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Direkte Demokratie in HamburgRichtige Klage an falscher Stelle

Die Hamburger Anti-Gender-Volksinitiative klagt gegen Senat und Bürgerschaft. Um ihre Argumente ging es vorm Verfassungsgericht am Freitag aber kaum.

Wollten im vergangenen Jahr während des Volksbegehrens nicht genug Menschen unterstützen: Anti-Gender-Initiative Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Dass die Hamburger Anti-Gender-Volksinitiative im vergangenen Jahr gescheitert ist, kann man aus inhaltlichen Gründen gut finden. In der dreiwöchigen Sammelphase im Sommer 2024 hatte sie nicht die nötige Anzahl von Unterschriften zusammenbekommen – rund 55.000 statt der benötigten 66.000 waren es.

Doch die Klage der Initiative gegen den Hamburger Senat und die Bürgerschaft vor dem Landesverfassungsgericht, über die am Freitag verhandelt wurde, betrifft nicht nur die Ziele dieser Initiative, sondern potenziell auch progressive direktdemokratische Hamburger Ak­ti­vis­t:in­nen und Bürger:innen.

Haben Senat und Bürgerschaft absichtlich dafür gesorgt, die Sammelphase in die Hamburger Sommerferien zu legen, um der Initiative das Erreichen ihres Ziels zu erschweren? Warum gibt es für Bür­ge­r:in­nen keine Möglichkeit, mit einem Online-Tool eine Unterschrift unter die Anliegen von Volksinitiativen zu setzen?

Informiert der Senat ausreichend darüber, dass er gerade eine Sammelphase durchführt? Warum verschickt er dafür vorab keine Briefe an die Wahlberechtigten? Müssten nicht mehr und viel offensichtlicher Wahlstellen während dieser Zeit in öffentlichen Gebäuden vorhanden sein?

Senat und Bürgerschaft sollen Schuld haben

Zwar gibt es Anfang Oktober dieses Jahres gleich zwei Volksentscheide, über die die Ham­bur­ge­r:in­nen abstimmen können. Sowohl der „Hamburger Zukunftsentscheid“ als auch die Volksinitiative, die ein Bedingungsloses Grundeinkommen in Hamburg testen lassen will, hatten auf dem Weg dorthin in der ersten Sammelphase die notwendigen 10.000 Unterschriften erfolgreich gesammelt und auch die zweite Stufe, das Volksbegehren, erreicht.

Doch selbst wenn Volksinitiativen nicht vom Verfassungsgericht gestoppt wurden, weil ihre Ziele nicht verfassungskonform waren, scheiterten in den vergangenen Jahren die meisten Initiativen an dieser Schwelle – wie auch die Anti-Gender-Initiative.

Sie sieht die Schuld dafür beim Senat und bei der Bürgerschaft und hat vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht beantragt, festzustellen, dass das Volksbegehren doch erfolgreich zustande gekommen ist. Die Initiative solle somit die Möglichkeit erhalten, noch einmal weitersammeln zu dürfen.

Dies solle der Senat angemessener als zuvor durchführen, durch eine bessere Informationspolitik oder die Bereitstellung eines Online-Tools. Dann, so die Hoffnung der Aktivist:innen, könnten die wahlberechtigten Ham­bur­ge­r:in­nen in einem Volksentscheid dafür stimmen, der Hamburger Verwaltung und den Bildungseinrichtungen das Gendern zu verbieten.

Sind die Klagen zulässig?

Inwiefern Senat und Bürgerschaft die im Gesetz vorgegebenen Pflichten verletzen und welche Forderungen die Behörden künftig erfüllen sollen, um die direktdemokratischen Verfahren angemessen durchzuführen, darüber wollte die Initiative bei der Verhandlung am Freitag mit dem Verfassungsgericht in den Austausch kommen. Doch darum ging es kaum.

Mehr als einmal ließ Birgit Voßkühler, die Vorsitzende des Gerichts, durchblicken, dass das, was die Volksinitiative mit ihrer Klage beabsichtigt, so nicht möglich ist. „Haben wir die Anträge falsch gestellt?“, entgegnete eine der Vertrauenspersonen der Initiative entsetzt während dieser Andeutungen.

Es gibt bereits Zweifel an der Zulässigkeit der Klagen, etwa daran, ob die Volksinitiative im Sinne eines Organstreitverfahrens klageberechtigt ist. Zudem stellt sich die Frage, ob das Verfassungsgericht der richtige Adressat der Klage ist. Müsste die Initiative nicht vor dem Verwaltungsgericht klagen, wenn ihr konkretes behördliches Handeln als rechtswidrig erscheint?

Es ist also gut möglich, dass das Verfassungsgericht kaum einen der inhaltlichen Punkte in seine Entscheidung einfließen lassen wird – und damit auch kaum zusätzliche Klarstellungen für künftige Volksinitiativen liefern wird.

Senat und Bürgerschaft sind ohnehin der Ansicht, dass alles mit rechten Dingen abgelaufen ist. „Wenn man das rechtliche Konstrukt nach Ihrer Vorstellung ändern will, dann muss man da gesetzlich ran“, sagte etwa der Senatbevollmächtigte Jan Pörksen (SPD) mit Blick auf die klagende Volksinitiative. Was die Volksinitiative fordert, steht so bislang nun mal nicht in den gesetzlichen Vorgaben, was vielleicht verständlich ist. Dafür können weder Senat noch Bürgerschaft herangezogen werden.

Seine Entscheidung will das Gericht am 4. Juli bekannt geben.

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