Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt: Du, Hakan, wir nehmen den Tim
Wer einen türkischen Namen trägt, hat schlechtere Chancen auf eine Lehrstelle als Anna, Max oder Jens. Die Integrationsbeauftragte will das ändern.
BERLIN taz | Der Kandidat ist 16 Jahre alt und hat einen guten Realschulabschluss, sein Notenschnitt liegt bei etwa 2. Aus Anschreiben und Lebenslauf geht hervor, dass er in der 9. Klasse schon mal über ein Schulpraktikum in seinen Wunschberuf hineingeschnuppert hat. Außerdem ist er ehrenamtlich aktiv und spielt in seiner Freizeit Fußball. Alles in allem eine Traumbewerbung. Doch wenn der Absender Tim Schultheiß heißt, ist seine Chance, eine Antwort zu erhalten oder gar zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, deutlich größer, als wenn er den Namen Hakan Yilmaz trägt.
Das hat eine Studie ergeben, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. „Wir haben es in Deutschland mit einem ernsthaften Diskriminierungsproblem zu tun“, sagte der Forscher Jan Schneider vom Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) dazu.
3.500 fiktive, fast identische Bewerbungen hatte sein Team an 1.794 Unternehmen geschickt, die einen Ausbildungsplatz zu vergeben hatten. Das Ergebnis: Während ein Bewerber mit deutschem Namen auf fünf Bewerbungen eine Einladung bekam, waren mit türkischem Namen sieben Einsendungen nötig.
Besonders deutlich zeigte sich der Unterschied bei den KfZ-Mechatronikern – einem Beruf, der bei Migrantenjugendlichen beliebt ist. Hier muss ein Bewerber 1,5-mal so viele Bewerbungen schreiben wie sein Konkurrent mit deutschem Namen. Etwas leichter hat es, wer eine Ausbildung zum Bürokaufmann machen will. Besonders kleine und mittelständische Betriebe bevorzugen Bewerber mit deutschem Namen. Bei großen Unternehmen findet man hingegen kaum einen Unterschied. Auffällig war auch, dass Bewerber mit einem türkischen Namen am Telefon oder in der Antwortmail häufiger geduzt und mit Vornamen angeredet wurden.
Was werden die Kunden denken?
Gründe für die Ungleichbehandlung gibt es viele. Die Bewerber mit türkischem Namen würden nicht gezielt ausgesiebt, glauben die Forscher, meist gäbe ein Bündel an Faktoren den Ausschlag: Unsicherheit, Vorurteile und Befürchtungen von der Sorte: Was werden die Kunden denken? Werden die Kollegen damit klarkommen?
Manchmal beruht die Ablehnung ganz einfach auf fehlender Erfahrung. Denn über zwei Drittel aller Ausbildungsbetriebe in Deutschland beschäftigen bisher keinen einzigen Azubi mit Migrationshintergrund – das gilt insbesondere für kleinen Betriebe und solche im Osten der Republik. Ganz anders sieht es bei großen Unternehmen aus, darum zeigen diese sich auch offener.
Die SVR-Forscher empfehlen unter anderem anonymisierte Bewerbungen, wie sie in Ländern wie den USA, Kanada und Großbritannien schon lange üblich sind. Denn ohne Name und Foto steigen die Chancen von Migrantenjugendlichen auf ein Vorstellungsgespräch.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), hat die Verbesserung von Bildungs- und Ausbildungschancen von Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte jetzt für sich zur Chefsache erklärt. Auf einer Tagung unter dem Motto „Gleiche Qualifikation, ungleiche Chancen“ erklärte sie am Dienstag, den kommenden Integrationsgipfel mit Angela Merkel Ende des Jahres ganz diesem Thema widmen zu wollen. Dabei will sie nicht nur die Privatwirtschaft stärker in die Pflicht nehmen – auch viele Behörden und Ministerien in Berlin hätten da eine „nicht ganz so gute Bilanz“, kritisierte sie. Tatsächlich sind anonymisierte Bewerbungen – bis auf das Familienministerium, das an einem entsprechenden Pilotprojekt teilnimmt – in Berlin noch die Ausnahme.
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