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Dienstleistungen per App bestellenDie Rückkehr der Diener

Boten auf Fahrrädern liefern zu jeder Tages- und Nachtzeit, was per App bestellt wurde.Angenehm ist das nur für die Auftraggeber.

Na, noch Lust auf eine Bio-Gurke abends um elf? Eine ausgebeutete Arbeitskraft würde sie bringen Foto: Hannes Albert/Imago

Hamburg taz | Eine frische Tomate um 22.34 Uhr per Lieferservice zu sich nach Hause zu bestellen – kann man machen. Dann muss man sie aber auch angemessen bezahlen. Und sollte sich über die gesellschaftlichen Folgen Gedanken machen.

Doch wer sollte überhaupt auf die Idee kommen, spät abends oder früh morgens eine einzelne Tomate oder Biogurke per Lieferdienst zu bestellen? Von allein wahrscheinlich niemand. Aber der Lieferdienst „Gorillas“ wirbt explizit damit. Man muss nicht Adorno gelesen haben, um zu wissen, dass Bedürfnisse auch durch das Angebot erzeugt werden. Das Angebot bestimmt zumindest dann die Nachfrage, wenn es um Dinge geht, die wir nun wirklich nicht brauchen. Und dieser Sektor explodiert förmlich seit der Coronapandemie.

„Dinnerly“ oder „Hellofresh“ liefern Kochboxen mit der abgewogenen Menge Zutaten für ein bestimmtes Rezept zum Selbstkochen, inklusive des passenden Weins. Restaurants beauftragen „Lieferando“, um Haute Cuisine zum Aufwärmen in der Mikrowelle zur Kundin zu bringen. „Crabbel.de“ vermittelt En­ter­tai­ne­r*in­nen für Kindergeburtstage, „Careship“ verspricht, innerhalb von 24 Stunden liebevolle Pflegekräfte für die Angehörigen bereitzustellen. „Pawshake“ bietet das Gleiche für Haustiere. Auf Craigslist oder bei Ebay Kleinanzeigen kann man jemanden buchen, der während der eigenen Abwesenheit dem Strom­ableser die Tür aufmacht oder zwischen 7 und 16 Uhr für einen auf den Telekom-Mann wartet.

Coronapandemie als Katalysator

Viele der digital nutzbaren Dienstleistungen gab es schon vor der Coronapandemie. Aber Hochkonjunktur erreichten sie mit den Lockdowns, als sich große Teile des gesellschaftlichen Lebens ins Digitale und in die eigenen vier Wände verschoben.

In anderen Gesellschaften, etwa in US-amerikanischen Großstädten, ist es schon lange normal, alle möglichen Dienstleistungen per Onlineservice bei prekär Beschäftigten, oft migrantischen Ar­beit­neh­me­r*in­nen zu bestellen. Aber auch in norddeutschen Großstädten prägen die Kurierfahrer verschiedener Lieferdienste inzwischen das Straßenbild. Dabei könnte man um die Umstände wissen, unter denen die Arbeit verrichtet wird: Sie ist schlecht bezahlt, befristet, gefährlich, unglaublich stressig und meistens von einem Algorithmus koordiniert.

Am anderen Ende der Dienstleistung steht hingegen die Empfängerin, für die es unglaublich bequem ist. Es ist billig, Corona-safe und angenehm, denn sie wird bedient. Gerade das Gefühl, bedient zu werden dürfte ausschlaggebend sein bei der Frage, ob man die Tomate online bestellt oder doch lieber zum Gemüsehändler geht.

Bestellung anonym und ohne Scham

Aber der Klick auf den „Jetzt bestellen“-Button fördert nicht nur ausbeuterische Arbeitsmodelle, sondern vergrößert auch die gesellschaftliche Kluft zwischen Die­ne­r*in­nen und Bedienten. Es entmenschlicht, wenn man sich überflüssige Waren zu unmöglichen Uhrzeiten bestellt, weil man es anonym machen kann und sich nicht schämen muss – weil man den Diener fast gar nicht sieht, bevor er zum nächsten Termin hetzt. Bezahlt hat man ja eh schon per Paypal. Wir entmündigen uns selbst, indem wir uns weniger selbst kümmern und bedienen lassen.

Der CEO von Gorillas sagt über sein Geschäftsmodell: „Gorillas existiert, um dir sofortigen Zugang zu deinen Bedürfnissen zu ermöglichen.“ Triebaufschub scheint unmöglich, warten frustrierend, selbst zum Supermarkt zu gehen eine Zumutung. Das ist Suchtverhalten, und Gorillas spielt damit, wenn es auf Werbetafeln schreibt: „Ich will weniger bei Gorillas bestellen, ich will weniger bei Gorillas bestellen, ich will weniger bei Gorillas bestellen, ich will…“

Aber wenn Menschen ihr Leben in dem Glauben – und früher oder später auch mit dem Anspruch – organisieren, jedem ihrer Bedürfnisse werde sofort entsprochen, wird es für die anderen um sie herum ziemlich unangenehm.

Und es ist auch nicht „ganz normaler“ Kapitalismus, sondern der Boom der Lieferungen aller Art markiert die nächste Stufe im Turbo-digital-Endzeit-Entmenschlichungs-Kapitalismus. Ein paar Programmierer verdienen sich dumm und dümmer damit, dass eine Schar Superprekärer unter extrem schlechten Bedingungen für sie arbeitet, um Kon­su­men­t*in­nen Sachen zu bringen, die sie nicht brauchen. Oder die sie dringend brauchen, aber aufgrund ihrer eigenen Zwänge nicht selbst organisieren können, weil ihnen die Zeit und die Energie fehlen. Keine Ahnung, was schlimmer ist, wahrscheinlich geht es oft Hand in Hand.

Nun könnte man fragen: Was regst du dich auf, es wird doch niemand gezwungen, die Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Lieferboten, Pflegekräfte und Haus­tier­streich­le­r*in­nen bieten ihre Arbeitskraft schließlich freiwillig an. Es wird auch niemand gezwungen, beim Städtetrip eine AirBnB-Wohnung anzumieten. Aber die Versuchung ist da: Das Hotel ist viel teurer, der eigene Job lässt es nicht zu, dass man stundenlang auf den Techniker wartet, und wer hat schon Bock, nach Feierabend aufwendig zu kochen, geschweige denn die Zutaten einkaufen zu gehen?

Entkoppelung der Lebenswelten

Es ist trotzdem verwerflich, weil es die Entkopplung der Lebenswelten vorantreibt. Was wissen die, die sich bedienen lassen, von denen, die sie bedienen? Wahrscheinlich am liebsten so wenig wie möglich, sonst würde es schwer fallen, sie um halb elf abends durch die Stadt zu treiben für eine einzelne Tomate.

Also, wenn nächstes mal die Sucht kickt, vielleicht einfach mal bildlich vorstellen, wie Fernanda, Amal, Carlos, Mike oder Santiago für 10,50 Euro pro Stunde durch den Regen fahren. Und dann einfach nicht bestellen, sondern schön in Ruhe einkaufen gehen.

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4 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • > sonst würde es schwer fallen, sie um halb elf abends durch die Stadt zu treiben für eine einzelne Tomate.



    Der Auslieferungsfahrer fährt nicht für eine einzelne Tomate sondern, nächster Satz, für 10.5 Euro pro Stunde. Die einzelne Tomate ist womöglich das beste, das ihm passieren kann, siehe der Artikel vor rund einer Woche über überschwere Pakete und Rückenprobleme. Eine andere Frage ist, warum jemand so eine eher mäßig bezahlte Tätigkeit annimmt. Vermutlich ja wohl, weil er sonst nicht eine bessere sondern gar keine Arbeit hätte. Das ist der Punkt, an dem jede Kritik ansetzen sollte und nicht an denen, die überhaupt Arbeitsplätze und Verdienstmöglichkeiten schaffen. Anstatt aus falschem moralischem Rigorismus müde und vielleicht erkältet selber ncoh einmal zum Supermarkt zu laufen und dem Fahrer auch diese Verdienstmöglichkeit noch zu nehmen, wäre es weit sinnvoller ein anständiges Trinkgeld zu geben, was sich ohnehin gehört.



    Und was soll schlecht an dem Telekom Abwarter sein? Besser als mit einem gutem Buch auf einem fremden Sofa kann man sein Geld doch nun wirklich nicht verdienen. Nicht jeder hat eine perfekte Nachbarschaft und einen großen Bekanntenkreis am Ort. Vor diesem Angebot hieß das, jeweils einen ganzen Urlaubstag verbraten, falls man ihn so kurzfristig überhaupt bekommt.



    Die Kritik in diesem Text scheint mir völlig irregeleitet und ihre berechtigten Teile richten sich gegen das völlig falsche Ziel.

  • Mir fällt gerade kein einziges Beispiel ein wo der Aufruf dazu individuell ethische Konsumentscheidungen zu treffen oder noch besser ganz auf diesen zu verzichten dazu geführt hätte, dass sich in dem jeweiligen Markt Standards durchgesetzt hätten die über dem gesetzlichen Minimum liegen. Bio-Flesich hat einen Marktanteil im unteren einstelligen Prozentbereich, die meisten Textilien und Elektronik werden nach wie vor unter katastrophalen Bedingungen in fernöstlichen Sweat-Shops produziert, Obst und Gemüse in Südeuropa von Migrant*innen in sklavereiähnlichen Arbeitsverhältnissen geerntet und auch am Strommarkt führten Appelle ans Gewissen bislang nicht zur großen Abwanderung der Kundschaft weg von den fossilen Anbietern. Was also spricht für die Annahme, dass ein Bewusstsein für die Arbeitsbedingungen ausgerechnet in diesem Fall zu einem signifikanten Rückgang der Nachfrage führen sollte? Viel mehr braucht es einen gesetzlichen Rahmen der sicherstellt, dass Arbeit auch zu einem Lohn führt der den Lebensunterhalt auf akzeptablem Niveau sicherstellt, dazu Nacht- und Wochenendzuschläge deren Höhe daran zu bemessen ist, dass sie die sonntagnächtliche Bestellung einer einzelnen Tomate ohne Gewissensbisse erlaubt.



    "Ein paar Programmierer verdienen sich dumm und dümmer damit"



    Wohl kaum, gerade bei einem Untenehmen wie Gorillas sind die auch nur Code Monkeys. Die Finanzierung läuft wie oft in solchen Fällen über Private Equity und die Profite landen bei den Venture Capital-Gesellschaften, in diesem Fall Coatue, DST und Tencent.



    www.n-tv.de/wirtsc...ticle22452525.html

  • Verschiedenes:

    Ich freue mich, dass diese Diskussion endlich auch in der taz angekommen ist.



    Und ferner ist es eine Frage der Bezahlung. Nicht zuletzt dewhalb muss der Mindestlohn mit weniger Ausnahmen ausgestaltet werden und auf 13-15€ erhöht werden.

  • mir so egal ...

    ob wer sich auf sein kinderfahrrad schwingen muß, um mich zu freshen.



    ob der rider von dem verdienten überhaupt seine miete bezahlen kann, mir egal.



    fresh me up, wenn ich auf dem sofa liege und liebevoll über die app swipe und meine order aufgebe.



    ich will wonach mir gerade ist.



    ohne mich groß aus dem haus zu quälen.



    ok, bis zum klingelsummer schaffe ich noch.



    aber dann ... get it, love it !