Die steile These: Feminismus macht Männer besser

Männer, die sich für emanzipiert halten, können mit Verwunderung feststellen, dass sie nicht gegen Sexismus gefeit sind. So wie unser Autor.

Ein Mann mit dunklen Locken und rotem Lippenstift hält sich kunstvoll Pflanzenblätter vor sein Gesicht

Jedes Geschlecht sollte sich schminken, Fußball spielen, Geld verdienen oder Kinder erziehen dürfen Foto: Jorge Saavedra/Unsplash

Zuletzt hielt die Beziehung nur noch wegen der Kinder. Bis zu diesem Punkt hatte ich gedacht, dass ich und alle um mich herum emanzipiert seien. Alle waren immer sehr betroffen, wenn sie von sexistischen Übergriffen hörten, aber das war ja nicht unsere Welt; wir sind emanzipiert. Ich war überrascht, als ich merkte, dass wir selbst blöde Sexist*innen waren.

„Wenn die Trennung kommt, fühlt sich der Deal, mit dem alle vorher so wahnsinnig zufrieden waren, rückwirkend nicht mehr ganz so perfekt an“, schreiben die Autorinnen Heike Blümner und Laura Ewert in ihrem Trennungsratgeber „Schluss jetzt“. Ich hatte die klassische Rolle als Familienversorger nie gewollt, war aber nach und nach in etwas Ähnliches hineingerutscht. Vielleicht auch, weil meine damalige Partnerin sich ihre Rolle als aufopferungsvolle Mutter zum Lebensinhalt gemacht und ich es als Kind gelernt hatte, mir Dinge von Frauen abnehmen zu lassen. Wir erfüllten unsere klassischen Geschlechterrollen ganz gut. Bis es nicht mehr ging.

Dann kam der Familienrichter und beschloss, dass die Kinder aus genau diesem Grund mehr bei ihrer Mutter als bei mir leben sollten. Die fand sowieso, die Kleinen würden zu ihr gehören, weil sie in ihrem Bauch herangereift sind.

Eine Mediatorin des Jugendamts schlug vor, dass ich doch alle zwei Wochen am Wochenende Spaß mit den Kindern haben und die Mutter sich den Rest der Zeit um sie kümmern könne. Mein Vater gratulierte mir, ich hätte jetzt endlich mehr Zeit für Männersachen. Sexistische Erwartungshaltungen regneten nur so hernieder.

Aber was hilft gegen Sexismus?

Ich lief zur feministischsten Freundin, die mir einfiel, um herauszufinden, wie es so weit kommen konnte. Breitbeinig warf ich mich in ihren Sessel und verlangte: „Erklär mir Feminismus.“

Sie wollte nicht mit mir reden, ich sei ihr zu cis-männlich, sagte sie. Ich verstand das erst nicht. „Cisgender“ bedeutet, dass die Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Ich lernte aber, dass der Begriff in sozialen Medien kampfrhetorisch auch für „rollenkonform“ oder „macho“ verwendet wird. Das traf es: Ich hatte nicht das Recht, in feinster Sexistenart davon auszugehen, dass sie sich freuen müsste, mir den Feminismus zu erklären.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Es folgte der Besuch einer Vorführung von Lizzie Bordens Film „Born in Flames“; eine tolle Abrechnung mit dem Patriarchat, aber ziemlich harter Tobak. Im Saal fast nur Frauen, gefühlt ausschließlich Feministinnen. Und ich. Nirgendwo ein roter Teppich.

Über mir saßen Leute auf einer Galerie. Plötzlich kippte jemand ein Glas Rotwein um. Auf meinen Kopf. Der Wein rann mir übers Gesicht wie blutige Tränen eines ängstlichen, alten weißen Mannes. Alle lachten. Für einen Moment musste ich mit dem Impuls kämpfen, das als Angriff zu verstehen. Dann lachte ich mit. Wer anfängt, sich für etwas Selbstverständliches wie Gleichberechtigung zu engagieren, sollte nicht den Fehler machen, Dankbarkeit zu erwarten.

Die erste Lektion

Die erste große Offenbarung war, dass Sexismus nicht nur ein bisschen Ungleichheit und Diskriminierung zwischen den Geschlechtern ist, sondern in vielen Facetten tief in alle gesellschaftspolitischen Strukturen hineingreift und schon seit Jahrhunderten eine feste Säule unserer und anderer Gesellschaften ist, die von Generation zu Generation tradiert wird.

Sexismus betrifft alle Geschlechter. Nur wird Unterdrückung deutlicher wahrgenommen, wenn man schlechter bezahlt wird und regelmäßig körperlichen und psychischen Übergriffen ausgesetzt ist, wie es bei sehr vielen Frauen der Fall ist. Im Gegensatz dazu lediglich verdammt zu sein, Fußball zu gucken, sich um den Grill zu kümmern und Bierflaschen mit einem Feuerzeug zu öffnen und überhaupt Bier zu mögen, ist ein Pipifax, der es nicht unbedingt notwendig erscheinen lässt, sich mit sexistischen Rollenzuschreibungen zu beschäftigen.

Männer sind Nutznießer und Erfüllungsgehilfen des Patriarchats, aber sexistische Mechanismen richten sich natürlich auch gegen sie. Nicht nur in Trennungssituationen. Sondern immer dann, wenn sie etwas tun möchten, das nicht den Erwartungen entspricht, die die sexistische Gesellschaft an sie stellt. Wenn sie beispielsweise, wie ich, als Junge Ballett tanzen wollen, dann aber von ihren Freunden ausgelacht und „du Sissi“ oder „schwul“ genannt werden, weil Sexismus und Homophobie nah beieinander liegen.

Sollten sie gar tatsächlich homo- oder bisexuelle Neigungen haben, bekommen sie zu spüren, nicht richtig, nicht „männlich“ zu sein. Auch wenn sie einfach nur mal heulen „wie Mädchen“, ist das so.

Oder wenn sie aufgrund ihrer auf körperliche Auseinandersetzungen getrimmten Erziehung zum Militär gehen und es, weil es zum Mannsein gehört, nicht hinterfragen, dass sie als Kanonenfutter dienen.

In Gesprächen im Bekanntenkreis hörte ich die immer gleichen Entgegnungen: „Was ist falsch daran, mich rollenkonservativ zu verhalten? – Wir sind nun mal unterschiedlich. – Es sind die Gene. – Es liegt in der Biologie der Frauen, empathisch zu sein, Kinder zu bekommen, und in der der Männer, den Wettkampf und die Baumärkte zu lieben, stark zu sein und die Familie zu versorgen. – Wieso willst du uns gleichmachen? – Ich möchte männlich bleiben.“

Die zweite Lektion

Mit einer Freundin sprach ich lange über Flirtsituationen. Wir dekonstruierten unser geschlechtstypisches Verhalten, indem wir uns vorstellten, wir würden es über Bord werfen. Am Ende hatte sie nackte Panik in den Augen: „Aber wenn ich mich nicht mehr schminke, lasziv bewege und sexy Zeug anziehe, fühle ich mich nicht mehr als Frau.“

In allen Diskussionen schien das Hinterfragen des eigenen Rollenbilds große irrationale Angst auszulösen: vor dem scheinbar drohenden Verlust der eigenen sexuellen Identität und der vermeintlichen Sicherheit, die falsche Rollenbilder und andere autoritäre Strukturen geben können.

Rollenverhalten ist, belegt durch zahlreiche Studien, nur zu einem sehr kleinen Teil biologisch oder genetisch bedingt und zu einem sehr großen durch gesellschaftliche Erwartungen. Feministinnen geht es darum, diese zu reflektieren und sie schlicht nicht zu erfüllen, falls sie die eigene Freiheit oder die eines anderen einschränken. Niemand kann dadurch Männlichkeit oder Weiblichkeit verlieren. Jedes Geschlecht sollte sich schminken, Fußball spielen, Geld verdienen oder Kinder erziehen dürfen.

Die dritte Lektion

Meine frühere Unlust, das eigene Verhalten infrage zu stellen, ließ sich leicht erklären: Wenn es sich in der eigenen Rolle gemütlich und gesellschaftlich akzeptiert lebt, scheut man die Anstrengung, alles umzukrempeln, so lange, bis einem das Ganze auf die Füße fällt.

Der Kampf zwischen den Geschlechtern tobt und treibt vor allem Männer zuhauf zu unreflektierten Abwehrreaktionen, die laut dem psychologischen Lexikon des Magazins Spektrum Psychologie dazu dienen, „die durch Signaleffekte wie Angst, Scham oder Schuld ausgelöste Unlust abzuwehren beziehungsweise unlustvolle Affekte zu vermeiden“.

Ein weiterer Grund, warum viele in Bezug auf ihre Selbstwahrnehmung zurückgeblieben sind: Männern fehlt eine feministische Männerbewegung. Die öffentliche Diskussion, inklusive #MeToo und Frauenquotenforderungen, wird häufig auf einer oberflächlichen Geschlechterkampfebene ausgetragen. Aber selbst wenn die Debatte zu selten die tief liegenden sozialen Ursachen rational behandelt, wird der Handlungsdruck auf die Gesellschaft erhöht, und das bewirkt notfalls auch ohne breite Männerbeteiligung weitere Fortschritte bei der Gleichberechtigung.

Die vierte Lektion

Das Ende meiner Beziehung war ein Neubeginn. Seit sechs Jahren arbeite ich daran, den eigenen Sexismus abzuschütteln. Die soziale Prägung sitzt tief. Unterdrückte Neigungen zu weiblich konnotiertem Handeln, mehr Empathie, reflexartige Sexismusabwehr und rollenneutrale Erziehung – bei der man schnell ausgerechnet die Jungs vergisst – entwickeln sich nur schrittweise.

Feminismus ist am Ende humanistisch. Er sensibilisiert für jede Art von Unterdrückung und Machtausbeutung, die anscheinend vielen die einzige Nahrung für ihr Selbstwertgefühl ist. Das gilt für Rassismus, die Diskriminierung aufgrund sozialer Herkunft und darüber hinaus auch für den Umstand, dass Menschen sich andere Spezies untertan machen. Zum Beispiel, um sie zu essen. Feministisch zu leben hat mich nicht nur zufriedener, es hat mich auch zum Vegetarier gemacht.

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