Diskussion um Interview mit Neonazi: „Ich traue meinen Hörer*innen“
Der Sender NPR hat ein Interview mit einem Neonazi gesendet und dafür viel Kritik geerntet. NPR-Journalistin Gladstone verteidigt die Entscheidung.
taz: Frau Gladstone, das öffentlich-rechtliche Radio NPR steht in der Kritik, weil ein Neonazi on air seine Rassentheorien ausbreiten durfte. Es geht um die Sendung Ihrer Kollegin Noel King mit „Unite the Right“-Initiator Jason Kessler vergangene Woche. „NPR zeigt, wie man Neonazis pflegt und füttert“, kommentierte etwa die „Washington Post“. Sie berichten seit vielen Jahren über Journalismus. Teilen Sie diese Kritik?
Brooke Gladstone: Ich halte nichts von der Vorstellung, dass diese Leute nicht gehört werden sollten. Denn es gibt sie ja, und was sie tun, hat Auswirkungen. Ich habe allerdings sehr wohl eine Meinung dazu, auf welche Weise man mit ihnen auf Sendung verfahren sollte. Neulich erst hat ein Kollege mit dem Anwalt des Verschwörungstheoretikers Alex Jones gesprochen, der auch den Herausgeber des Neonazi-Mediums Daily Stormer vertritt. Unsere Aufgabe ist, uns zu Stellvertreter*innen unseres Publikums zu machen. Und wer ist dieses Publikum? Sicherlich keine Neonazis, aber Menschen, die wegen dieses Problems besorgt sind.
Schön und gut, aber geht es nicht zu weit, wenn jemand im öffentlich-rechtlichen Radio sagen darf, dass diese oder jene „Rassen“ intelligenter seien als andere, so wie im Interview vom Freitag?
Wenn man sich sein Publikum als ein Haufen treudoofer Schafe vorstellt, dann mögen Sie recht haben. Ich traue meinen Hörer*innen ein bisschen mehr zu. Und sie haben ein Recht zu erfahren, was Neonazis denken. Wie gesagt, sie brauchen jemand als Stellvertreterin, die an ihrer statt dagegenhält, so gut sie es eben kann. Wir haben natürlich nicht regelmäßig Neonazis in der Sendung – ich kann die Fälle an einer Hand abzählen. Aber wenn wir sie einladen, achten wir darauf, dass es nicht einfach ein Forum für sie ist, sondern eine Chance für uns, ihnen zu widersprechen. Wir haben übrigens im Frühjahr genau das in meiner Sendung thematisiert: Wie sollen Journalist*innen mit den „White Supremacists“ umgehen?
Gladstone ist eine der bekanntesten Radiostimmen der USA. Sie ist Medienjournalistin und Buchautorin. Seit 2000 moderiert sie die Sendung „On the media“ bei WNYC, dem New Yorker Ableger von National Public Radio.
Und was ist Ihre Antwort?
Die Neonazis sehen natürlich jedes Interview als Möglichkeit zur Rekrutierung, das sollte jeder Journalist*in klar sein. Sie sind meisterhaft darin, Medien zu manipulieren. Sie verlassen sich darauf, dass Journalist*innen sie nicht verstehen und sie nicht verstehen wollen – dass sie einfach nur über sie richten, ohne sie zu kennen. Solche Journalist*innen sind leichte Beute. Es birgt also ein Risiko – aber ein größeres Risiko wäre, so zu tun, als gäbe es sie nicht.
Was, wenn es nicht darum geht, ob es sie gibt oder nicht gibt – sondern um die Frage, ob man sie größer macht als sie sind? Neonazi-Rallyes wie „Unite the Right“ am Sonntag sind Riesenthemen. Es kamen aber keine 400, sondern 24. Gehen wir denen in die Falle?
Das ist eine berechtigte Frage. Als ich Ende der 80er zu NPR kam, wurde gerade heftig diskutiert, wie man über den Ku Klux Klan berichten sollte. Bei jedem einzelnen Aufmarsch waren die Klansleute verglichen mit den Gegendemonstrant*innen massiv in der Unterzahl. Es war ein Zirkus, und es war Werbung. Viele sagten damals, dass so etwas keine Berichterstattung verdient – und ich stimme dem zu. Mit den Bewegungen nach Charlottesville hingegen verhält es sich anders. Die Bewegung, mit der wir es jetzt zu tun haben, hat politischen Einfluss. Ihre Mitglieder kandidieren zum Teil für den Kongress. Dazu kommt: Die Annahmen darüber, was US-Amerikaner*innen denken und wie sie sich äußern wollen, haben sich verändert.
Den neuen rechten Bewegungen in den USA dienen die etablierten Nachrichtenmedien gleichermaßen als Feindbild und als Bühne. Entsprechend kontrovers ist die Entscheidung des öffentlich-rechtlichen Radios NPR, den Neonazi und Rassentheoretiker Jason Kessler zum Interview einzuladen. Kessler hatte für Sonntag zu einer Kundgebung in der Hauptstadt Washington aufgerufen – genau ein Jahr nach dem Aufmarsch „Unite the Right“ in Charlottesville, Virginia.Damals fuhr ein Autofahrer in die Gegendemo und tötete eine Demonstrantin. Entsprechend groß war die mediale Aufmerksamkeit für „Unite the Right 2“. Die Kundgebung war letztlich ein Flop: Anstatt der angekündigten 400 erschienen am Sonntag nur zwei Dutzend.
Wie meinen Sie das?
Ich spreche von der trumpisierten Welt. Der Präsident legt Wert darauf, die Rechte zu normalisieren. Denken Sie beispielsweise an seine Aussage über die Gewalt „auf vielen Seiten“ nach dem tödlichen Ausgang von Charlottesville. Wenn der Präsident so etwas sagt, verändert das die grundsätzlichen Annahmen darüber, was erlaubt ist – und wer wir sind.
Sie sind der Ansicht, dass man die Hörer*innen darüber informieren muss, was Neonazis denken. Ist das nicht klar? Muss man sie dafür in ein Mikro sprechen lassen?
Es geht nicht so sehr darum, was sie denken, sondern wie – ich mache da einen Unterschied. Sie reden gerne davon, dass „die Natur“ irgendetwas „vorgesehen“ hätte – man muss einfach verstehen, dass das ihre Art ist, ihre Botschaft gefälliger zu machen. Dafür braucht es dann einen Journalisten, der vorbereitet ist und dagegenhalten kann, der unterbricht: „Halt, das ist doch Blödsinn, und ich sage Ihnen auch warum“. Ich halte das für eine wunderbare Gelegenheit, mit ihren typischen Argumentationen aufzuräumen. Ich muss noch mal betonen, das wir diese Leute äußerst selten einladen. Ein paarmal erst, seitdem Trump gewählt wurde – das ist zugegeben mehr als in den letzten zehn Jahren zusammen. Ich stimme Ihnen absolut zu, dass diese Leute viel zu viel Aufmerksamkeit bekommen. Aber ich bin absolut dagegen, eine Grundregel einzuführen, dass man sie nicht anhören darf. Überhaupt bin ich gegen Grundregeln. Nach 35 Jahren im Geschäft habe ich nun wirklich jeden denkbaren Fehler gemacht, ich vertraue da inzwischen einfach meinem eigenen Urteilsvermögen.
Macht es Sie traurig, dass eine Normalisierung von Neonazis voranschreitet und Journalist*innen sich dem nicht entziehen können?
Diese Bewegung war schon immer da. Vielleicht ist der positive Aspekt der jüngeren Entwicklung sogar, dass sie an die Oberfläche kommt und wir sie auf diese Weise betrachten können. Dennoch: Werden die Grundlagen der Demokratie gerade missbraucht, um gegen die Demokratie selbst zu arbeiten? Absolut. Es ist ein Kampf, den wir niemals ganz gewinnen werden – aber ihn zu verlieren, können wir uns nicht leisten.
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