Proteste am Jahrestag von Charlottesville: Ein erbärmliches Häuflein Nazis
Ein Jahr nach den Neonazi-Protesten in Charlottesville mobilisieren Rechtsextreme nach Washington. Es kommen 24 – und Tausende Gegner.
Am U-Bahnausgang Foggy Bottom versucht ein Polizist, für Ordnung zu sorgen. Heute ist der Mann besonders wichtig. Er ist zwar nicht allein – auf der 23. Straße vor ihm stehen Hunderte von Polizisten in grellgrünen Westen, die an diesem Wochenende dienstverpflichtet sind. Auch auf den beiden unterirdischen Etagen der Bahnstation hinter ihm begrenzen sie in dichten Spalieren die Treppen und Bahnsteige. Aber er ist der Mann für den Sicherheitsabstand. In der schwülen Augusthitze läuft er in kniehohen Stiefeln über die Sinnsprüche, die in den Stunden zuvor mit bunter Kreide auf den Asphalt gemalt worden sind.
Er tritt auf „Liebe statt Hass“ und auf „Keine Nazis in Washington“. Vor ihm steht eine geschlossene Wand von Fotografen. Dahinter Demonstranten. Dahinter Schaulustige. Scheinbar drängen alle auf ihn zu. „Haltet Euch gefälligst an die 15 Fuß-Regel“ brüllt der Polizist in die Menschenmenge. Niemand darf sich dem Bahnausgang mehr als viereinhalb Meter nähern. Von Foggy Bottom aus wollen sie zum Lafayette Squere ziehen, zu dem Park, wo normalerweise die Limousinen vor das Weiße Haus rollen.
Seit Jason Kessler, der auch für Charlottesville verantwortlich war, die Neuauflage angemeldet und 400 Teilnehmer angekündigt hat, mobilisieren Dutzende von Organisationen zu Gegendemonstrationen. Unter ihnen sind Bürgerrechtsgruppen wie Black Lives Matter, Frauengruppen und religiöse Organisationen. Und die „Antifa“, die in Charlottesville auf der Straße gekämpft hat, während die Polizei untätig zuschaute, wie Rechtsradikale mit brennenden Fackeln und Eisenstangen auf Menschen losgingen.
Ende vor dem geplanten Beginn
Ein Jahr später gibt es in Charlottesville viel mehr Gegendemonstranten. Und sie sind nicht mehr die einzigen, die gegen die Rechtsradikalen antreten. In Washington will auch die Polizei beweisen, dass sie die Situation unter Kontrolle hat. Auch bei den Rechtsradikalen hat sich Vieles geändert. Nach Charlottesville und nach der negativen Presse hat sich ihre Bewegung gespalten. Manche Männer, die auf den Bilder von den Gewaltexzessen zu erkennen sind, haben ihre Jobs verloren. Intern werfen viele Jason Kessler eine chaotische Organisation vor. Und nur wenige wollen ihn als Führungsperson akzeptieren.
Am Sammelpunkt der Rechtsradikalen in Vienna steigen gerade einmal 24 Menschen in die Bahn. Als das erbärmliche Häuflein bei der Abschlusskundgebung auf der Lafayette Square angekommen ist, sind nur noch 16 von ihnen übrig. Niemand will erklären, wie es zu dieser Schrumpfung unterwegs gekommen ist. Die Polizei eskortiert die Rechtsradikalen zum Weißen Haus. Und lässt weder Journalisten noch Gegendemonstranten an sie heran. Von den Straßenrändern kommen Stinkefinger und wütende „Nazi go home“-Rufe. Am Rand der Lafayette Square sorgen Antifaschisten für ein wenig Gerangel und Verzögerung.
Dann bringt die Polizei das Häuflein auf ein Stück Wiese, das von mehreren Reihen metallenen Absperrgittern umgeben ist. Alle paar Minuten steigt dort ein anderer junger Mann Kreis auf ein Podium und redet. Zu hören ist Altbekanntes: Dass die Einwanderer heute die „europäische Identität“ gefährden und dass Donald Trump bis 2024 im Amt bleiben soll. Das Meiste geht in dem Lärm unter, der durch den Park hallt. Er stammt von den Sprechchören der Tausenden von Gegendemonstranten und von dem Donnern eines anrollenden Gewitters.
Für die Rechtsradikalen geht alles viel schneller als von Organisator Kessler geplant. Seine Kundgebung ist schon vor ihrem geplanten Beginn beendet. Gegen fünf Uhr fallen die ersten Regentropfen. Dann verschwinden sie in einem weißen Minibus. Polizisten eskortieren sie weg von dem Platz und von den Gegendemonstranten und von der Hauptstadt der USA, die ihnen beweisen wollte, dass sie stärker ist.
„Schämt Euch“, hallt es noch Minuten später vom anderen Ende des Platzes herüber, wo die Gegendemonstranten dem Regen trotzen. Eine Stunde später geraten ein paar Antifa-Aktivisten mit der Polizei aneinander. Vom Bürgersteig aus beobachtet eine junge Frau von Black Lives Matter die Szene, bei der Polizisten von Motorrädern aus Pfefferspray auf die Antifa sprühen. Jillian ist froh, dass Washington die Rechtsradikalen vertrieben hat. „Sie sind nicht Amerika“, sagt sie. Aber sie bedauert, dass alles so schnell gegangen ist. „Ich wollte ihre Gesichter sehen“, sagt sie. „Ich wollte wissen, wie Nazis aussehen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus