Die These: Wir brauchen ein Recht auf Office
Homeoffice darf nach der Pandemie nicht zur Regel werden. Denn es war eine soziale Errungenschaft, Wohnen und Arbeit zu trennen.
D as Ziel der Bundesregierung ist klar: All jene, die noch immer in Büros am Rechner sitzen, sollen ab ins Homeoffice. Arbeitgeber müssen ihren Beschäftigten anbieten, zu Hause zu arbeiten, sofern keine betrieblichen Gründe dagegen sprechen, heißt es in der Verordnung des Arbeitsministeriums. In der Pandemie ist das gut und richtig. Wer kann, sollte von der eigenen Wohnung aus arbeiten, so werden viele Kontakte vermieden. Und ja: ChefInnen, die derzeit aus Prinzip auf eine Präsenzkultur pochen, obwohl sich die Arbeit auch anders organisieren ließe, handeln unverantwortlich.
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Doch die Debatte geht längst über Corona hinaus. Die Pandemie hat Veränderungen rasant beschleunigt. Das digitale Arbeiten zu Hause, wie es heute praktiziert wird, hätte man sich vor einem Jahr nicht vorstellen können. Die Befürworter der Heimarbeit jubeln. Homeoffice forever, schreien sie und wollen das Recht darauf gleich gesetzlich festschreiben, allen voran die SPD.
Sicher, es ist schön, auch mal zu Hause zu arbeiten. Wie praktisch, wenn man zwischen zwei Sitzungen eben schnell die Waschmaschine anschmeißen kann. Nicht nur zu Hause, sondern per Laptop von überall aus – klingt verheißungsvoll. Im Sommer nach Dienstschluss ins Mittelmeer zu springen, wer will das nicht. Auch Fernbeziehungen lassen sich so viel leichter leben.
Bei der allgemeinen Begeisterung gerät jedoch aus dem Blick, dass etwas auf dem Spiel steht. In den kommenden Jahren könnte verloren gehen, was derzeit alle noch als selbstverständlich erachten: die Normalität im Büro. Wenn wir die retten wollen, brauchen wir kein Recht auf Homeoffice, sondern auf Office.
10.000 Euro im Monat gespart
Den Büroplatz kann man den Beschäftigten doch nicht nehmen, mögen manche einwenden. Aber die Gefahr besteht: Laut Gewerbeordnung hat der Arbeitgeber das Weisungsrecht, den Ort der Arbeit zu bestimmen. Klar, wenn jemand immer im Büro tätig war, kann er oder sie nicht plötzlich komplett ins Homeoffice verdonnert werden, hat etwa das Landesarbeitsgericht Berlin 2018 geurteilt. Aber Arbeitsverträge oder Betriebsvereinbarungen lassen sich ändern, und die Firmen haben ein großes Interesse daran, das zu tun.
Zum Beispiel ein IT-Unternehmen in Berlin-Friedrichshain. Die über 70 Angestellten arbeiteten vor Corona auf einer Etage. Weil die Firma stark wächst, wollte die Leitung eine halbe Etage dazumieten. Jetzt sind alle im Homeoffice, es läuft gut, die neuen Flächen mietet sie doch nicht – und spart so über 10.000 Euro pro Monat, sagt der Finanzchef. „Gerade die Entwickler brauchen keine physischen Treffen. Wir werden auch in Zukunft nicht mehr für jeden einen Platz haben.“
In einer Ifo-Umfrage sagten 73 Prozent der Unternehmen, die in der Pandemie auf Homeoffice setzen, dass sie die Beschäftigten in Zukunft verstärkt zu Hause arbeiten lassen wollen. Auch große Firmen wie Siemens oder die Allianz-Versicherung haben das angekündigt. Das hat Folgen: Rund 30 Prozent der Bürofläche werde wahrscheinlich längerfristig nicht mehr gebraucht, heißt es etwa bei der Allianz. Ein Teil der Büros soll zudem zu Begegnungsstätten umgebaut werden, sagt eine Sprecherin. Auch beim Spiegel in Hamburg wird gerade geprüft, ob sich die gemieteten Flächen reduzieren lassen, um dank Homeoffice Kosten zu sparen.
Es werden Fakten geschaffen, und diese Entwicklung lässt sich nicht so leicht zurückdrehen. Zwar betonen die Unternehmen, das geschehe im Einvernehmen mit den ArbeitnehmerInnen. Aber weniger Büroflächen bedeuten weniger Büroplätze. Und das wiederum bedeutet, dass ausgehandelt werden muss, wer wann ins Büro kommen kann – wenn überhaupt. Am billigsten ist es, gar keine Büros mehr anzumieten. Für analoge Begegnungen lassen sich Veranstaltungsräume auch tageweise buchen. Jeder kann in Zukunft frei wählen, wo sie oder er am liebsten arbeitet? Das dürfte sich für viele als Illusion erweisen.
Welche Folgen es hat, wenn das Homeoffice zur Regel wird, lässt sich gerade gut beobachten. Es fehlen die Kontakte zu den KollegInnen. Für konzentriertes Arbeiten mag es zeitweise sinnvoll sein, ungestört in einem stillen Kämmerlein zu sitzen. Aber wenn es um Austausch und Inspiration geht, schneidet die Heimarbeit schlecht ab. Homeoffice befördert die Eigenbrötelei, nicht die Kreativität. Zumal das Kämmerlein gerade in Familien eher selten still ist.
Jeder wurschtelt sich durch, so gut es eben geht. Wie den KollegInnen zumute ist, kann man versuchen, an den Gesichtsausdrücken auf den Bildschirmen abzulesen. Den Plausch an der Kaffeemaschine ersetzt das nicht. Büros haben als Treffpunkte eine wichtige soziale Funktion, Vereinzelung kann zu Vereinsamung führen.
In Großbritannien sind laut einem BBC-Bericht bereits Armbänder im Einsatz, um die Stimmung der Beschäftigten an die ChefInnen zu übermitteln. Sind sie fröhlich, sollen sie einen gelben Knopf drücken, sind sie traurig, einen blauen. Ein armseliger Ersatz, der vor allem auf das Defizit an Kommunikation hinweist, das entsteht, wenn jede Kontaktaufnahme eines Anrufs oder einer Nachricht bedarf.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Vor allem aber verwischt mit dem Homeoffice die Trennung von Beruf und Privatleben. Morgens vorm Frühstück schon mal reinschauen, was ansteht? Abends, wenn die Kinder schlafen, noch mal eben die Mail an die Chefin schreiben, die darauf wartet? Kein Problem, der Rechner steht nur eine Zimmertür entfernt. Die Menschen werden ja nicht fauler durch die Heimarbeit. Im Gegenteil, eine Studie in den USA hat ergeben, dass die Beschäftigten zu Hause länger arbeiten, 48 Minuten im Schnitt.
Manches ließe sich verbessern. Wenn Homeoffice dauerhaft zur Regel würde, müsste der hölzerne Stuhl gegen ein rückenschonendes Büromodell und der private gegen einen Dienstlaptop ausgetauscht werden. Schwieriger wird es bei der Frage des Raums: Wer hat in der Stadt schon eine Wohnung mit eigenem Arbeitszimmer? Alleinstehende können sich möglicherweise mit einem Tisch im Wohnzimmer arrangieren, bei vielen Familien geht das nicht. Zumal es für Beziehungen nicht unbedingt förderlich ist, sich rund um die Uhr gemeinsam in einer Wohnung aufzuhalten.
Luxus im Büro
Wollen wir das wirklich als Dauerzustand? Die BefürworterInnen des Homeoffice vergessen, dass es eine soziale Errungenschaft war, Wohnen und Arbeiten zu trennen. Wie herrlich ist es, morgens aus dem Haus zu treten, wenn es nach Regen riecht oder nach Schnee. Unterwegs andere Menschen zu sehen. Bei der Arbeit die KollegInnen zu grüßen.
Am Rande der ersten Konferenz mit dem Sitznachbarn herumzufrotzeln. Mittags in die Kantine zu gehen, sich zu unterhalten, über Alltägliches, über den Job. Am Ende kommt einem vielleicht genau in so einer Situation, beim absichtslosen Reden miteinander, die Idee des Tages. Und abends erzählt man Familie oder FreundInnen, was man tagsüber so erlebt hat.
All das erscheint im Moment wie Luxus. Umso mehr müssen wir darum kämpfen, dass der gemeinsame Alltag im Büro wieder zur Normalität werden kann. Und nicht zusammen mit der Pandemie verschwindet.
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