Diskussion mit Linken-Chefin Kipping: Das Unmögliche probieren
Kommt nach Thüringen nun auch Rot-Rot-Grün im Bund? SPD-Generalsekretär Klingbeil erklärte am Mittwoch in der taz-Kantine seine Bereitschaft.
Anlass für den Austausch war die Veröffentlichung von Kippings Buch „Neue linke Mehrheiten – eine Einladung“. Darin plädiert die Linken-Vorsitzende für einen progressiven Politikwechsel, um die drohenden Krisen durch Klimawandel, soziale Spaltung, Rechtsruck und Militarisierung abzuwenden. Sie ruft Linke, Sozialdemokrat*innen, Ökolog*innen und Sozialliberale dazu auf, gemeinsam eine „sozial-ökonomischen Wende“ voranzutreiben.
Und die SPD? „Die Einladung nehme ich gerne an“, sagte Klingbeil zu Beginn der Diskussion. Die wahrscheinlich überraschendste Botschaft des Abends: „Die Bereitschaft in der SPD für ein solches Bündnis war noch nie so groß“, sagte das Mitglied des konservativen Seeheimer-Kreises mit Blick auf eine rot-rot-grüne Koalition, von der trotz der Umfragewerte der Grünen an diesem Abend stets in dieser Reihenfolge die Rede war.
Dass ein Mitte-Links-Bündnis „kein Spaziergang“ wird, wie Kipping feststellte, wurde im Laufe des Abends trotzdem deutlich: Insbesondere in Fragen der Außenpolitik zeigten sich die tiefen Gräben zwischen SPD und Linkspartei. Klingbeil sprach in diesem Zusammenhang von „großen Hürden“ und betonte das Bekenntnis der SPD zur NATO. Kipping hingegen forderte einen „Neuanlauf in der internationalen Politik“. Die roten Haltelinien ihrer Partei seien klar: Sozialabbau, Privatisierung, Militarisierung und Kriege – das alles werde es mit der Linken nicht geben.
Ostpolitik wäre leichter
Doch auch hier waren von Klingbeil überraschende Töne zu hören: Das ehemalige Mitglied mehrerer Rüstungslobbyvereine forderte internationale Abrüstungsinitiativen sowie eine „neue Ostpolitik“ und ein besseres Verhältnis zu Russland. Mit linken Mehrheiten wären solche Vorhaben leichter umzusetzen, stellte Klingbeil klar.
Auch wenn sich die beiden einige Spitzen nicht verkneifen konnten, verlief das Gespräch überwiegend harmonisch und konfliktfrei. Man müsse das Gemeinsame und nicht das Trennende in den Vordergrund stellen, betonte Katja Kipping. Auch der Publizist Robert Misik lobte Kippings Buch als „unglaublich pragmatisch“ und „erfrischend“. Die Rechten bekämpfe man am besten mit Hoffnung, sagte Misik.
Wie kann ein linker Politikwechsel nun gelingen? Beide PolitikerInnen waren sich einig, dass die drei Parteien zunächst intern klären müssen, ob sie zu einem solchen Bündnis bereit sind. Von rot-rot-grünen Träumen „reden wir noch lange nicht“, holte Klingbeil die Hoffnung so mancher Anwesenden auf den Boden der Tatsachen zurück. Insbesondere die Grünen, die sich derzeit vor allem mit der Kanzlerfrage beschäftigten, seien hier in der Pflicht.
Der Druck der Straße
Eine Frage, die an diesem Abend nur am Rande diskutiert wurde: Wie kann – selbst wenn sich die drei Parteien auf eine Koalition einigen könnten – eine wirklich emanzipatorische Politik gegen den zu erwartenden heftigen Gegenwind aus Wirtschaft, Medien und Politik umgesetzt werden?
Kipping setzt hierbei auf die Mobilisierung auf der Straße und gesellschaftliche Mehrheiten. Der Berliner Mietendeckel zeige, dass durch massiven gesellschaftlichen Druck alle drei Parteien über sich hinaus gewachsen seien und eine wirklich fortschrittliche Politik umgesetzt hätten.
Soziale Gerechtigkeit, Investitionen in Infrastruktur, Klimaschutz und Friedenspolitik – für Kipping ist eine rot-rot-grüne Reformagenda verheißungsvoll: „Macht das nicht Lust, dass man das Unmögliche probiert?“ Zumindest SPD-Generalsekretär Klingbeil zeigte sich dafür offen. Ob ein Politikwechsel letztendlich erfolgreich sein kann, wird wohl davon abhängen, ob auch die Grünen Lust auf ein solches Projekt haben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und Putin
Bei Anruf Frieden