Die These: Mit Essen spielt man nicht
Kartoffelbrei auf Gemälde, Torten auf Nazis, Milch auf Felder: Immer wieder werden Lebensmittel für Protest genutzt. Dabei ist Essen etwas Wertvolles!
S elbstverständlich ist die Sorge um das im Museum Barberini hängende Gemälde aus Claude Monets Reihe „Les Meules“ (Heuschober) gerechtfertigt, das Opfer eines Attentats wurde. KlimaaktivistInnen der Gruppe „Letzte Generation“ hatten das Bild mit Kartoffelbrei attackiert, und das in Potsdam, der Heimat des Mannes, dem das hiesige Volk den Anbau der Kartoffel überhaupt erst verdankt, Friedrich des Großen nämlich.
Dank schützender Glasscheibe ist den Monet’schen Heuschobern nichts passiert – doch die Konfrontation von Kartoffel und Getreide hat Diskussionen entfacht. „Das ist Kulturbarbarei und keine politische Meinungsäußerung“, sagte beispielsweise der Potsdamer Oberbürgermeister, und der Deutsche Museumsbund empfiehlt strengere Sicherheitsmaßnahmen für die Kunstwerke. Und so reden dieser Tage alle über Kunst, Kunst, Kunst – aber wie steht es eigentlich ums Essen? Und was ist aus dem guten alten Grundsatz „Mit Essen spielt man nicht“ geworden, der auch dem Autor dieser Zeilen in der Kindheit die ein oder andere unsanfte Maßregelung eingebracht hat?
Mit Essen spielt man nicht: Man knetet keine Männchen aus Brot, matscht nicht mit der Gabel im Gemüse, baut keine Burgen aus Polenta und malt keine Bilder mit Pflaumenkompott. Aber was, wenn junge Menschen mit Tomatensuppe politischen Protest ausüben möchten?
Aktivistinnen der Organisation „Just Stop Oil“ hatten kürzlich in der Londoner National Gallery den Inhalt von zwei Dosen Tomatensuppe (Heinz, nicht etwa Campbell’s) über van Goghs „Sonnenblumen“ beziehungsweise die Glasscheibe vor selbigen entleert. Das Bild hat einen Schätzwert von umgerechnet rund 84 Millionen Euro und Just Stop Oil twitterte: „Ist Kunst mehr wert als Leben? Mehr als Essen? Mehr als Gerechtigkeit? Die Lebenshaltungskosten- und Klimakrise wird durch Öl und Gas angetrieben.“
Die Suppe ist definitiv verschüttet
Daher also Tomaten auf Sonnenblumenkerne, die man wunderbar auch zu nahrhaftem Öl verarbeiten könnte? Die National Gallery teilte anschließend mit, dass durch die Aktion kleinere Schäden am Rahmen entstanden seien, das Bild selbst sei nicht beschädigt worden. Die Suppe aber ist definitiv verschüttet.
Diese Woche schlug Just Stop Oil dann schon wieder zu. Mit einer Torte, sie traf die Wachs-Variante des britischen Königs Charles III, übrigens seinerseits Umweltschützer, im Londoner Kabinett von Madame Tussauds. Bereits im Mai war die „Mona Lisa“ im Pariser Louvre mit einer Torte attackiert worden. Auch sie blieb dank Panzerglas unversehrt lächelnd zurück, und auch in diesem Fall wollte der (Einzel-)Attentäter Aufsehen erregen, um auf die Zerstörung der Welt hinzuweisen, wenngleich er sein Anliegen weniger professionell kommunizierte als die KlimaaktivistInnen aktuell.
Dabei ist die Tortung, also der Wurf einer Torte in das Gesicht einer politisch missliebigen Person, eigentlich eine Boomer-Kulturtechnik. Eines der ersten prominenten Opfer dieser dem Slapstick entliehenen Performance war Anita Bryant, ehemalige Miss Oklahoma und Werbefigur für Orangen aus Florida, die mit ihrer Organisaton „Save our Children“ erfolgreich gegen die Emanzipationsbestrebungen der Homosexuellen aktiv geworden war. Im Jahr 1977 traf sie dann in Des Moines die Torte eines Schwulenaktivisten ins Gesicht. Und das während der Fernsehübertragung einer Pressekonferenz – keine Glasscheibe nirgends, der Hassaktivistin blieb nur ein Gebet im Anschluss, bevor sie theatralisch in Tränen ausbrach.
Eine Tortung für die AfD
Auch hierzulande hat sich die Tortung etabliert, gern trifft es Mitglieder der AfD. Jörg Meuthen hatte mal das Pech, eine tiefgefrorene Schwarzwälder Kirschtorte an den Kopf zu bekommen. Und Beatrix von Storch, Oldenburger Variante von Anita Bryant („Gender-Gaga“), hat es gleich zweimal erwischt. In einem Fall war die Torte mit Rasierschaum gefüllt – was in diesem Zusammenhang als vorbildlich bezeichnet werden muss. Denn „Mit Essen spielt man nicht“ sollte sich am Ende auch auf spielerische Ausdrucksformen des politischen Protests beziehen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Rasierschaum zu verschwenden ist dabei moralisch geschmackssicherer als Lebensmittel gleich welcher Qualität für welchen guten Zweck auch immer zu vergeuden: Kartoffel und Tomaten auf Gemälde; Torten auf Nazis; Bauern, die in Frankreich Äpfel und Kartoffeln als Straßensperren verschütten, um gegen die US-amerikanische Zollpolitik zu protestieren; deutsche Landwirte, die 300.000 Liter Milch bei Rosenheim auf eine Wiese kippen. Schon bei letztgenannter Aktion aus dem Jahr 2009 regte sich durchaus Kritik: Lebensmittel wegwerfen, während anderswo Menschen hungern? Genau mit dieser Argumentation verbietet man schließlich kleinen Kindern, mit dem Essen zu spielen.
Gewiss: Im Rahmen des kapitalistischen Wirtschaftens werden täglich Lebensmittel in ganz anderen Dimensionen weggeworfen und vernichtet. Und dennoch scheint uns allen das Bewusstsein dafür abhanden gekommen zu sein, dass Essen etwas Wertvolles ist. Stattdessen kommt das Rapsöl einfach in den Tank – und zu Halloween werden die Kürbisse entweder zur reinen Dekoration degradiert oder zu Fratzen umgeschnitzt. Mit dem Fruchtfleisch aus den ausgehöhlten Kürbissen kann man übrigens hervorragend eine Suppe kochen.
Aber bitte anschließend nicht ins Museum damit. Ankleben reicht!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen