sowie der dezent swingenden Filmmusik von Roland Musolff.
Bei den Fahrten durch das Land verwandeln sich die Bilder manchmal in animierte Sequenzen, in denen der Filmemacher Rainer Ludwigs die Landschaften ins Poetisch-Surreale kippen lässt. Da fliegt dann ein Wal über das Meer zwischen den Halligen, oder Windkraftanlagen schweben über den norddeutschen Feldern.
Wie bei jedem guten Reisefilm ist die Fahrt wichtiger als das Ankommen, und so lässt sich Huber nur zu gerne durch Stimmungen und Begegnungen ablenken von ihrem eigentlichen Thema. An der Dorfstraße in Christiansholm ist dann auch Zeit für einen kleinem Plausch mit einer 95-Jährigen, die sich auf einer Holzbank ausruht – und den Satz sagt: „Und mit dem Rollator, das is ’ne schöne Erfindung.“
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